Gurney zuckte zusammen. »Aber Sire!« keuchte er entsetzt.
»Ja?«
»Ihr Mann hier hat recht. Lassen Sie die Gefangenen sofort umbringen. Und zerstören Sie alle Spuren ihrer Anwesenheit. Sie haben die Sardaukar des Imperators besiegt! Wenn der Imperator davon Wind bekommt, wird er nicht eher ruhen, bis er Sie über einen kleinen Flamme geröstet hat.«
»Auf dieses kleine Vergnügen wird er leider verzichten müssen«, erwiderte Paul. Er sprach langsam und kalt. Irgend etwas war in ihm vorgegangen, während er die Sardaukar in seinem Blickfeld gehabt hatte. Eine Anzahl von Entscheidungen waren durch sein Bewußtsein geflossen. »Gurney«, fragte er plötzlich, »gibt es in der näheren Umgebung Rabbans viel Mitglieder der Gilde?«
Gurney richtete sich auf und runzelte die Stirn. »Ihre Frage hat keinen …«
»Gibt es sie?« herrschte Paul ihn an.
»Arrakis wimmelt nur so von Agenten der Gilde. Sie kaufen Gewürz, als handele es sich dabei um das kostbarste Mineral des Universums. Was, glauben Sie, war der Grund, weshalb wir uns so weit in die Wüste hinaus …«
»Das Gewürz ist das kostbarste Mineral des Universums«, gab Paul zurück. »Für sie jedenfalls.« Er sah Stilgar und Chani an, die gerade die Höhle durchquerten und auf sie zukamen. »Und wir kontrollieren es, Gurney.«
»Es sind die Harkonnens, die das Gewürz kontrollieren!« protestierte Halleck.
»Die Leute, die ein Ding zerstören können«, entgegnete Paul, »kontrollieren es auch und haben es in der Hand.« Er brachte Gurney, der darauf etwas erwidern wollte, mit einer schnellen Handbewegung zum Schweigen und nickte Stilgar zu, der, Chani neben sich, vor Paul stehenblieb.
Paul nahm das erbeutete Sardaukarmesser in die rechte Hand und zeigte es Stilgar. »Du lebst nur, um das Beste für unseren Stamm zu erreichen«, sagte er. »Wärest du in der Lage, mir mit diesem Messer das Leben zu nehmen?«
»Wenn es zum Besten des Stammes wäre, ja«, nickte Stilgar.
»Dann tue es«, sagte Paul.
»Bedeutet das, daß du mich herausforderst?« wollte Stilgar wissen.
»Falls ich es täte«, sagte Paul, »würde ich dabei unbewaffnet vor dir stehenbleiben und ließe mich umbringen.«
Stilgar schnappte erschreckt nach Luft.
Chani sagte: »Usul!« Sie warf Gurney und Paul einen verwirrten Blick zu.
Während Stilgar noch nach Worten suchte, sagte Paul: »Du bist Stilgar, ein Krieger. Als die Sardaukar zu kämpfen anfingen, bist du nicht an der Front geblieben. Dein erster Gedanke war, Chani zu beschützen.«
»Sie ist meine Nichte«, erwiderte Stilgar. »Und hätte ich nur den geringsten Zweifel gehabt, daß die Fedaykin mit diesem Abschaum nicht fertiggeworden wären …«
»Warum galt dein erster Gedanke Chani?« verlangte Paul zu wissen.
»Er galt ihr gar nicht«, gab Stilgar bekannt.
»Wie?«
»Mein erster Gedanke galt dir«, sagte Stilgar.
»Glaubst du, du könntest die Hand gegen mich erheben?« fragte Paul.
Stilgar fing an zu zittern. »Es ist so Brauch«, murmelte er schließlich.
»Es ist Brauch, daß man, wenn man fremde Außenweltler in der Wüste trifft, tötet, um ihr Wasser als ein Geschenk des Shai-Hulud entgegenzunehmen«, sagte Paul. »Und doch hast du einmal zwei Leben gerettet: das meiner Mutter und das von mir.«
Als Stilgar schwieg und den Blick gesenkt hielt, fügte Paul hinzu:
»Du siehst, wie schnell sich Bräuche ändern, Stilgar. Und mindestens zu einem hast du selbst den Anstoß gegeben.«
Stilgar starrte das gelbe Wappen am Griff des Messers an.
»Glaubst du«, fragte Paul ihn, »daß ich, wenn ich erst wieder als Herzog in Arrakeen sitze, noch die Zeit dazu hätte, mich um alle Dinge zu kümmern, um die sich ein Führer des Sietch Tabr kümmern muß? — Befaßt du dich denn mit den internen Problemen einer jeden einzelnen Familie?«
Stilgars Blick löste sich nicht von der Klinge.
»Glaubst du, ich könnte ein Interesse daran haben, mir den eigenen rechten Arm abzuschneiden?« fragte Paul weiter.
