Professor Hewett nickte und blätterte in einem Notizbuch. »Ich habe mir da ein ideales Plätzchen gemerkt.« Er stellte die Koordinaten ein und betätigte die Maschine.
Barney erlebte das inzwischen vertraute Gefühl der Zeitverschiebung, und dann landete die Plattform an einem felsigen Uferstreifen. Die Wellen rauschten fast bis zu ihnen heran, und eine düstere Klippe ragte aus dem Meer.
»Was soll denn das sein?« schrie Barney über die donnernde Brandung hinweg.
»Falsche Koordinaten«, rief der Professor zurück. »Ein kleiner Irrtum. Wir sind an einem falschen Platz gelandet.«
»Das dachte ich mir fast. Verschwinden wir, bevor wir ins Meer hinausgespült werden!«
Die zweite Reise brachte sie zu einer Wiese über einer kleinen Bucht. Hohe Bäume bedeckten die Flanken der Hügel, die hinter der Wiese anstiegen. Ein klarer Bach schlängelte sich zur Bucht hinunter.
»Das gefällt mir schon besser«, meinte Barney, als die anderen den Jeep verließen. »Wo sind wir, Jens?«
Jens Lyn sah sich um und sog prüfend die Luft ein. »Das hier ist die Epaves-Bucht, eigentlich ein Ausläufer der Heiligen Bucht an der nördlichsten Spitze Neufundlands. Da draußen liegt die Meerenge von Belle Isle. Wir haben diesen Platz gewählt …«
»Großartig. Genau das, was wir brauchen. Und Ottars Schiff kommt doch in die Meerenge, oder?«
»Genau.«
»Dann ist alles in Ordnung.« Barney bückte sich, nahm eine Handvoll nassen Schnee von der Plattform und formte einen Ball. »Das Gebiet an der Bachmündung lassen wir für Ottar und seine Leute frei. Wir schlagen unser Lager rechts am Rand der Wiese auf. Also los. Holen wir die Kollegen her. Aber zuerst machen wir die Plattform vom Schnee frei. Noch ein gebrochenes Bein können wir uns nicht leisten.«
Dallas bückte sich, um sein Schuhband festzuknoten, und Barney konnte nicht widerstehen. Er warf den Schneeball und traf die Blue jeans genau da, wo sie am straffsten gespannt war.
»Es geht los, Wikinger!« rief er fröhlich. »Wir besiedeln Vinland.«
Die ganze Welt war grau, feucht und still. Der Nebel dämpfte die Geräusche und machte das Meer unsichtbar. Nur die flache Welle, die sich dicht vor ihren Füßen brach, zeugte von seiner Gegenwart. Der Laster stand nur ein paar Meter von ihnen entfernt, aber auch er verschwamm im Nebel.
»Versuch es noch einmal«, sagte Barney und blinzelte in den Wattevorhang.
Dallas, der sich in einen riesigen schwarzen Poncho gehüllt hatte und einen breitrandigen Stetson trug, hob den Druckzylinder, an dem das Nebelhorn befestigt war, und öffnete das Ventil. Ein dumpfes Dröhnen ging über das Wasser. Es hielt noch an, nachdem das Ventil geschlossen war.
»Habt ihr das gehört?« fragte Barney.
Dallas hielt den Kopf schräg und horchte. »Nichts, nur die Wellen.«
»Ich könnte schwören, daß ich ein Klatschen hörte — so als würden Ruder ins Wasser getaucht. Laßt das Horn in Abständen von einer Minute Signale geben. Und hört genau hin!« Barney ging müde den Hang hinauf, wo der Armeelaster stand. Er warf einen Blick auf die Ladefläche. »Irgendeine Veränderung?« fragte er.
Amory Blestead schüttelte den Kopf, ohne sich vom Funkempfänger abzuwenden. »Soweit ich das beurteilen kann, hat sich das Schiff nicht bewegt«, sagte er. »Die Richtung ist die gleiche geblieben. Wahrscheinlich warten sie, bis der Nebel sich auflöst.«
»Wie weit sind sie entfernt?«
»Barney, seien Sie vernünftig! Ich habe Ihnen schon hundertmal erklärt, daß ich mit dieser Anordnung nur die Richtung, aber nicht die Entfernung feststellen kann. Das Signal ist stärker als vor drei Tagen, also sind sie nähergekommen. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Schon gut. Das wissen Sie also nicht. Was wissen Sie dann?«
»Das, was ich Ihnen schon sagte. Das Schiff ist vor achtzehn Tagen von Grönland aufgebrochen. Ich habe den Kreiselkompaß auf die Meerenge von Belle Isle eingestellt, neue Batterien eingebaut und zugesehen, wie Ottar startete.«
»Sie und Lyn erzählten mir, daß die Fahrt nur vier Tage dauern würde.« Barney bearbeitete einen eingerissenen Nagel mit seinen Zähnen.
