„Conway.!“ brüllte O’Mara und atmete dabei so tief durch, daß man es auf der ganzen Station hören konnte. Dann fuhr er mit erträglicherer Lautstärke fort: „Ich bin in Verbindung mit Skemptons Schiff! Offensichtlich sind die schnell vorangekommen und haben bereits mit den Aliens Kontakt aufgenommen. Der Colonel wird gerade geholt.“ Er brach ab und fügte dann hinzu: „Ich werde die Lautstärke erhöhen, damit Sie mithören können.“
„Aber bitte nicht zu laut“, sagte Conway und an Prilicla gewandt: „Was ist mit der emotionalen Ausstrahlung?“
„Viel stärker als vorher. Ich registriere jetzt wieder verschiedenartige Emotionen. Gefühle der Not, des Leids und der Angst — möglicherweise Platzangst — in einem an Panik grenzenden Ausmaß.“
Conway musterte den Patienten eine ganze Weile mit großer Aufmerksamkeit. Es gab keine sichtbare Bewegung. „Ich kann es einfach nicht riskieren, noch länger zu warten“, sagte er plötzlich. „Er scheint zu schwach zu sein, um sich selbst zu helfen. Die Trennwand, Schwester!“
Die Trennwand sollte lediglich O’Mara ausschließen. Würde der Psychologe sehen, was nun kam, ohne genau zu wissen, was da vor sich ging, hätte er zweifellos weitere falsche Schlüsse gezogen und Conway wahrscheinlich gewaltsam an seinem weiteren Vorgehen gehindert.
„Der Patient wird immer unruhiger“, meldete Prilicla plötzlich. „Er empfindet keinen direkten Schmerz, fühlt sich aber entsetzlich eingeengt.“
Conway nickte. Er verlangte von Kursedd ein Skalpell und begann, in die Wucherungen zu schneiden, wobei er zunächst versuchte, deren Tiefe festzustellen. Sie waren jetzt wie weicher, zerbröckelnder Kork und boten dem scharfen Messer kaum Widerstand. In einer Tiefe von etwa zwanzig Zentimetern legte er etwas frei, das wie eine graue, ölige und schwach durchlässige Membran aussah, ab; innerhalb des Operationsfelds trat keinerlei Körperfüssigkeit aus. Conway atmete erleichtert auf, zog das Skalpell zurück und wiederholte den Eingriff an einer anderen Stelle. Dieses Mal hatte die Membran einen grünlichen Farbton und zuckte leicht.
Er unternahm einen weiteren Einschnitt. Die durchschnittliche Tiefe der Wucherungen betrug anscheinend zwanzig Zentimeter. In fieberhafter Eile öffnete Conway die Wucherungen an insgesamt neun Stellen, die ungefähr in gleichen Abständen um den ganzen ringförmigen Körper herum verteilt waren. Dann blickte er Prilicla fragend an.
„Jetzt wird alles immer unerträglicher“, sagte der GLNO. „Extremer seelischer Schmerz, Angst. Erstickungsgefühle, der Puls rast und ist unregelmäßig. das Herz ist an den Grenzen der Belastbarkeit angelangt. Außerdem verliert er erneut das Bewußtsein.“
Bevor der Empath zu Ende gesprochen hatte, begann Conway, sich wie ein Schlachter aufzuführen. Mit langen, brutalen Schnitten, die eher an Säbelhiebe erinnerten, schuf er zwischen den Stellen, bei denen er zuvor die tiefen Einschnitte vorgenommen hatte, Verbindungen. Alles wurde jetzt der Geschwindigkeit geopfert. Selbst unter Aufwendung jeglicher Vorstellungskraft konnte man das, was er da tat, nicht mehr als einen chirurgischen Eingriff bezeichnen, denn ein Holzfäller mit einer stumpfen Axt hätte wohl sauberere Arbeit abgeliefert.
Als er fertig war, schaute er den Patienten kurz an, aber es gab noch immer keine Anzeichen einer Bewegung. Er ließ das Skalpell fallen und zerrte an den Wucherungen mit den bloßen Händen.
