»Stilgar«, sagte er, »dies ist Gurney Halleck, von dem ich dir erzählt habe. Er war der Oberkommandierende der Truppen meines Vaters und einer der Schwertmeister, die mich unterrichteten. Er ist ein alter Freund von mir, und man kann ihm in jeder Beziehung trauen.«
»Ich höre«, sagte Stilgar. »Du bist sein Herzog.«
Paul starrte nach oben, vergrub seinen Blick in die Falten von Stilgars Gesicht und fragte sich, warum er ausgerechnet das gesagt hatte. Sein Herzog. Die Worte Stilgars hatten einen ganz seltsamen Tonfall gehabt, als wollte er damit etwas anderes ausdrücken. Und das klang gar nicht nach Stilgar, dem Führer der Fremen, der es gewohnt war, so zu sprechen wie er dachte.
Mein Herzog! dachte Gurney und sah Paul an. Ja, mit dem Tode Letos trägt Paul diesen Titel. Irgend etwas, das er schon längst totgeglaubt hatte, erwachte in ihm wieder zum Leben. Er nahm kaum zur Kenntnis, daß Paul die Schmuggler erneut aufforderte, die Waffen niederzulegen.
Gurney kam erst wieder zu sich, als er hörte, wie einer seiner Männer laut protestierte. Er wirbelte herum und schüttelte den Kopf. »Seid ihr denn taub?« brüllte er. »Ihr steht hier dem rechtmäßigen Herzog von Arrakis gegenüber! Tut gefälligst, was er euch befiehlt!«
Maulend senkten die Schmuggler die Waffen.
Paul stellte sich neben Gurney und sagte in leisem Tonfall: »Ich hatte nicht erwartet, ausgerechnet dich in unserer Falle zu finden, Gurney.«
»Ich schäme mich dafür«, sagte Gurney, »aber ich erkenne erst jetzt, daß die Gewürzschicht auf dem Sand kaum mehr als einen Millimeter dick ist.«
»Hättest du darauf gewettet, hättest du gewonnen«, gab Paul zu. Er achtete darauf, daß die Schmuggler entwaffnet wurden. »Befinden sich unter diesen Leuten Männer meines Vaters?«
»Keine. Wir sind nur noch wenige. Es gibt noch einige unter den Freihändlern. Aber die meisten haben ihren Gewinn dazu benutzt, diesen Planeten zu verlassen.«
»Aber du bist geblieben.«
»Ja.«
»Weil Rabban hier ist«, stellte Paul fest.
»Ich glaubte, für nichts als meine Rache hier leben zu müssen«, erwiderte Gurney.
Ein krächzender Schrei drang von irgendwoher an ihre Ohren. Halleck sah auf und erblickte einen Fremen, der auf dem Hügelrücken stand und mit einem Stoffetzen winkte.
»Ein Bringer nähert sich«, erklärte Paul. Er bewegte sich vorwärts nach Südwesten und achtete darauf, daß Halleck ihm folgte. In mittlerer Entfernung bewegte sich unter einer mächtigen Sandwelle etwas heran. Eine Staubwolke hob sich in den Himmel. Der Wurm jagte geradewegs unter den Dünen her und bewegte sich auf die Felsenlinie zu.
»Er ist groß genug«, bemerkte Paul.
Ein schepperndes Geräusch zeigte ihnen, daß der Wurm sich jetzt unter der Erntefabrik befand und sie gegen die Felsen schmetterte.
»Es ist zu schade, daß wir den Carryall nicht unvernichtet lassen konnten«, sagte Paul.
Gurney musterte ihn kurz und blickte dann auf die weit draußen in der Wüste abgestürzten Flugmaschinen, die die Raketen der Fremen abgeschossen hatten. Leiser Rauch kräuselte über den Schrotthaufen. Gurney fühlte ein plötzliches Mitleid für die Männer, die in dieser unverhoften Schlacht ihr Leben gelassen hatten, und sagte: »Dein Vater hätte sich mehr Gedanken wegen der Menschen gemacht, die dabei draufgegangen sind.«
Paul funkelte ihn an und lockerte seinen Schleier. Plötzlich sagte er: »Sie waren deine Freunde, Gurney, das verstehe ich. Für uns hingegen waren sie Eindringlinge, die sich in ein Gebiet vorwagten, in dem sie Dinge sehen konnten, die wir ihnen nicht zeigen wollten. Und das solltest du auch verstehen.«
»Ich verstehe es gut genug«, meinte Halleck. »Aber ich bin jetzt wirklich neugierig, was du damit meinst.«
Paul blickte auf und stellte fest, daß Gurney grinste. Es war das alte Wolfsgrinsen, das er kannte, und seine Narbe leuchtete dabei.
