»Auch ich lasse den Roboter nicht im Stich«, erklärte Mary. »Sie handeln panisch - oder doch zumindest unklug! In diesem Land sollten wir unsere Kräfte nicht zersplittern. Warum haben Sie es so eilig, in die Stadt zu kommen?«
»Was sollen wir hier?« fragte der General zurück. »Hier gibt es nichts Interessantes mehr zu sehen. Vielleicht hat die Stadt mehr zu bieten.«
»Dann ziehen Sie los und schauen es sich an!« versetzte Mary. »Edward und ich werden hier bei Jürgens bleiben.« Jürgens meldete sich zu Wort: »Gnädige Frau, ich möchte nicht der Anlaß zu einer Meinungsverschiedenheit sein.« »Halten Sie sich da raus!« knurrte Lansing. »Das ist allein unsere Entscheidung. Sie haben kein Stimmrecht.« »Tja, dann wäre wohl alles gesagt«, resümierte der General. »Wir werden jetzt aufbrechen, und Sie beide folgen uns mit dem Roboter nach.«
»Wollen Sie tatsächlich mit dem General und dem Pastor gehen, Sandra?« fragte Mary.
»Es gibt keinen Grund, warum ich gemeinsam mit Ihnen hierbleiben sollte«, erwiderte die Dichterin. »Wie der General schon sagte, hier ist nichts mehr zu erwarten. Der Würfel ist zwar von großer Schönheit.«
»Das wissen wir noch gar nicht. Daß wir hier nichts mehr erfahren werden, meine ich.«
»Doch, das wissen wir«, widersprach der Pastor. »Wir haben lange genug darüber geredet. Wir sollten jetzt die Nahrungsmittel aufteilen, die der Roboter getragen hat.« Er ging auf Jürgens' Packsack zu, aber Lansing verstellte ihm den Weg. »Nicht so eilig«, sagte er. »Der Sack gehört Jürgens, und Jürgens bleibt bei uns.« »Aber wir wollen doch gerecht teilen!«
Lansing schüttelte den Kopf. »Wenn Sie uns verlassen wollen, müssen Sie schon mit dem Proviant auskommen, den Sie mit sich führen. Mehr gibt es nicht.«
Der General trat einen Schritt vor und fragte: »Was versprechen Sie sich davon?«
»Ich will sichergehen, daß Sie in der Stadt auf uns warten. Sie werden uns nicht davonlaufen. Wenn Sie etwas von dem Proviant wollen, werden Sie auf uns warten müssen.« »Wir könnten es uns mit Gewalt nehmen, das wissen Sie?« »Davon bin ich noch nicht überzeugt«, entgegnete Lansing. »In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht die Hand gegen einen Menschen erhoben, aber wenn Sie mich dazu zwingen, werde ich es mit Ihnen beiden aufnehmen!«
Jürgens humpelte heran und stellte sich neben Lansing. »Auch ich habe noch nie einen Menschen geschlagen. Aber wenn Sie meinen Freund angreifen, werde ich ihm beistehen.« Mary wandte sich an den General. »Ich denke, Sie treten jetzt besser den Rückzug an. Ein streitbarer Roboter könnte ein unangenehmer Gegner sein.« Der General öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch dann verzichtete er darauf. Er ging zu seinem eigenen Rucksack, warf ihn über die Schulter und schob die Arme durch die Tragegurte.
»Auf geht's!« rief er seinen beiden Gefährten zu. »Wir wollen uns auf den Weg machen!«
Die Zurückbleibenden sahen der kleinen Gruppe nach, bis sie hinter einem Hügelkamm verschwunden war.
12
Sie traten einen neuen Rundgang um den Kubus an. Dabei hielten sie sich dicht beieinander. Seit die anderen gegangen waren, fühlten sie sich sehr einsam. Mit großer Sorgfalt wanderten ihre Blicke über die Würfelflächen, immer auf der Suche nach einer geringen Farbabweichung, nach irgendeinem Anhaltspunkt. Wenn Linien zu sehen waren, so entpuppten sie sich immer wieder als Schatten, hervorgerufen durch einen ungewohnten Einfallswinkel des Sonnenlichts. Irgendwann fanden sie drei Steinplatten, die bisher unentdeckt geblieben waren. Die Platten befanden sich an der Außenseite der Sandfläche. Sie waren auf der Oberseite völlig eben und von einer dünnen Sandschicht bedeckt. Die Breite einer solchen Platte mochte etwa einen Meter betragen. Jede von ihnen erstreckte sich ungefähr einen halben Meter weit in den Sandstreifen hinein. An den Steinen war nichts Ungewöhnliches. Nachdem sie von der Sandschicht befreit waren, konnte man lediglich feststellen, daß ihre Oberseite auffällig glatt war. Es waren keine Werkzeugspuren an dem Gestein zu entdecken. Wenn sie jemand aus einem Felsen herausgeschlagen hatte, so hatte er sich offenbar geschickt der vorhandenen Gesteinssprünge bedient. Wie tief die Steine in den Boden eingesunken waren, ließ sich nicht feststellen. Es gelang Lansing und Jürgens nicht, die Platten zu bewegen, auch wenn sie sich gemeinsam abmühten. Sie beratschlagten darüber, ob sie versuchen sollten, eine Steinplatte mit dem Campingspaten auszugraben, doch sie beschlossen, auf den Versuch zu verzichten. Der Kreis wurde von einem unbekannten Ding bewacht, das gefährlich und schnell zuschlagen konnte. Die Vorsicht überwog die Neugier des Menschen und des Roboters. Die Steine waren etwa im gleichen Abstand voneinander in den Boden eingelassen. Sie teilten den Kreis um den Würfel in drei gleiche Teile.
