„Du wirst es aufschreiben, und dann wird es wieder geklaut!“
„Ich schreibe nichts auf, Ehrenwort!“
„Meinetwegen. Du weißt etwas , und ich weiß etwas . Rede du zuerst!“
„Hast du es nicht gelesen?“
„Ich kann nicht lesen.“
„Gut … Das letzte, woran ich mich erinnere … Ich suchte Kontakt mit Vivitch zu bekommen, nachdem ich mich aus diesen unterirdischen Trümmern im japanischen Sektor herausgewunden hatte, aber es gelang nicht. Jedenfalls erinnere ich mich dessen nicht. Ich weiß nur, daß ich nachher selber gelandet bin, manchmal glaube ich, ich wollte dem Sendling etwas wegnehmen, denn dieser war irgendwo hineingeraten oder hatte etwas gefunden … Ich weiß nicht einmal, welcher Sendling es gewesen ist. Der molekulare wohl nicht? Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.“
„Der aus Pulver?“
„Ja“, bestätigte ich und setzte vorsichtig hinzu: „Aber sicher weißt du …“
„Sag erst alles, was du weißt“, gab sie zurück. „Du sagtest, es scheine dir manchmal so. Wie scheint es dir sonst ?“
„Daß dort überhaupt kein Sendling war oder daß er zwar da war, ich ihn aber nicht suchte, weil …“
„Weil was?“
Ich zögerte. Sollte ich bekennen, daß das, woran ich mich zuweilen erinnerte, wie ein unwahrscheinlicher Traum war, den Worte nicht zu fassen vermochten und der nur einen ungewöhnlichen Sinneseindruck hinterließ?
„Ich weiß nicht, was du denkst“, fühlte ich die Tastzeichen, „aber ich weiß, daß du etwas im Schilde führst. Ich spüre es!“
„Warum sollte ich?“
„Darum. Die Intuition bin ich. Rede! Was erscheint dir sonst ?“
„Ich habe dann den Eindruck, als sei ich auf eine Aufforderung hin gelandet. Ich weiß aber nicht, wer sie an mich gerichtet hat.“
„Was hast du ins Protokoll geschrieben?“
„Darüber nichts.“
„Sie hatten aber die Kontrolle, sie haben die Aufzeichnungen. Sie wissen, ob du vom Mond eine Aufforderung erhalten hast oder nicht. Sie konnten alles mithören. Die Agentur weiß es.“
„Ich weiß nicht, was die Agentur weiß. Mit eigenen Augen habe ich Mitschnitte der Zentrale nicht gesehen, weder in Ton noch in Bild. Nichts. Das weißt du doch.“
„Ja. Und noch etwas weiß ich.“
„Was?“
„Du hast diesen Pulverförmigen verloren.“
„Den Dispersanten? Natürlich habe ich ihn verloren, sonst wäre ich nachher nicht in den Raumanzug gestiegen und …“
„Dummkopf. Du hast ihn anders verloren.“
„Wie denn? Hat er sich aufgelöst?“
„Nein. Er ist gekapert worden.“
„Von wem?“
„Ich weiß nicht, vom Mond, von etwas oder jemandem. Er hat sich dort verwandelt, von selbst. Von Bord aus war es zu sehen.“
„Ich habe es gesehen?“
„Ja, aber du hattest keine Kontrolle mehr über ihn.“
„Wer hat ihn dann gesteuert?“
„Ich weiß nicht, vom Raumschiff war er abgekoppelt, hat sich aber weiterhin verwandelt — in diese verschiedenen Programme.“
„Das kann nicht sein.“
„Doch. Mehr weiß ich nicht. Dann erst wieder unten auf dem Mond. Ich bin dort gewesen, das heißt du und ich, gemeinsam. Dann ist Tichy umgefallen.“
„Was sagst du da?“
„Er ist umgefallen. Das muß die Kallotomie gewesen sein, bei mir ist an dieser Stelle ein Loch. Dann war ich wieder an Bord, du packtest den Raumanzug in den Container, und der Sand rieselte.“
„Sollte ich gelandet sein, um zu sehen, was mit diesem molekularen Sendling passierte?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht. Bei mir ist da ein Loch. Dazu diente die Kallotomie.“
„Sie war vorsätzlich?“
„Ja, ganz bestimmt. Damit du wiederkommst und nicht wiederkommst.“
„Das haben mir Shapiro und wohl auch Gramer ebenfalls gesagt, nur nicht so direkt.“
„Das ist ein Spiel. Sie wissen einiges, anderes fehlt ihnen. Auch sie haben sicherlich irgendwo Löcher.“
„Warte mal, warum bin ich umgefallen?“
„Wegen der Kallotomie, du Dummkopf. Das Bewußtsein war weg, wie soll man da nicht umfallen!“
„Und der Sand? Dieser Staub? Woher kam der?“
„Ich weiß nicht. Nichts weiß ich.“
