»Was war los?« rief Amory, der den Hang hinuntergelaufen kam. »War da nicht eben ein Boot?«
Dallas stand auf und stopfte das Hemd wieder in den Hosenbund. »Wir sind auf ein paar Einheimische gestoßen«, sagte er. »Sieht so aus, als wären die Indianer oder Eskimos noch vor den Wikingern hierhergekommen.«
»Sind Sie schwer verletzt?«
»Nicht tödlich. Auf dem Speer stand noch nicht mein Name.« Er grinste und sah sich die Waffe genauer an. »Hübsche Schnitzereien — und vom Ausbalancieren verstehen sie auch schon etwas.«
»Mir gefällt die Sache nicht«, sagte Barney und fingerte eine feuchte Zigarette aus der Tasche. »Als ob wir nicht schon genug Kummer hätten! Hoffentlich entdecken sie das Wikingerschiff nicht.«
»Ich hoffe das Gegenteil«, erklärte Dallas. »Ottar würde kurzen Prozeß mit ihnen machen.«
»Ich kam eigentlich her, weil ich eine gute Nachricht habe«, sagte Amory. »Vom Hügel aus sieht man, daß der Nebel dünner wird und die Sonne durchkommt.«
»Wird auch höchste Zeit«, erwiderte Barney und sog so heftig an seiner Zigarette, daß sie zischte.
Als die Sonne erst einmal durchgekommen war, verschwand der Nebel schnell. Vom Westen her blies ihnen eine steife Brise entgegen. Und nach einer halben Stunde konnten sie Ottars knorr eine Meile vom Ufer entfernt sehen.
Barney lächelte beinahe. »Her mit dem Nebelhorn«, sagte er. »Wenn sie erst einmal in unsere Richtung sehen, entdecken sie sicher den Lastwagen.«
Dallas betätigte das Ventil des Kohlendioxydzylinders, bis das Nebelhorn quäkend sein Leben aushauchte. Aber er hatte den gewünschten Erfolg. Sie konnten sehen, wie das große Segel herumgedreht wurde und die Schiffsnase sich ihnen zuwandte. Von den Eskimos oder Indianern war nichts zu erkennen.
Ein paar hundert Meter vom Ufer entfernt drehte das knorr bei und schaukelte mit flappendem Segel in der sanften Dünung. Die Wikinger winkten und schrien unverständliche Dinge.
»Na, los!« brüllte Barney. »Kommt an Land! Weshalb bleibt ihr da draußen?«
»Sie werden ihre Gründe haben«, meinte Amory. »Vielleicht ist das Ufer für eine Landung ungünstig.«
»Und wie soll ich zu ihnen gelangen?«
»Können Sie schwimmen?« fragte Dallas.
»Kluger Junge. Ich habe gute Lust und lasse Sie hinauskraulen.«
»Da!« Amory deutete auf das Schiff. »Sie haben ein zweites Boot an Bord.« Das eigene Landeboot des knorr, eine Miniatur des Mutterschiffes, war deutlich an Deck sichtbar, aber die Männer ließen ein kleineres Boot ins Wasser.
»Irgendwie kommt es mir bekannt vor«, sagte Dallas.
Barney kniff die Augen zusammen. »Du hast recht wie immer. Es sieht aus wie das Boot der Rothäute.«
Zwei Männer bestiegen das schaukelnde Gefährt und ruderten an Land. Ottar befand sich im Bug, und er winkte ihnen mit dem Paddel zu. Sekunden später zog er mit seinen Begleitern das Fellboot an Land.
»Willkommen in Vinland«, sagte Barney. »Wie war die Reise?«
»Küste hier schlecht, kein Gras für die Tiere, Bäume schlecht«, erklärte Ottar. »Habt ihr einen schönen Platz gefunden?«
»Den schönsten, den du dir denken kannst — ein paar Meilen die Küste entlang. Hattest du Schwierigkeiten, von Grönland hierher zu gelangen?«
»Wind verkehrte Richtung, sehr langsam. Viel schwimmendes Eis. Wir sahen zwei Skrælling [15] Barbaren
. Sie töteten Seehunde und versuchten wegzurudern, aber wir verfolgten sie, und als sie Speere warfen, brachten wir sie um. Wir haben ihre Seehunde gegessen und ihr Brot mitgenommen.«
»Ich weiß, wen du meinst. Wir haben einige ihrer Verwandten kennengelernt.«
»Wo ist der schöne Platz, den du entdeckt hast?«
»Entlang der Küste, an den Inseln vorbei — du kannst ihn nicht verfehlen. Hier, nimm Amory mit, er kann dir den Weg zeigen.«
»Ich nicht«, sagte Amory mit erhobenen Händen und wich einen Schritt zurück. »Mir wird schon schlecht, wenn ich ein Boot ansehe. Ich wäre nach spätestens drei Minuten tot.«
Mit der angeborenen Fähigkeit eines Berufssoldaten, unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen, war Dallas bereits auf den Lastwagen zugewandert, als Barney sich an ihn wenden wollte. »Ich muß den Wagen fahren«, erklärte er.
