Ein halbe Stunde später kam Prilicla heraus und teilte ihnen mit, sie könnten jetzt zwar zu dem Patienten sprechen, das Gehirn sei aber nur teilweise bei Bewußtsein.
Als sie sich daraufhin umgehend in den Behandlungsraum begaben, sagte O’Mara gerade dem Patienten, daß alle im Raum Freunde seien und ihm Mitgefühl entgegenbrächten und alles in ihrer Macht Stehende tun würden, um ihm zu helfen. Er sprach mit leiser Stimme in seinen eigenen Translator und aus dem, der neben den Patienten aufgestellt worden war, dröhnte eine Reihe Schnalz— und Kollerlaute. In den Pausen zwischen den Sätzen berichtete Prilicla über den psychischen Zustand des Patienten.
„Verwirrung, Zorn und große Angst“, meldete der GLNO, und minutenlang blieben Aussage und Intensität der emotionalen Ausstrahlung konstant. Conway entschied sich, den nächsten Schritt einzuleiten.
„Sagen Sie ihm, daß ich ihn jetzt berühren werde“, sagte er zu O’Mara, „und mich entschuldige, falls ich ihm dabei irgendwelche Schmerzen verursache, ich aber nicht vorhabe, ihm Verletzungen zuzufügen.“
Er nahm eine lange Sonde mit einer scharfen Spitze und berührte vorsichtig die Gegend, wo die Wucherungen am dicksten waren. Prilicla berichtete keine Reaktion. Anscheinend waren nur die unbefallenen Stellen des Patienten derart empfindlich, daß schon deren geringste Berührung den Alien zur Raserei bringen konnte. Conway bekam allmählich das Gefühl, allein durch diese Erkenntnis wenigstens ein Stück vorangekommen zu sein.
Er schaltete den Translator aus und sagte: „Das hab ich gehofft. Wenn die befallenen Stellen schmerzunempfndlich sind, sollten wir mit Unterstützung des Patienten in der Lage sein, den Mund auch ohne Anästhesie freizubekommen. Bislang wissen wir noch nicht genug über seinen Metabolismus, als daß wir ihn anästhesieren könnten, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen. Sind Sie sich auch wirklich sicher, daß er alles hört und versteht, was wir sagen?“ vergewisserte er sich schließlich bei Prilicla.
„Ja, Doktor“, antwortete der GLNO, „solange Sie langsam und ohne Zweideutigkeiten reden.“256
Conway schaltete den Translator wieder ein und sagte leise: „Wir werden Ihnen helfen. Als erstes werden wir dafür sorgen, daß Sie wieder Ihre natürliche Körperhaltung einnehmen können, indem wir Ihren Mund freilegen. Dann werden wir die Wucherungen entfernen.“
Plötzlich spannte sich das Netz, und die fünf Tentakelpaare schlugen wild auf und ab. Conway wich fluchend zurück — er war wütend auf den Patienten und noch wütender auf sich selbst, überstürzt vorgegangen zu sein.
„Angst und Zorn“, meldete Prilicla und fügte hinzu: „Der Patient. scheint sogar Gründe für seine Emotionen zu haben.“
„Aber warum? Ich versuche doch nur, ihm zu helfen.!“
Der Alien wehrte sich mit unvorstellbarer Gewalt, und Priliclas zerbrechlicher Körper zitterte unter der Wucht des emotionalen Trommelfeuers, das der Überlebende von sich gab. Einer der Tentakel des Patienten, der aus einer der überwucherten Stellen hervorragte, verfing sich dabei im Netz und wurde abgerissen.
So eine blinde und sinnlose Panik! dachte Conway erbost und enttäuscht zugleich. Aber Prilicla hatte gesagt, es gäbe Gründe für diese Reaktion seitens des Patienten. Selbst der Verstand dieses Aliens schien widersprüchlich zu funktionieren, flüchte Conway im stillen.
„Na endlich!“ stöhnte O’Mara erleichtert auf, als der Patient sich wieder beruhigt hatte.
„Furcht, Zorn und Haß“, meldete sich der GLNO zu Wort. „Ich würde mit ziemlicher Bestimmtheit behaupten, daß er Ihre Hilfe ablehnt.“
„Dann haben wir’s hier wirklich mit einer sehr kranken Kreatur zu tun“, warf O’Mara grimmig ein.