Darauf schwieg ich lange. Es ging auf acht Uhr, draußen war es hell, aber ich sah nichts, so fieberhaft dachte ich nach. Das Mondprojekt war in Trümmer gegangen? In diesem Schutt spielten sich nicht nur sinnlose Kämpfe und Umtriebe ab, hier bahnte sich zugleich etwas an, was auf Erden niemand vorhergesehen und schon gar nicht programmiert hatte … Das aber, was da im Entstehen war, sollte den Sendling von Lax geknackt oder vielmehr unter Kontrolle genommen haben? Ich erinnerte mich daran nicht, konnte mich — offenbar wegen der Kallotomie — nicht erinnern. Der gekidnappte Sendling mußte mich auf den Mond gelockt haben — entweder in böser oder in anderer Absicht. In böser Absicht? Um mein Gedächtnis auszulöschen? Was hätte er davon gehabt? Wahrscheinlich nichts. Oder hatte er mir etwas geben wollen? Hätte er mir nur eine Mitteilung machen wollen, wäre meine Landung unnötig gewesen. Nehmen wir an, er habe mir diesen Staub gegeben — etwas oder jemand habe aber nicht gewollt, daß diese Operation gelingt, und durch die Durchtrennung des Balkens mein Gehirn versehrt. Dann hatte, sollte es sich so verhalten haben, DAS, was den Dispersanten lenkte, mich gerettet? Oder war es weniger um die Rettung Tichys gegangen, sondern darum, daß eine Botschaft auf die Erde gelangte, ebenjener feinkörnige, schwere Staub? Nein, allein als Information konnte er nicht gedient haben, er war etwas Materielles, Handfestes, das ich mit mir nehmen sollte. Ja, so fügte sich ein Teil des Rätsels zu einem größeren Ganzen, das dennoch nicht völlig plausibel wurde. Deshalb teilte ich diese Hypothese möglichst rasch meiner zweiten Hälfte mit.
„Das kann schon sein“, antwortete sie endlich. „Diesen Staub haben sie jetzt hier, aber das genügt ihnen nicht.“
„Daher diese Überfälle, Rettungen, Überredungsversuche, Besuche und Alpträume?“
„Danach sieht es aus. Du sollst dich, das heißt mich, ihren Untersuchungen ausliefern.“
„Aber sie erfahren doch nichts, wenn du nicht mehr weißt, als du sagst …“
„Wohl nicht.“
„Wenn aber DORT etwas so Mächtiges entstanden ist, das den dispergierten Sendling in seine Gewalt bringen konnte, so mußte es doch auch imstande sein, direkt in Verbindung zur Erde zu treten. Mit der Agentur, der Leitzentrale, mit wem immer es wollte, zumindest aber mit den Leuten, die die Agentur entsandte, nachdem ich zurück war.“
„Keine Ahnung. Wo sind die Neuen gelandet?“
„Das weiß ich nicht. Jedenfalls sieht es aus, als gebe es widersprüchliche Interessen sowohl HIER als auch DORT. Was kann DORT aus diesem Krebs, diesen Zerfallserscheinungen, durch diese Ordogenese, wie Gramer es nannte, entstanden sein? Ein System, eine Ordnung? Eine elektronische Selbstorganisation? Aber warum? Zu welchem Zweck?“
„Wenn etwas entstanden ist, dann ohne jeden Zweck. Genau wie das Leben auf der Erde. Die Elektroniken haben sich gegenseitig aufgefressen. Die Programme sind ausgeflippt. Die einen drehen sich im Kreis, andere sind zusammengebrochen, wieder andere sind ins Niemandsland eingedrungen und veranstalten Spiegelerscheinungen und Fata Morganen.“
„Vielleicht, vielleicht“, sagte ich mehrfach stumpfsinnig, aber dennoch in einer sonderbaren Erregung. „Möglich, möglich, ich kann mir das jedenfalls vorstellen. Falls überhaupt ein derart kompletter Zerfall eingetreten ist und daraus Fotobakterien oder Viren aus integrierten Schaltkreisen entstehen konnten, so gewiß nicht überall, höchstens an einem bestimmten Ort infolge eines ungewöhnlichen Zusammentreffens mehrerer Zufälle. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das Entstandene sich auf seine Weise auszubreiten begann, aber daß daraus ein JEMAND werden konnte — nein! Das wäre reine Faselei. Ein Geist aus Teilchen konnte dort nicht zur Welt kommen. Ein Verstand, auf dem Mond, aus dieser zertrümmerten Elektronik? Nein, das ist reine Phantasie.“
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