»Käsebrötchen, Krapfen, Kaffee, Tee …«
»Das regt die Rothäute sicher nicht auf. Sonst noch etwas?«
»Eis.«
»Das könnte gehen. Holen Sie sich ein paar Wikingertöpfe und klatschen Sie gehörige Portionen hinein. Ich möchte wetten, daß die Kerle ebenso auf Süßigkeiten aus sind wie wir normalen Bürger.«
Er hatte recht. Slithey trug eine Gallone Vanilleeis zum Strand, wo einige der Eingeborenen in der Brandung standen. Nachdem sie selbst etwas davon gegessen hatte, gab sie jedem eine Portion. Entweder wirkte das Eis, oder Slitheys Hormone taten das ihre. In ein paar Minuten waren alle Boote an Land gezogen, und die dunkelhaarigen Fremden hatten sich unter die Nordmänner gemischt. Barney stand hinter der Kamera und beobachtete sie.
»Eigentlich sehen sie eher wie Eskimos aus«, sagte er halblaut. »Aber ein paar Federn und ein wenig Kriegsbemalung müßten genügen, um sie echt wirken zu lassen.«
Obwohl sie die flachen Gesichter und die typisch asiatischen Züge der Eskimos hatten, waren sie größer und kräftiger — und bronzefarben. Ihre Kleidung bestand aus zusammengenähten Seehundfellen. Sie sprachen hoch und schnell und schienen ihre Furcht gänzlich verloren zu haben. Das knorr faszinierte sie am meisten. Offenbar hatten sie noch nie so ein großes Schiff gesehen. Barney entdeckte Jens Lyn und winkte ihn zu sich.
»Was haben Sie erreicht? Werden sie für uns arbeiten?«
»Sind Sie wahnsinnig? Ich glaube, daß ich bis jetzt zwei Worte erkannt habe, aber sicher bin ich nicht. Unn-nah scheint Ja zu heißen und henne Nein.«
»Arbeiten Sie weiter. Wir brauchen diese Leute und noch mehr für unsere Indianerangriffe.«
Am Ufer schien ein allgemeiner Gedankenaustausch stattzufinden. Einige der Nordmänner untersuchten die Bündel in den Booten, und die Dorsets öffneten sie und breiteten die Seehundfelle aus. Die Neugierigeren unter den Ankömmlingen waren in die Häuser gegangen und betrachteten dort alles ganz genau. Einer von ihnen entdeckte Gino hinter seiner Kamera und kam ganz dicht an die Linse heran, so daß der Kameramann eine großartige Nahaufnahme machen konnte. Doch er drehte sich schnell um, als er ein Muhen hörte, gefolgt von schrillen Schreien.
Eine Kuh war durch die Sumpfwiese gestrolcht, die an den Wald angrenzte, und der Bulle war ihr gefolgt. Der Bulle war zwar klein, aber ein niederträchtiges, hinterlistiges Biest, und er wirkte durch sein Schielen noch häßlicher, als er war. Er durfte frei herumlaufen und war schon mehr als einmal vom Filmgelände gejagt worden. Er schüttelte die Hörner und brüllte wieder los.
»Ottar«, rief Barney. »Bring den Stier weg, bevor er die Indianer ängstigt.«
Er hatte die Indianer nicht nur geängstigt — er hatte sie zu Tode erschreckt. Sie hatten noch nie zuvor so ein tobendes, schnaubendes Biest gesehen und waren starr vor Angst. Ottar nahm einen starken Ast auf und rannte schimpfend auf den Bullen zu. Das Tier scharrte mit den Hufen im Boden, senkte den Kopf und griff Ottar an. Er trat zur Seite, belegte es mit einem kurzen nordischen Schimpfwort und knallte ihm den Prügel gegen die Flanke.
Das hatte jedoch nicht die gewünschte Wirkung. Anstatt sich seinem Angreifer zu widmen, brüllte das Tier und rannte auf die Dorsets zu. Offenbar brachte es die dunklen, unbekannten Gestalten mit der Unruhe in Verbindung. Die Fremden kreischten und rannten davon.
Die Panik breitete sich aus. Jemand rief, daß die skrælling angriffen, und die Nordmänner suchten nach ihren Waffen. Zwei der verängstigten Dorsets verliefen sich zwischen den Gebäuden und versuchten, in Ottars Hütte einzudringen, aber die Tür war verriegelt. Ottar rannte herbei, um sein Heim zu verteidigen, als einer der Fremden sich mit erhobenem Speer umdrehte, schlug er ihm den Prügel auf den Kopf. Der Mann brach zusammen.