Plötzlich erfüllte Skemptons Stimme den Raum. Er beschrieb aufgeregt die Landung auf der Alienkolonie und den Beginn der Kontaktauffnahme. Dann führ er fort: „Und O’Mara, die gesellschaftlichen Zustände hier sind völlig verrückt. So etwas hab ich noch nie erlebt! Es gibt hier zwei verschiedene Lebensformen.“
„Die ein und derselben Spezies angehören“, ergänzte Conway laut keuchend, während er arbeitete. Der Patient gab jetzt deutliche Lebenszeichen von sich und begann endlich, sich selbst zu helfen. Conway hätte am liebsten vor Freude laut geschrien, führ aber im relativ gefaßten Ton erschöpft fort: „Eine Lebensform ist der zehnbeinige Typ wie unser Freund hier, allerdings ohne daß dabei der Schwanz im Mund steckt. Das ist nur die Übergangsposition. Die andere Form ist. ist.“ — Conway hielt inne, um das Wesen, das sich jetzt vor ihm entpuppte, eingehend zu betrachten. Die Überreste der Wucherungen, von denen es überzogen gewesen war, lagen überall auf dem Boden verstreut, einige waren von Conway abgerissen worden, andere hatte der Alien selbst abgestoßen — „…nun, ich würde sagen, daß es sich hierbei natürlich um einen eierlegenden Sauerstoffatmer handelt“, fuhr er schließlich fort. „Mit einem langen, stabähnlichen, aber flexiblen Körper, der mit jeweils vier insektenartigen Beinen und Greifzangen, drei Flügelpaaren und den üblichen Sinnesorganen ausgestattet ist. Klassifikation GKNM. Sieht ungefähr wie eine Libelle aus.
Außerdem denke ich, daß die erste Form, den primitiv entwickelten Tentakeln nach zu urteilen, in erster Linie die Schwerarbeit leistet. Erst wenn das Wesen dieses Larvenstadium durchlaufen hat und zu dieser grazileren und schöneren Libellengestalt geworden ist, betrachtet man es als reif und befähigt genug, auch verantwortliche Aufgaben zu übernehmen. Wie ich mir vorstellen kann, hat sich auf diese Weise eine höchst komplizierte Gesellschaftsstruktuir entwickelt, die.“
„Ich wollte gerade sagen, daß zwei von diesen Aliens bereits unterwegs sind, um sich um den Überlebenden zu kümmern“, fuhr Colonel Skempton dazwischen, dessen Stimme man den Verdruß anmerkte, daß ihm jemand den Applaus gestohlen hatte. „Sie bitten inständig darum, daß wir unter keinen Umständen irgend etwas mit dem Patienten unternehmen, bevor sie.“
An diesem Punkt schob O’Mara die Trennwand beiseite. Er starrte den Patienten mit offenem Mund an, der sich gerade die Flügel ausschüttelte, und man konnte dem Psychologen die Anstrengung regelrecht ansehen, mit der er die Fassung allmählich zurückzugewinnen versuchte. Schließlich sagte er: „Ich fürchte, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, Doktor. Aber warum haben Sie niemandem etwas davon gesagt.?“ „Weil ich keinen eindeutigen Beweis hatte, daß meine Theorie stimmte“, entgegnete Conway im ernsten Ton. „Als der Patient immer wieder in Panik geriet, sobald ich ihm meine Hilfe anbot, bekam ich allmählich den Verdacht, daß diese Wucherungen ganz natürlich waren. Von einer Raupe konnte man erwarten, daß sie sich gegen jeden wehrt, der ihren Kokon frühzeitig entfernen will, nämlich aus dem einfachen Grund, daß sie durch ein solches Vorgehen getötet werden würde. Und es gab andere Hinweise — die nicht stattfindende Nahrungsaufnahme, die kreisförmige Körperhaltung mit den nach außen gerichteten Gliedmaßen — offensichtlich ein Verteidigungsmechanismus, der aus einer Zeit stammt, als natürliche Feinde das neue Leben in dem immer härter werdenden Panzer des alten Lebens bedrohten — und schließlich die Tatsache, daß die ausgeatmete Luft während des letzten Stadiums keine Unreinheiten mehr aufwies. Das bewies nur, daß Lunge und Herz, die wir die ganze Zeit abgehört haben, keine direkte Verbindung mehr hatten.“
Conway erklärte weiter, er sei sich zu Beginn der Behandlung seiner Theorie zwar nicht sicher gewesen, habe aber andererseits nicht genügend Zweifel an ihr gehegt, als daß er Mannons oder Thornnastors Vorschlägen hätte zustimmen können. Er sei zu dem Schluß gekommen, daß der Zustand des Patienten normal oder zumindest einigermaßen normal gewesen war, und die beste Behandlung sein würde, absolut nichts zu unternehmen. Und daran hatte er sich gehalten.
„…aber dies hier ist ein Hospital, das seinen Patienten unter allen Umständen helfen will“, fuhr er fort. „Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Doktor Mannon, Sie selbst oder irgendeiner der anderen Leute, die ich kenne, einfach nur danebenstehen und nichts unternehmen würde, während der Patient scheinbar unter ihren Händen stirbt. Vielleicht hätte der eine oder andere meine Theorie akzeptiert und wäre sogar mit meinem Vorgehen einverstanden gewesen, aber ich konnte mir dessen nicht sicher sein. Und meiner Ansicht nach mußten wir diesen Patienten heilen, weil seine Freunde bis zu diesem Zeitpunkt ein so gut wie unbekannter Faktor waren.“
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