»Aufopfernde Angestellte«, fauchte Barney. »Schon gut, ich habe verstanden. Ich werde also Ottar begleiten. Weckt Gino auf und sagt ihm, er soll unsere Ankunft filmen. Und verwischt die Räderspuren am Strand.«
»Wird gemacht, Barney. Ich würde wirklich gern Ottar begleiten, aber ich und Schiffe …«
»Ja, ja, verschwinden Sie.«
Barney wurde naß, als er ins Boot stieg, und das Wasser war so eisig, daß er das Gefühl hatte, seine Beine seien unterhalb der Knie amputiert. Das Boot — es bestand aus Seehundfellen, die über ein Holzgestell gespannt waren — schaukelte heftig, und er mußte sich eng zusammenkauern und an beiden Seiten festhalten. Als sie das knorr erreichten, brachte er es nicht fertig, sich auf das Schiff zu ziehen. Schließlich wurde er von den Wikingern wie ein Sack Mehl an Bord geholt.
»Hananú! Sidustu handartökin« [16] »Los! Das letzte Stück Arbeit!«
brüllte Ottar, und seine Männer erwiderten die Aufforderung mit fröhlichem Geschrei. Man schwang das Schiff für den letzten Teil der Reise herum. Barney zog sich zum Heck zurück, um nicht zertrampelt zu werden. Die Seeleute verstellten die Segel, die Frauen wichen kreischend aus, und die Schafe blökten verärgert, wenn sie angestoßen wurden. Das Deck glich einem wimmelnden Bauernhof. Mitten in dem Gewirr molk eine Frau eine zappelnde Kuh. Als das Schiff wendete, trug der Wind Barney den Geruch des Kielraums zu, und der Eindruck des Bauernhofs war vervollständigt.
Sobald sie unterwegs waren, beruhigten sich die Leute ein wenig, und auch die Tiere legten sich friedlich hin. Der Wind füllte nicht nur die Segel, sondern trieb auch die Düfte vor dem Schiff her, und Barney fühlte sich am Heck einigermaßen wohl. Hohe Kielwellen schäumten zu beiden Seiten des Schiffes auf.
»Land sieht gut aus«, sagte Ottar, der das knorr mit leichter Hand steuerte.
»Warte nur, bis wir um die nächste Biegung kommen«, verhieß Barney. »Dort wird es noch schöner.«
Sie passierten die Inseln, die vor der Bucht lagen, und die Tiere witterten frisches Gras und begannen zu brüllen. Der angekettete Bulle zerrte an seinen Fesseln und tobte, die Frauen schrien vor Freude, und die Männer sangen. Die Reise war zu Ende, und sie hatten gutes Land erreicht. Selbst Barney spürte eine gewisse Erregung, als sich die Epaves-Bucht vor ihnen öffnete. Die hohen Bäume hoben sich vom blauen Himmel ab, und durch die frühlingsgrünen Wiesen zog der blitzende Bach. Dann entdeckte Barney seinen Kameramann und den Jeep, und er erinnerte sich an den Film. Er machte sich klein und setzte einen Wikingerhelm auf, damit er im Bild nicht störte.
Ottar ließ sein Schiff mit voller Geschwindigkeit auf die Bachmündung zutreiben, und alle an Bord jubelten vor Begeisterung. Das knorr schürfte über den sandigen Boden, wurde von einer Welle noch ein Stück nach vorn geworfen und hielt dann knirschend an. Ohne sich um die Segel zu kümmern, sprangen die Männer und Frauen an Land. Sie wateten fröhlich durch den Bach. Ottar betrat die Wiese, riß eine Handvoll des kniehohen Grases aus, roch daran und kaute ein paar Halme. Einige der anderen wälzten sich vor Vergnügen am Boden. Sie freuten sich, endlich wieder auf festem Land zu sein.
»Großartig!« rief Barney. »Einfach großartig! Die Landung auf Vinland nach monatelanger Fahrt — die ersten Siedler der neuen Welt. Ein großartiges Bild, ein großartiges, historisches Bild.« Er kämpfte sich durch die unruhigen Tiere zum Bug vor und winkte den Kameramann herbei. »Da unten reicht es«, rief er. »Hierher!«
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