Langsam hob Stilgar den Kopf.
»Du!« sagte Paul laut. »Glaubst du, ich würde zulassen, daß der Stamm und ich in der Zukunft auf deinen weisen Rat verzichten müssen?«
Mit leiser Stimme erwiderte Stilgar: »Es gibt einen jungen Mann in meinem Stamm, den ich ohne Schwierigkeiten herausfordern und töten könnte zu Shai-Huluds Ehren. Aber dem Lisan al-Gaib kann ich nichts tun. Du hast dies gewußt, als du mir dieses Messer gabst.«
»Ich wußte es«, stimmte Paul zu.
Stilgar öffnete die Hand. Das Messer klirrte auf den steinernen Boden. »Die Bräuche ändern sich«, sagte er.
»Chani«, sagte Paul, »gehe zu meiner Mutter und überbringe ihr die Nachricht, daß ihr Rat hier …«
»Aber du sagtest, wir würden gemeinsam nach Süden gehen!« protestierte das Mädchen.
»Ich habe mich geirrt«, warf Paul ein. »Die Harkonnen sind nicht hier, also auch kein Krieg.«
Chani schnappte nach Luft, aber schließlich blieb ihr doch nichts anderes übrig, als die Gegebenheiten zu akzeptieren.
»Du wirst meiner Mutter eine Botschaft überbringen«, fuhr Paul fort, »die allein für ihre Ohren bestimmt ist. Sage ihr, daß Stilgar mich als Herzog von Arrakis anerkennt, daß wir aber noch einen Weg finden müssen, dies den jungen Männern beizubringen, ohne daß sie rebellieren.«
Chani sah Stilgar an.
»Tu, was er sagt«, brummte Stilgar. »Wir wissen beide, daß er in der Lage wäre, mich zu besiegen, ohne daß ich eine Hand gegen ihn erheben könnte.«
»Ich werde mit deiner Mutter zurückkehren«, sagte Chani zu Paul.
»Sie soll allein kommen«, befahl Paul. »Stilgar hat schon immer recht gehabt: Ich bin stärker, wenn ich dich in Sicherheit weiß. Du wirst im Sietch zurückbleiben.«
Obwohl sie zunächst protestieren wollte, unterließ sie es.
»Sihaya«, sagte Paul und sprach sie mit dem Namen an, den er sonst nur benutzte, wenn sie allein waren. Abrupt wandte er sich von Chani ab. Sein Blick traf den Gurneys. Halleck schien das vorangegangene Gespräch nur bis dahin mitbekommen zu haben, wo Paul seine Mutter erwähnt hatte.
»Ihre Mutter«, sagte Halleck plötzlich.
»Es war Idaho, der uns in der Nacht, als der Überfall passierte, retten konnte«, sagte Paul und sah der hinausgehenden Chani nach. »Jetzt sind wir …«
»Was ist aus Duncan Idaho geworden, Mylord?« fragte Gurney.
»Er ist tot. Er hat die Angreifer mit seinem Körper aufgehalten, um uns eine Chance zur Flucht zu geben.«
Die Hexe lebt also noch! durchzuckte es Gurney. Und ich habe ihr Rache geschworen! Aber offensichtlich weiß Paul überhaupt nicht, welch ein Ungeheuer diese Kreatur ist, die ihm das Leben schenkte. Diese Dämonin! Seinen Vater hat sie an die Harkonnens verkauft.
Paul durchquerte die Höhle und stellte fest, daß man mittlerweile die Verwundeten und Toten hinausgetragen hatte. Dabei fiel ihm ein, daß auch dieser Tag wieder in eine Legende aus dem Leben des Paul-Muad'dib umgemünzt werden würde. Ich habe nicht einmal mein Messer gezogen, dachte er, aber trotzdem wird es eines Tages heißen, ich hätte zwanzig Sardaukar mit eigener Hand erschlagen.
Gurney folgte Stilgar, ohne den Grund unter seinen Füßen zu fühlen. Er achtete weder auf den Weg, noch auf die Beleuchtung. Alles in ihm schrie nach Rache. Die Hexe lebt, während die Männer, die sie verraten hat, in ihren Gräbern vermodern. Ich muß dafür sorgen, daß Paul die Wahrheit erfährt, ehe ich sie töte.
Ein haßerfüllter Mensch verschließt sich selbst vor den Argumenten der inneren Vernunft.
Aus ›Die Weisheit des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.
Die Menge, die sich in der Versammlungshöhle zusammendrängte, strahlte für Jessica das gleiche Zusammengehörigkeitsgefühl aus, das sie zum erstenmal an dem Tag gespürt hatte, an dem Paul und Jamis aneinandergeraten waren. Die Leute murmelten nervös miteinander. Kleine Gruppen hatten sich bereits in der Menge gebildet.
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