»Gewiß sind sie nicht zufällig so angeordnet worden«, erklärte Mary. »Es muß eine Absicht dahinterstecken.«
»Vielleicht hat es nur ästhetische Gründe«, erwiderte Lansing.
»Freude an der Symmetrie?«
»Das mag sein, aber ich bezweifle es.«
»Ein Zauberzeichen«, schlug Jürgens vor. »Vielleicht reagieren sie auf magische Rituale oder Gesänge.«
»Wenn es sich tatsächlich so verhält«, entgegnete Mary, »haben wir keine Chance.«
In der Nähe des Wegs fanden sie den Stecken, den der Pastor fortgeworfen hatte. Lansing hob ihn auf.
»Sie wollen doch wohl nicht versuchen, in den Sandkreis einzudringen?« fragte Mary erschrocken. »Wenn ich Sie wäre, würde ich das lieber bleibenlassen.«
»So etwas Närrisches habe ich nicht vor«, erwiderte Lansing. »Mir ist nur eben etwas eingefallen. Als ich versuchte, Jürgens zur Hilfe zu eilen, bin ich mit dem Fuß an etwas hängengeblieben. Ich möchte gern herausfinden, was das war.« »Vielleicht sind Sie einfach nur gestolpert.«
»Schon möglich, aber ich erinnere mich dunkel daran, irgendwo mit den Zehen angestoßen zu sein.«
Bald hatten sie die Spuren im Sand gefunden. Die Fußabdrücke des Roboters, die des Pastors und auch die Stelle, wo Lansing in den Sand gestürzt war. Vom Rand des Kreises aus begann Lansing im Sand zu stochern. Schon nach kurzer Zeit stieß die Stange auf einen harten Gegenstand. Es gelang Lansing, den Stecken unter den Fund zu schieben. Die Ecke eines Brettes kam zum Vorschein. Nach ein paar Versuchen hatte Lansing es so weit gelockert, daß er es zum Rand des Kreises schieben konnte. Es handelte sich um eine Tafel, an deren einem Ende ein schmales Brett (war es ein Ständer?) befestigt war. Mary griff danach, zog es aus dem Sandkreis und drehte es um. Es war mit großen Schriftzeichen bedeckt. Lansing beugte sich über das Brett.
»Das sieht aus wie kyrillische Buchstaben«, sagte er. »Könnte es sich um Russisch handeln?«
»Es ist Russisch«, erwiderte Mary. »Die erste Zeile mit den großen Buchstaben ist eine Warnung, glaube ich. Sie liest sich wie >Gefahrenzone<.«
»Woher wissen Sie das? Sprechen Sie Russisch?«
»Ein wenig, aber dieses Russisch hier unterscheidet sich von dem, das ich gelernt habe. Einige Buchstaben kommen mir falsch vor. Die erste Zeile ist eine Gefahrenwarnung, da bin ich mir jetzt sicher, aber die kleine Schrift darunter kann ich nicht entziffern.«
»Das Schild hat wahrscheinlich hier am Weg gestanden«, bemerkte Lansing, »so daß jeder Vorübergehende es sofort sehen konnte. Aber dann ist es irgendwann umgefallen oder umgestoßen worden, und der Wind hat es mit Sand bedeckt.
Wenn ich nicht darüber gestolpert wäre, hätte man es niemals wieder gefunden.«
»Ich wünschte, ich könnte den Text besser lesen«, seufzte Mary. »Mein Russisch ist ziemlich begrenzt. Es reicht, um eine Fachzeitung durchzuarbeiten, aber das ist auch schon alles. Viele Ingenieure bei uns können Russisch; diese Sprache ist fast schon obligatorisch. Die Russen sind ein technisch sehr versiertes Volk. Da lohnt es schon die Mühe, ihre Veröffentlichungen zu studieren. Natürlich gibt es einen freien Gedankenaustausch, aber.«
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