Die Eltern? Ist das strenge Inzest-Tabu nur ein Tabu gegen das Darüber-Sprechen, nicht aber gegen das aktive Handeln? Eines Tages komme ich hoffentlich mal dahinter bisher ist mir aber noch niemand über den Weg gelaufen, den ich danach hätte fragen können. Vielleicht kann Janet mir Aufschluß geben. Eines Tages …
Wir verabredeten uns zum Abendessen, dann suchten Burt und Anna das Foyer und/oder das Kasino auf, während Goldie und ich zum Industrie-Park fuhren. Burt wollte sich Arbeit suchen, hatte aber die Absicht, vorher noch einen draufzumachen. Anna sagte nichts dazu, aber ich nehme an, auch sie wollte von den Fleischtöpfen kosten, ehe sie ihr Leben als diensthabende Großmutter aufnahm. Ich suchte ebenfalls Arbeit, das stimmt — aber vorher mußte ich mir einiges durch den Kopf gehen lassen.
Mit ziemlicher Sicherheit würde ich auswandern.
Der Chef hatte mir das empfohlen, und das genügte mir als Grund. Daneben hatte mich aber die Studie über die Zerfallserscheinungen in den menschlichen Kulturen, die ich für ihn hatte anstellen müssen, auf Dinge aufmerksam werden lassen, die mir schon lange bekannt waren, die ich aber nie analysiert hatte.
Gegenüber den Kulturen, in denen ich gelebt oder die ich durchreist hatte, war ich nie kritisch aufgetreten — Sie müssen sich dazu klarmachen, daß eine Künstliche Person ohnehin stets eine Fremde bleibt, wo immer sie auch ist, wie lange sie auch an einem Ort bleibt. Kein Land konnte jemals ganz das meine sein warum sollte ich mir also den Kopf darüber zerbrechen?
Aber als ich die Frage untersuchte, ging mir auf daß unser alter Planet in schlimmer Verfassung war.
Neuseeland ist ein hübsches Fleckchen Erde, ebenso Britisch-Kanada, aber auch in diesen beiden Ländernzeigten sich ziemlich deutliche Verfallserscheinungen. Doch waren diese beiden noch die besten von allen.
Trotzdem wollte ich nichts überstürzen. Den Planeten zu wechseln, das macht man nicht zweimal im Leben — es sei denn, man ist ungeheuer reich, was auf mich nicht zutraf. Die Unterstützung, die ich erfahren würde, galt für eine Auswanderung — da mußte ich mir wirklich gleich den richtigen Planeten aussuchen denn ein Fehler ließ sich nicht mehr korrigieren.
Außerdem … Nun ja, wo war Janet?
Der Chef hatte eine Kontaktadresse oder einen Komm-Kode gehabt — nicht ich!
Der Chef hatte einen Verbindungsmann im PolizeiHQ von Winnipeg — nicht ich!
Der Chef verfügte über sein weltumspannendes Pinkerton-Netz — nicht ich!
Ich konnte versuchen, sie von Zeit zu Zeit anzurufen. Ich würde es tun. Ich konnte bei ANZAC und in der Universität von Manitoba zurückfragen, und auch das wollte ich tun. Ich konnte den AucklandKode und die biologische Fakultät an der Universität Sydney im Auge behalten. Ja, das würde ich tun.
Aber wenn das alles nichts fruchtete, was konnte ich darüber hinaus unternehmen? Ich konnte nach Sydney fahren und mit Hilfe meiner schönen Augen versuchen, an Professor Farneses Privatanschrift oder Studienanschrift heranzukommen. Aber das würde nicht billig sein, zumal mir erst kürzlich abrupt zu Bewußtsein gekommen war, daß Reisen, wie ich sie in der Vergangenheit für selbstverständlich gehalten hatte, in der Zukunft problematisch sein würden und vielleicht gar nicht mehr in Frage kamen. Die Fahrtnach Neusüdwales, ehe die Semiballistischen Raketen wieder flogen, würde mich sogar sehr teuer zu stehen kommen. Möglich war es — mit der Tunnelbahn und Schwimmfahrzeugen auf einem Weg, der mich zu drei Vierteln um die Welt führen würde — aber es würde keine einfache und keine preisgünstige Sache sein.
Vielleicht konnte ich mich als Schiffsmädchen verdingen, auf der Route San Francisco — Australien. Das war bestimmt billig und einfach — aber zeitraubend selbst wenn ich mir einen Shipstone-betriebenen Tanker aussuchte, der von Watsonville aus startete. Ein segelbetriebener Frachter … Also, nein.
Vielleicht sollte ich in Sydney einen PinkertonMann einstellen. Wie sahen die Honorarsätze aus?