»Wir sagten, die Reise könnte vier Tage dauern, wenn alles gut ginge. Wir sagten auch, daß sie viel länger dauern würde, wenn schlechtes Wetter käme oder die Windrichtung wechselte. Und das ist eingetroffen. Aber wir haben das Signal aufgefangen, und das heißt, daß sie das Meer überquert haben.«
»Das war vor zwei Tagen — was haben Sie seitdem für mich getan?«
»Ein Rat unter Freunden, Barney — diese Zeitreisen sind nichts für Ihre Nerven. Wir sollen einen Film drehen, nicht wahr? All diese anderen Dinge haben nichts mehr mit unserer Pflicht zu tun — nicht daß ich mich beschweren möchte. Aber wenn Sie weniger hetzen würden, wäre es leichter für uns und für Sie.«
»Sie haben recht«, sagte Barney, und dieses Zugeständnis bedeutete bei ihm eine große Entschuldigung. »Aber zwei Tage — das Warten macht mich zappelig.«
»Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen. Bei diesem Nebel und bei diesem schwachen Wind legt man einfach nicht an einer fremden Küste an. Es wäre Unsinn, aufs Geratewohl dahinzurudern …«
»He!« rief Dallas von der Küste. »Ich höre etwas auf dem Wasser draußen.«
Barney rutschte und stolperte den Hang hinunter. Dallas hatte die Hand ans Ohr gelegt und horchte angespannt.
»Still«, sagte er. »Vielleicht hört ihr es auch. Da draußen im Nebel ist etwas. Ich schwöre, daß ich Ruder gehört habe — und Stimmen.«
Eine Welle brach sich und schlug wieder zurück, und einen Moment lang herrschte Schweigen — dann hörten sie deutlich das Klatschen der Ruder.
»Du hast recht!« rief Barney. Er hob die Stimme. »Hallo — hierher!«
Dallas rief ebenfalls. Das Nebelhorn hatten sie ganz vergessen. Aus dem Nebel tauchte eine dunkle Form auf.
»Es ist das Boot, das sie an Deck hatten«, sagte Dallas.
Sie riefen und winkten, als ein Riß in der Nebelwand einen Moment lang das Boot und seine Insassen klar erkennen ließ.
Das Boot bestand aus dunklen Fellen, und die drei Männer trugen Pelzanoraks. Sie hatten die Kapuzen nicht aufgesetzt, und man konnte ihr langes, dunkles Haar deutlich sehen.
»Das sind keine Wikinger«, stellte Tex fest. »Aber was könnten sie sonst sein?«
Zwei der Männer saßen im Heck und ruderten, aber der dritte kniete vorn. Plötzlich schnellte sein Arm vor, und ein dünner Schaft flog auf Dallas zu.
»Sie haben mich erwischt«, ächzte Dallas. Er fiel zu Boden. Aus seiner Brust ragte ein Speer. Das Nebelhorn schlug neben ihm auf einen Stein, und dabei öffnete sich das Ventil. Ein jämmerliches Klagen ging über das Wasser. Als die Männer im Boot es hörten, drehten sie um und paddelten mit aller Kraft zurück in den Nebel. Im nächsten Moment waren sie verschwunden.
Es waren nur ein paar Sekunden vergangen, und Barney stand starr wie eine Salzsäule da. Das Dröhnen des Nebelhorns ließ ihn nicht zum Denken kommen. Er mußte es abstellen. Dann sah er Dallas, der reglos und stumm auf dem Rücken lag.
»Könnten Sie wohl den Speer herausziehen?« fragte Dallas ruhig.
»Ich … ich kann nicht — ich würde alles noch schlimmer machen …«
»Es ist harmloser, als es aussieht. Aber ziehen Sie unbedingt nach oben. Ein Millimeter tiefer, und es ist aus.«
Barney zog vorsichtig an dem Holzschaft. Der Speer ließ sich ohne weiteres aus der Wunde ziehen, aber er verhedderte sich in den Kleidern des Revolvermanns. Barney riß ihn schließlich zusammen mit einem Stück Poncho heraus. Dallas setzte sich auf und öffnete Jacke und Hemd.
»Seht euch das an«, sagte er und deutete auf den roten Streifen an seinen Rippen. »Ein paar Zentimeter weiter rechts, und mir wäre die Luft ausgegangen. Der Haken da bohrte sich in meine Haut, als ich mich bewegte. Ich kann euch sagen, es war kein schönes Gefühl.« Er berührte den scharfen Haken, der von der Spitze des Speeres abstand.
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