Die zuletzt geäußerten Worte des Chefpsychologen schienen in Conways Kopf regelrecht hin und her zu schwirren und dabei immer lauter und nachdrücklicher zu werden. Sie hatten irgendeine Bedeutung. Natürlich hatte O’Mara nur auf den psychischen Zustand des Patienten angespielt,
aber das war egal. Eine sehr kranke Kreatur — das war das zentrale Teil des Puzzles, um das sich das Bild herum allmählich vervollständigte. Bis jetzt war es noch nicht komplett, aber es war genug davon vorhanden, um Conway so furchtbare Angst einzujagen, wie er sie noch nie im Leben empfunden hatte.
Als er schließlich zu den anderen sprach, konnte er kaum seine eigene Stimme erkennen. „Danke, meine Herren. Ich werde mir etwas anderes überlegen müssen, mich dem Patienten zu nähern. Sobald ich soweit bin, werde ich Sie unterrichten.“
Conway wollte unbedingt allein gelassen werden, um seinen Gedanken zu Ende führen zu können. Am liebsten wäre er weggelaufen und hätte sich irgendwo versteckt. Das Problem war nur, daß es wahrscheinlich keinen Ort in der Galaxis gab, wo er sich vor dem verstecken konnte, wovor er Angst hatte.
Alle starrten ihn jetzt an, wobei ihre Mienen eine Mischung aus Überraschung, Besorgnis und Empörung ausdrückten. Schließlich wehrten sich viele Patienten gegen Behandlungen, die einzig und allein das Ziel hatten, ihnen zu helfen. Das hieß aber noch lange nicht, daß ein Arzt schon beim ersten Anzeichen von Widerstand seitens des Patienten die Behandlung gleich einstellte. Offenbar dachten sie, er hätte vor der Operation, die äußerst unangenehm und technisch kompliziert zu werden versprach, Angst bekommen, denn ein jeder versuchte ihn auf die ihm eigene Art aufzumuntern. Selbst Skempton machte Vorschläge.
„…falls eine gefahrlose Anästhesie Ihr Hauptproblem ist“, sagte der Colonel, „könnte sich dann die Pathologie nicht eine Methode einfallen lassen? Ich meine, mit Hilfe eines toten oder. ehm. tödlich verletzten Angehörigen dieser Spezies müßte das doch möglich sein, oder? Ich denke dabei an die Suche nach dem anderen Wrackteil, von der Sie schon zuvor gesprochen haben. Anscheinend haben Sie jetzt wirklich einen triftigen Grund, sie anzuordnen. Soll ich.“
„Nein!“
Jetzt starrten ihn alle völlig fassungslos an, und besonders O’Mara setzte dabei eine entschieden finstere Mieuf Conway sagte schnell: „Ich hab vergessen, Ihnen zu erzählen, daß Captain Summerfield sich noch einmal bei mir gemeldet hat. Er sagt, die derzeitigen Untersuchungen hätten ergeben, daß das Wrack nicht die weniger beschädigte Hälfte des Schiffs ist, sondern diejenige, die bei dem Unfall am ‘meisten in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Seiner Aussage nach ist die andere Hälfte nicht etwa in Stücke gerissen worden, sondern in einem so guten Zustand gewesen, daß das Restschiff noch aus eigener Kraft die Heimreise antreten konnte. Wie Sie sehen, wäre eine Suche also sinnlos.“
Conway hoffte verzweifelt, daß Skempton damit zufriedengestellt war und nicht darauf bestehen würde, die Information persönlich nachzuprüfen. Summerfield hatte sich tatsächlich wieder vom Wrack gemeldet, aber was der Captain herausgefunden hatte, war allenfalls annähernd das gewesen, was Conway gerade daraus gemacht hatte. Allein bei dem Gedanken, daß Suchkommandos des Monitorkorps in diesem Abschnitt des Weltraums unbesonnene Aktionen vornehmen könnten, brach ihm der kalte Schweiß aus — denn allmählich dämmerte ihm etwas.
Aber der Colonel nickte nur, und das Thema schien damit für ihn beendet. Conway fühlte sich etwas entspannter und fuhr fort: „Doktor Prilicla, mit Ihnen würde ich mich gern über die emotionale Ausstrahlung des Patienten während der vergangenen Minuten genauer unterhalten, aber erst später. Also nochmals vielen Dank, meine Herren, für Ihren Rat und Ihre Hilfe.“
Er setzte sie praktisch vor die Tür, und ihre Gesichtsausdrücke verrieten ihm, daß sie dasselbe dachten — O’Mara würde ihm später bestimmt bohrende Fragen stellen, warum er sich in dieser Angelegenheit so merkwürdig verhalten hatte, aber im Moment war ihm das egal. Als alle gegangen waren, bat er Schwester Kursedd, jede halbe Stunde den Zustand des Patienten optisch zu überprüfen und ihn sofort zu informieren, falls sich irgend etwas verändern sollte. Dann begab er sich auf sein Zimmer.
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