»So schlimm ist es gar nicht — und vielleicht können wir den Mann sogar gebrauchen. Ich muß mir die Sache durch den Kopf gehen lassen.«
Ottar spielte mit den Pfeilen, und Barney lehnte an der Wand und horchte auf die Lure, bis Dallas mit dem Jeep neben ihm anhielt.
»Fertig«, berichtete er. »Die Leute von der Kantine warten schon, dazu ein paar Freiwillige, die sehen wollen, ob Hollywood noch steht.«
»Sind es genug, um die Vorräte auf die Plattform zu schaffen?« fragte Barney. »In der Studiokantine ist jetzt kein Mensch mehr.«
»Mehr als genug.«
»Gut, dann gehen wir.«
Einer der großen Lastwagen war auf die Plattform geschafft worden, und ein Dutzend Männer standen herum. Professor Hewett hatte die Tür zum Kontrollraum offengelassen, und Barney warf einen Blick hinein.
»Samstagnachmittag — und so genau wie möglich.«
»Auf die Mikrosekunde. Wir werden genau da ankommen wo wir abreisten.«
Barney konnte nicht recht glauben, daß nach all den Ereignissen der vergangenen Monate in Hollywood immer noch Samstag war. Auf den Straßen drängten sich die Wochenendautos, die Parkplätze der Supermärkte waren voll, und L. M. Greenspan versteckte sich in seinem Haus hinter dem Privatgolfplatz und täuschte eine Herzattacke vor. Einen Moment lang dachte Barney daran, ihn anzurufen, aber dann fiel ihm ein, daß ja seit ihrer letzten Unterredung erst ein paar Stunden vergangen waren und L. M. sich bestimmt noch keine Sorgen machte. Und weshalb sollte man schlafende Löwen aufwecken? Aber er konnte im Krankenhaus anrufen und sich nach Jens Lyn erkundigen. Es war Wochen her, seit — nein, das stimmte nicht, es war erst ein paar Minuten her. Vielleicht befand er sich noch gar nicht im Krankenhaus.
»So eine Hitze«, stöhnte einer der Köche. »Ich hätte meine Sonnenbrille mitnehmen sollen.«
Die Männer zuckten zurück, als das helle Licht sie blendete. Der Himmel von Neufundland war immer blaßblau, und die Sonne hatte keine Kraft. Barney winkte die Männer zur Seite, als der große Diesellaster von der Zeitplattform rollte. Alle waren in Feiertagsstimmung, als sie in den Wagen kletterten und durch die leeren Studiostraßen fuhren.
Die Feiertagsstimmung endete vor dem Lagerhaus der Kantine.
»Tut mir leid, Sir«, sagte der Studiowächter und drehte seinen Gummiknüppel an der Schlaufe hin und her. »Aber ich habe Sie noch nie gesehen, und selbst wenn ich Sie kennen würde, könnte ich Sie nicht ins Lagerhaus lassen, Sir.«
»Dieses Papier …«
»Ich habe das Papier gesehen, aber ich kenne meine Befehle.«
»Gebt mir ein Kriegsbeil«, rief einer der Arbeiter. »Ich werde mit der Tür schon fertig!«
»Tod! Tod!« schrie ein anderer. Sie waren zu lange im elften Jahrhundert gewesen und hatten sich an die Lebensart der Wikinger gewöhnt.
»Keinen Schritt näher!« sagte der Wächter und legte die Hand auf die Pistole.
»Los, haltet den Mund, ihr Witzbolde«, befahl Barney. »Ich werde das gleich regeln. Wo ist Ihr Telefon?« fragte er den Wächter.
Barney rief zuerst im Verwaltungsgebäude an. Er hatte Glück. Sam war da. Vermutlich brütete er noch über den Büchern.
»Sam«, sagte er, »freut mich, wieder von dir zu hören — wie geht es dir? Was? … Ach so, das hatte ich vergessen. Für dich waren es nur ein paar Stunden, aber ich habe inzwischen Monate verbracht … Nein, natürlich habe ich nichts getrunken, ich habe den Film gedreht … Richtig. Er ist fast fertig. Sam, nein … reg dich nicht auf … es ist ebensowenig ein Ein-TagesFilm wie das Drehbuch. Wir haben hart gearbeitet. Sieh mal, ich erkläre dir das später, aber im Moment mußt du mir helfen. Sprich mal mit dem Studiowächter. Das muß ein neuer Mann sein, ein richtiger Dickkopf. Sag ihm, er soll die Tür zum Kantinenlager aufschließen, damit wir alle Konservendosen und Teigwaren holen können … Nein, wir haben keinen Hunger, es handelt sich um Tauschwaren für die Eingeborenen. Zahlen … Sam, ist es denn ein Unterschied, ob wir unsere Komparsen mit Haferflocken oder mit Dollars bezahlen?«
Es war nicht leicht, bei Sam war es nie leicht, aber schließlich überzeugte er ihn. Sam, der nicht einmal gern Geld für Haferflocken ausgab, ließ seine schlechte Laune an dem Wächter aus. Der Mann tauchte mit hochrotem Kopf aus der Telefonzelle auf.