Konnte ich mir so etwas leisten?
Nicht ganz sechsunddreißig Stunden nach dem Tod unseres Chefs ging mir die Tatsache auf, daß mir der wahre Wert des Gramms bisher nicht zu Bewußtsein gekommen war.
Bedenken Sie — bis jetzt war mein Leben von drei wirtschaftlichen Gegebenheiten bestimmt gewesen:
a) Auf einer Mission hatte ich ausgegeben, was nötig war.
b) In Christchurch verbrauchte ich nicht viel Geld — in erster Linie für Geschenke an die Familie.
c) Auf der Farm, im nächsten Hauptquartier und schließlich im Pajaro Sands hatte ich überhaupt nichts ausgegeben. Essen und Unterkunft waren vertraglich festgelegt. Ich trank und spielte nicht. Wäre ich nicht Anita in die Klauen geraten, hätte ich jetzt ein hübsches Sümmchen beisammen.
Ich hatte ein beschütztes Leben geführt und dabeiden wahren Wert des Geldes nicht abzuschätzen gelernt.
Einfache Rechenaufgaben gelingen mir allerdings auch ohne Terminal. Meinen Anteil an der Rechnung des Cabaña Hyatt hatte ich bar bezahlt. Für die Fahrt in den Freistaat hatte ich meine Kreditkarte genommen, die Kosten aber vermerkt. Ich notierte mir auch den Zimmertarif im Dunes-Hotel und behielt die anderen Kosten im Auge, ob nun auf Karte, Bargeld oder auf Zimmerrechnung.
Sofort wurde mir klar, daß das Wohnen in ErsteKlasse-Hotels mein Gold innerhalb verfügbarer Zeit aufzehren würde, selbst wenn ich keine Ausgaben hatte für Reisen, Kleidung, Luxusgüter, Freunde und Notfälle. Quod erat demonstrandum. Entweder mußte ich mir Arbeit verschaffen oder mich für einen Kolonisationsflug entscheiden.
Mir kam der schlimme Gedanke, daß der Chef mir weitaus mehr gezahlt hatte, als ich wert war. Gewiß ich bin ein guter Kurier, einen besseren gibt es nicht aber wie sieht der Tarif für Kuriere eigentlich aus?
Ich konnte mich natürlich als einfacher Soldat anheuern lassen, was mir schnell die Sergeants-Streifen verschaffen würde (davon war ich überzeugt). Dieser Weg reizte mich aber nicht sonderlich — wahrscheinlich blieb mir dennoch nichts anderes übrig. Eitelkeit gehört nicht zu meinen Fehlern; für die meisten Zivilistenposten war ich ungeeignet, da mache ich mir nichts vor.
Hierhin fühlte ich mich gezogen, etwas anderes aber schob mich dorthin. Ich wollte gar nicht allein auf einen fremden Planeten ziehen. Der Gedanke erfüllte mich mit Angst. Ich hatte meine EnEs-Familie verlo-ren (wenn ich sie jemals richtig gehabt hatte), der Chef war gestorben, und mir war zumute wie einem kleinen verirrten Küken — meine echten Freunde unter den Kollegen waren in alle Winde verstreut, bis auf diese drei die aber ebenfalls eiligst ihren Abgang vorbereiteten — und zu allem Übel hatte ich den Kontakt zu Georges und Janet und Ian verloren.
Obwohl Las Vegas rings um mich pulsierte, fühlte ich mich so einsam wie Robinson Crusoe.
Am liebsten hätte ich es gesehen, wenn Janet und Ian und Georges mit mir ausgewandert wären. Dann würde ich keine Angst haben. Dann konnte ich wieder lächeln.
Außerdem — der Schwarze Tod. Die Pest kehrte zurück.
Ja, ja, ich hatte dem Chef eingeredet, meine mitternächtliche Prognose wäre Unsinn gewesen. Er aber hatte gekontert, seine analytische Abteilung habe dieselbe Voraussage getroffen, in vier Jahren, anstatt in dreien. (Ein kleiner Trost!)
So war ich denn gezwungen, meine eigene Vorhersage ernst zu nehmen. Ich mußte Ian und Janet und Georges warnen.
Ich nahm nicht an, daß ich sie damit in Angst und Schrecken versetzen würde — das ist bei diesen drei Menschen wohl nicht möglich. Aber ich wollte ihnen sagen: „Wenn ihr schon nicht auswandert, solltet ihr wenigstens meine Warnung ernst nehmen und euch von den großen Städten fernhalten. Wenn Schutzimpfungen angeboten werden, müßt ihr mitmachen.
Aber hört auf meine Warnung!“
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