Innerhalb einer Minute war alles vorbei. Der Bulle, die Ursache des ganzen Unglücks, war durch den Bach gewatet und weidete friedlich auf der anderen Seite. Die Fellboote jagten aufs offene Meer hinaus, angetrieben von hastig eingetauchten Paddeln. Viele der Seehundfelle blieben am Ufer liegen. Einer der Knechte hatte eine Handverletzung, zwei der Dorsets waren tot — darunter der, den Ottar erwischt hatte.
»Madonna mia«, sagte Gino und kam schwitzend hinter seiner Kamera hervor. »Was haben diese Leute für ein Temperament! Schlimmer als die Sizilianer!«
»So eine Dummheit«, sagte Jens. Er saß am Boden und drückte beide Hände auf den Magen. »Sie waren verängstigt wie die Kinder. Kinderherzen und Erwachsenenreaktionen! Das führte zu den Kämpfen. Jammerschade!«
»Aber es werden ein paar gute Szenen«, meinte Barney. »Und wir dürfen auch nicht in die Gewohnheiten der Eingeborenen eingreifen. Was ist mit Ihnen los — haben Sie bei der Stampede einen Tritt in den Magen bekommen?«
»Nicht in die Gewohnheiten der Eingeborenen eingreifen — sehr witzig! Sie verändern das ganze Leben dieser Leute wegen Ihres blödsinnigen Kintopps, und dann weigern Sie sich, die Konsequenzen zu tragen …« Er schnitt plötzlich eine Grimasse und biß die Zähne zusammen. Barney sah, daß zwischen seinen Fingern Blut hervorquoll.
»Sie sind verletzt!« sagte er ungläubig. Dann wirbelte er herum. »Tex — den Erste-Hilfe-Kasten! Schnell!«
»Was kümmert Sie das? Ich habe gesehen, wie Sie an dem verletzten Knecht vorbeigingen. Es hat Sie nicht im geringsten berührt. Die Nordmänner sind dafür bekannt, daß sie nach einem Kampf ihre Wunden mit Schusterzwirn zunähten. Warum bringen Sie mir nicht etwas Zwirn?«
»Immer langsam, Jens, Sie sind verwundet. Wir werden uns um Sie kümmern.«
Tex rannte mit dem Erste-Hilfe-Kasten heran und kniete neben dem Verwundeten nieder.
»Was ist geschehen?« fragte er ruhig und überraschend sanft.
»Ein Speer«, erwiderte Jens. »So schnell, daß ich es gar nicht merkte. Ich stand zwischen dem Mann und den Booten. Er hatte panische Angst. Ich hob die Hände und wollte auf ihn einreden, und da spürte ich den Schmerz, und er war fort.«
»Lassen Sie mich mal sehen — hm, ich habe schon viele Bajonettwunden in Neuguinea verarztet.« Seine Stimme war sachlich, und Jens wehrte sich nicht, als er seine Hände zur Seite schob. Mit einem schnellen Schnitt öffnete er die blutbefleckten Kleider.
»Nicht schlecht«, sagte er, als er die Wunde betrachtete. »Ein sauberer Schnitt unterhalb des Magens. Sieht aus, als sei er nicht tief genug gegangen, um ein Organ zu verletzen. Krankenhausfall. Man wird die Löcher zusammenflicken, Sie künstlich ernähren und Sie mit Antibiotika vollpumpen. Wenn man so etwas vernachlässigt, entsteht in ein paar Tagen die schönste Bauchfellentzündung. Und daran kann man sterben.«
»Sie sind verdammt offen«, meinte Lyn, aber er lächelte.
»Immer«, erwiderte Tex und holte eine Morphiumspritze heraus. »Wenn einer weiß, was ihm fehlt, jammert er nicht unnötig. Ist für ihn und die anderen gut.« Er gab ihm die Injektion mit geübter Hand.
»Glauben Sie wirklich, daß die Krankenschwester die Wunde nicht behandeln kann? Ich möchte noch nicht umkehren …«
»Volles Gehalt und Prämie«, sagte Barney aufmunternd. »Und ein Einzelzimmer im Krankenhaus — Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«
»Es geht mir nicht um das Geld, Mister Hendrickson. Auch wenn Sie es nicht glauben, es gibt auf der Welt noch andere Dinge. Für mich zählt nur, was ich hier lerne. Eine Seite meiner Notizen ist mehr wert als alle Spulen Ihres Zelluloidschinkens.«
Barney lächelte und versuchte das Thema zu wechseln. »Heutzutage werden die Filme nicht mehr aus Zelluloid hergestellt, Doktor. Sicherheitsfilm, nicht brennbar.«
Tex schüttelte Schwefelpulver auf die Wunde und legte einen Druckverband an.
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