Um halb sechs war der Wagen beladen, und um Viertel vor sechs befand er sich wieder auf der Zeitplattform. Barney sah nach, ob alle an Bord waren, dann steckte er den Kopf in Hewetts Kontrollraum.
»Sie können starten, Professor, aber warten Sie, bis ich die Plattform verlassen habe.«
»Heißt das, daß Sie nicht mitkommen?«
»Genau. Ich habe hier noch zu tun. Sie können diese Leute abladen. Mich holen Sie dann in ein paar Stunden ab, sagen wir, gegen zehn. Wenn ich nicht hier bin, rufe ich an und hinterlasse eine Nachricht für Sie.«
Hewett war gereizt. »Ich scheine hier eine Art Zeittaxi zu kutschieren, und ich kann nicht sagen, daß es mir Spaß macht. An und für sich hatten wir vereinbart, daß ich Sie ins elfte Jahrhundert bringen sollte, damit Sie Ihren Film drehen könnten. Statt dessen werde ich laufend als Chauffeur eingesetzt.«
»Langsam, Professor, es ist ja bald zu Ende. Glauben Sie, ich würde ein paar Stunden herschenken, wenn ich nicht wüßte, daß der Film so gut wie fertig ist? Nur noch einen Zeitsprung, ein paar Aufnahmen, und alles ist erledigt.«
Barney stand an der Tür und sah zu, wie die Plattform in der Vergangenheit verschwand. Zurück in die Wildnis Kanadas. Gut, sollten sie fahren. Er nahm ein paar Stunden frei — selbstverständlich mit einem Geschäft verbunden —, doch das sollte ihn nicht daran hindern, sich zu vergnügen. So richtig entspannen konnte er sich erst, wenn der Film fix und fertig war, aber das Ende ließ sich immerhin absehen, und er hatte jetzt seit Monaten wie ein Irrer geschuftet. Der erste Punkt der Tagesordnung sah ein Luxus-Menü bei Chasen vor — das war er sich schuldig. Außerdem hatte es wenig Sinn, sich vor neun Uhr in die Pilzgrotte zu begeben.
Kalifornien und das zwanzigste Jahrhundert kamen ihm unwirklich vor. Alles schien zu schnell zu gehen, die Farben wirkten zu grell, und der Gestank der Auspuffgase bereitete ihm Kopfschmerzen. Puh!
Das Abendessen — mit Cocktails am Anfang, Brandy danach und Champagner in der Mitte — richtete ihn wieder auf, und er fühlte sich ganz wohl, als ihn das Taxi kurz nach neun vor dem Klub absetzte. Er ließ sich nicht einmal von der giftgrünen Tür mit den roten Schädeln und überkreuzten Knochen abschrecken.
»Achtung«, stöhnte eine Grabesstimme, als er die Tür aufstieß. »Wer die Pilzgrotte betritt, tut es auf eigene Gefahr. Achtung …« Die Tonbandstimme schwieg, als er die Tür schloß und sich die schlecht beleuchtete, mit schwarzem Samt bespannte Treppe hinuntertastete. Ein Vorhang aus Leuchtknochen war die letzte Barriere vor dem Sanktum des Klubs. Er war schon früher hier gewesen, deshalb beeindruckte ihn die Dekoration nicht. Sie hatte ihn auch beim erstenmal nicht beeindruckt, da sie Ähnlichkeit mit einer Geisterbahn auf dem Rummelplatz hatte. Grüne Lichter flackerten, Gummispinnweben hingen in den Ecken, und die Stühle hatten die Form von riesigen Knollenblätterpilzen. Er hatte den Saal ganz für sich allein.
»Eine Bloody Mary«, bestellte er bei dem Kellner, der auf Vampir machte. »Ist der Spiderman schon hier?«
»Ich glaube, er ist im Ankleideraum«, murmelte das Geschöpf hinter seinen Plastikfängen hervor.
»Sagen Sie ihm, daß ich ihn sprechen möchte. Barney Hendrickson von den Climactic-Studios.«
Spiderman Spinneke kam noch vor dem Cocktail — eine hagere, schwarzgekleidete Gestalt mit einer riesigen dunklen Brille. »Na, noch am Leben, Opa«, sagte er und ließ seine dürren Finger an Barneys Hand entlanggleiten. »Was macht der Guckkasten?«
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