»Die Hand — was war mit meiner Hand los?« fragte Barney schwach die geschlossene Tür. Er wollte sie aufstoßen, doch dann zitterte er und wandte sich ab. Das Papier weckte seine Neugier, und er entfaltete es. Es war ein gewöhnliches Schreibpapier, an einer Ecke eingerissen. Außer einer Kugelschreiberskizze war nichts darauf zu sehen.
Die Zeichnung sagte Barney gar nichts. Er faltete das Papier — und mit einem plötzlichen Schock erinnerte er sich an die Filmkassette.
»Ich habe den Film beendet!« rief er laut. »Ich habe ihn rechtzeitig abgeliefert!« Zwei Sekretärinnen gingen vorbei und drehten sich kichernd um. Er warf ihnen einen bösen Blick zu und ging weiter.
Was hatte der andere Barney zu ihm gesagt? Er sollte sehen, daß der Film fertig wurde? Ob er es noch schaffte? Aber wie konnte er es jetzt noch schaffen? Die Frist war überschritten.
»Das verstehe ich nicht«, murmelte er vor sich hin, während er auf die Plattform zuging. Nicht einmal der Anblick des Professors beruhigte seine wirbelnden Gedanken. Er stand auf der Plattform und versuchte zu verstehen, was geschehen war oder was geschehen würde, aber die Müdigkeit und der Schock hatten seine Logik gelähmt.
»Die Reparatur ist fertig«, sagte Professor Hewett und wischte sich die Hände an einem Lappen ab. »Wir können jetzt in das Jahr 1005 zurückkehren.«
»Gut, das tun wir«, sagte Barney und griff nach seiner Brieftasche.
Obwohl in Neufundland die Sonne schien, wirkte sie nach dem Tag in Kalifornien schwach, und die Luft war sehr kühl.
»Wann haben wir das Studio verlassen?« fragte Barney.
»Um zwölf Uhr drei am Montag. Und keine Beschwerden bitte. Ich habe so schnell gearbeitet wie noch nie. Sie sahen ja selbst, was dieser Musiker mit seinem Mikrogehirn anrichtete.«
»Keine Beschwerden, Professor. Ich glaube allmählich, wir haben immer noch eine Chance, den Film rechtzeitig abzuliefern. Ich habe mich nämlich im Verwaltungsgebäude selbst getroffen und ich sah, wie ich einen Film mit der Aufschrift Unter Wikingerflagge ablieferte.«
»Unmöglich!«
»Leicht gesagt, aber vielleicht erleben Sie noch den gleichen Schock wie ich. Ich sagte mir, oder er sagte mir, daß ich Ihnen diesen Zettel geben sollte. Wissen Sie, was die Zeichnung bedeutet?«
Der Professor warf einen Blick auf die Skizze und lächelte breit. »Natürlich«, sagte er. »Wie dumm von mir. Die Tatsachen waren die ganze Zeit da, direkt vor meiner Nase, und ich erkannte sie nicht. Es ist ganz einfach.«
»Könnten Sie es einem Laien vielleicht auch erklären?« fragte Barney ungeduldig.
»Die Zeichnung stellt zwei Reisen durch die Zeit dar, und der Bogen rechts ist von Interesse, denn er erklärt, woher Ihr Doppelgänger mit den Filmen kam. Ja, es ist möglich, den Film fertigzustellen und noch rechtzeitig abzuliefern.«
»Wie denn?« fragte Barney und sah die Skizze an, die ihm absolut nichts sagte.
»Sie werden jetzt den Film zu Ende drehen, und es ist ganz gleichgültig, wieviel Zeit Sie dazu verwenden. Wenn der Film fertig ist, befinden Sie sich bei Punkt B des Diagramms. Punkt A ist der Zeitpunkt, zu dem der Film abgeliefert werden muß. Sie kehren einfach zu einer Zeit vor A zurück, geben den Film ab und kommen dann wieder nach B. Köstlich einfach!«
Barney entriß ihm die Skizze. »Noch einmal: Sie sagen also, daß ich den Film in aller Ruhe beenden kann. Dann kehre ich in eine Zeit vor A zurück und liefere ihn ab?«
»Richtig.«
»Das klingt verrückt.«
»Nur den Dummen erscheint Intelligenz wie Wahnsinn.«
»Ich verzeihe Ihnen diese Bemerkung, wenn Sie mir eines sagen können: Wer hat diese Zeichnung angefertigt?«
»Das kann ich nicht wissen. Ich habe sie ja eben zum erstenmal gesehen.«
»Dann überlegen Sie doch. Mir wurde das Papier am Montagmorgen vor L. M.s Büro gegeben. Ich zeige es Ihnen jetzt. Dann stecke ich es in meine Brieftasche und trage es herum, bis der Film fertig ist. Anschließend mache ich einen Sprung zurück, um L. M. den Film auszuhändigen. Ich treffe mich selbst vor dem Büro, gebe mir das Blatt Papier, stecke es in die Brieftasche und so fort. Erkennen Sie einen Sinn dahinter?«
»Ja. Ich empfinde den Vorgang ganz und gar nicht als beunruhigend.«
»Nein? Aber wenn alles so vor sich geht, wie ich es eben beschrieben habe, dann hat kein Mensch je diese Zeichnung angefertigt. Sie steckt einfach in dieser Brieftasche, und ich überreiche sie mir selbst. Erklären Sie mir das!« Seine Stimme klang triumphierend.