Gurney deutete mit einem Nicken auf die unter ihnen liegende Wüste. Die gesamte Felslandschaft war jetzt mit beschäftigt aussehenden Fremen durchsetzt. Was ihn jedoch am meisten erschreckte, war die Tatsache, daß sie sich offensichtlich um den Wurm nicht die geringsten Gedanken machten.
Ein klopfendes Geräusch drang bis zu ihnen hinauf. Es war wie ein tiefes Trommeln, das den Boden unter ihren Füßen zum Vibrieren brachte. Gurney sah, wie die Fremen über die Wüste ausschwärmten und sich alle Mühe gaben, den Pfad, den der Wurm mit seinem Körper schuf, zu erreichen.
Er kam wie ein riesiger Sandfisch plötzlich an die Oberfläche. Seine Ringsegmente wackelten. Alles geschah in Sekundenschnelle: der erste Mann setzte seine Haken an, der Wurm blieb liegen und drehte sich, und ehe er sich's versah, hatte die ganze Bande seinen Rucken erklommen.
»Das ist zum Beispiel eines der Dinge, das du nicht hättest sehen sollen«, erklärte Paul.
»Ich habe schon eine ganze Menge solcher Gerüchte gehört«, erwiderte Gurney kopfschüttelnd. »Aber bevor man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, ist es schwer zu glauben. Das Geschöpf, das auf Arrakis am meisten gefürchtet wird — und ihr benutzt es als Reittier.«
»Du hast selbst gehört, wie mein Vater von dieser Macht der Wüste sprach«, sagte Paul. »Jetzt siehst du sie. Die Oberfläche dieses Planeten gehört uns. Kein Sturm, kein Geschöpf, keine Macht ist in der Lage, uns aufzuhalten.«
Er sagt ›uns‹, dachte Gurney, und meint damit nicht nur die Fremen, sondern auch sich selbst. Er spricht, als sei er einer von ihnen. Wieder sah er in Pauls gewürzblaue Augen. Seine eigenen, wußte Gurney, sahen noch nicht ganz so aus, weil die Schmuggler in der Lage waren, sich auch mit Nahrung von anderen Planeten zu versorgen. Jemand, der dazu keine Gelegenheit hatte — wie die Fremen -, wurde so früher oder später zu einem Eingeborenen.
»Es hat Zeiten gegeben«, sagte Paul, »da wagten wir es nicht, in diesen Breitengraden einen Wurm am hellichten Tag zu reiten. Aber Rabban verfügt jetzt nicht mehr über soviel Luftunterstützung. Er kann es sich nicht erlauben, die Maschinen zur Beobachtung einiger dunkler Punkte auf dem Wüstensand einzusetzen.« Er sah Gurney an. »Die Maschinen, mit denen ihr gekommen seid, haben uns einen ganz schönen Schock versetzt.«
Uns … uns …
Um dieserart Gedanken zu vertreiben schüttelte Gurney den Kopf. »Ihr habt uns viel mehr erschreckt«, gab er zu.
»Weißt du, was derzeit über Rabban gesagt wird?« fragte Paul.
»Angeblich sollen seine Leute die Dörfer so befestigt haben, daß man ihnen nichts mehr anhaben kann. Man sagt, sie seien nun stark genug, daß sie sich nur noch zu verbarrikadieren bräuchten, während ihr euch bei neuen Angriffen solange blutige Köpfe holen werdet, bis ihr von selbst aufgebt.«
»Mit einem Wort«, schloß Paul, »sie sind unbeweglich geworden.«
»Während ihr dahin gehen könnt, wohin ihr wollt«, nickte Gurney.
»Es gibt da etwas, das ich von dir gelernt habe«, sagte Paul. »Wer die Initiative verliert, verliert auch den Krieg.«
Gurney lächelte.
»Unser Gegner ist nun absolut da, wo ich ihn haben wollte«, fuhr Paul fort. Er warf Gurney einen kurzen Blick zu. »Nun, Gurney, bist du bereit, auf meiner Seite bis zum Ende dieses Krieges mitzukämpfen?«
»Bereit?« fragte Gurney verdutzt. »Mylord, ich habe Ihre Dienste niemals verlassen! Sie waren derjenige, der mich verließ … als ich Sie für tot hielt. In der Zwischenzeit habe ich nur auf die Gelegenheit gewartet, mich an Rabban rächen zu können. Und ich bin auch jetzt noch bereit, für dieses Ziel mein Leben hinzugeben.«
Paul schwieg verlegen.
Zwischen den Felsen erschien nun eine vermummte Frau und kam auf sie zu. Gurney konnte lediglich ihre Augen sehen, als sie vor Paul stehenblieb und beide Männer rasch musterte. Es blieb ihm nicht verborgen, daß sie, was Paul anbetraf, Besitzrechte anzumelden schien. Sie drängte sich nahe an Paul heran.
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