»Das ist nicht nötig. Das Stück Papier erklärt sich selbst. Es besteht aus einer in sich geschlossenen Zeitschleife. Niemand hat die Zeichnung angefertigt, das stimmt. Sie existiert, weil sie ist, und das ist eine ausreichende Erklärung. Wenn Sie es immer noch nicht verstehen, werde ich Ihnen ein Beispiel nennen. Sie wissen, daß alle Papierflächen zwei Seiten besitzen. Aber wenn Sie nun ein Papierband um 180 Grad verdrehen und dann die Enden zusammenfügen, erhalten Sie den sogenannten Möbiusstreifen, der nur eine Seite hat. Er existiert. Man kann nichts dagegen tun. Ebenso ist es bei Ihrer Zeichnung.«
»Aber — woher kam sie?«
»Wenn Sie unbedingt eine Quelle brauchen — man könnte sagen, daß sie daher kam, wohin die fehlende Seite des Möbiusstreifens verschwunden ist.«
Barneys Gedanken verschlangen sich zu einem festen Knoten, dessen Enden frei herunterhingen. Er starrte die Zeichnung an, bis ihm die Augen wehtaten. Jemand mußte sie angefertigt haben. Und jedes Stück Papier mußte zwei Seiten haben … Mit zittrigen Fingern steckte er das Diagramm in die Brieftasche und hoffte nur, daß er es vergessen würde.
»Wir können in die Vergangenheit gehen, sobald Sie fertig sind«, verkündete Dallas.
»In welche Vergangenheit?« Barney sah den Revolvermann überrascht an.
»Ins Jahr 1006, davon reden wir doch schon die ganze Zeit. Ottar hat seine Nahrungsmittel, und die Filmgesellschaft ist bereit zum Aufbruch.« Er deutete auf die wartenden Lastwagen und Anhänger.
»Ach ja richtig, wir wollten ins nächste Frühjahr. Dallas, wissen Sie, was ein Paradoxon ist?«
»Der spanische Barbier, der alle Leute in der Stadt rasiert, die sich nicht selbst rasieren — wer rasiert nun den Barbier?«
»So ungefähr — nur noch schlimmer.« Dann erinnerte sich Barney an die bandagierte Hand, und er untersuchte sorgfältig seine Rechte. »Was ist nur mit meiner Hand passiert?«
»Ihre Hand sieht doch prächtig aus«, versicherte ihm Dallas. »Wollen Sie einen Drink?«
»Das würde nichts nützen. Ich habe mich eben selbst mit einer bandagierten Hand getroffen, und ich wollte mir nicht verraten, was geschehen war. Weißt du, was das bedeutet?«
»Ja. Sie brauchen wahrscheinlich zwei Drinks.«
»Egal, wie du darüber denkst, Alkohol ist nicht für alle Probleme eine Lösung. Es bedeutet, daß ich etwas Einmaliges im Universum bin. Ich bin ein SadoMasochist. Die anderen armen Teufel müssen sich darauf beschränken, masochistisch sich selbst gegenüber oder sadistisch den anderen gegenüber zu sein. Aber ich erhalte eine masochistische Befriedigung, indem ich sadistisch zu mir selbst bin. Kein anderer Neurotiker kann das von sich behaupten.« Er zitterte. »Ich glaube, ich kann den Drink doch gebrauchen.«
»Bitte.«
Der Schnaps entpuppte sich als billiger Rye, der wie Ameisensäure schmeckte und Barneys Kehle so verätzte, daß er eine Weile das Parodoxon der Zeit und seine eigenen sado-masochistischen Neigungen vergaß. »Dallas, tu mir einen Gefallen und sieh nach, ob die Indianer im März schon gesichtet worden sind. Wenn Ottar Nein sagt, dann dringst du in Abständen von einer Woche weiter vor, bis sie endlich auftauchen.«
Читать дальше