»Sie meinen Affen?«
»Ja, natürlich Affen.« Der schmale Brustkorb des Fragestellers wurde von einem heiseren Lachen geschüttelt. »Menschen werden Sie ja wohl kaum gefunden haben, oder?«
Spontane Heiterkeit im Saal. Besonders die Schöne an der Seite des Spitzbärtigen schien sich geradezu auszuschütten vor Lachen.
Axt wurde rot, versuchte dann aber mitzulachen. Die Sache wuchs ihm über den Kopf. Er war nicht gewohnt, soviel zu lügen, jedenfalls nicht, wenn es um seine Wissenschaft ging.
Mitte der letzten Woche hatten sie das Ergebnis der Altersbestimmung erhalten. Das Skelett war 48 bis 50 Millionen Jahre alt, wies also dasselbe Alter auf wie alle anderen Fundstücke in der Grube auch, ein Ergebnis, wie es in diesem Fall schlimmer nicht hätte ausfallen können.
Damit war die letzte Hoffnung dahin, noch eine einigermaßen vernünftige Erklärung für die Existenz dieses Gerippes zu finden. Es war und blieb eine einzige unerträgliche Verhöhnung ihrer Arbeit, ein reales Ding der Unmöglichkeit.
Schmäler schien damit besser fertig zu werden als er. Sein Optimismus war in keiner Weise erschüttert, und er hatte ihm mitgeteilt, er habe bei den Kollegen in München schon eine Kontrolluntersuchung in Auftrag gegeben. In Niedners Labor müsse irgend etwas schiefgegangen sein, vielleicht Verunreinigungen oder einfach ein Computerfehler. Das Ergebnis aus München würde die Sache sicher bald klären. Die hätten dort die bessere Laborausstattung.
Kontrolluntersuchung hin, Kontrolluntersuchung her, Axt war fertig mit der Welt. Was würden sie als nächstes finden? Einen fossilisierten Farbfernseher? Einen flachgepreßten PC?
Einfach lachhaft.
Als sich das Auditorium wieder beruhigt hatte, blieb ihm nichts weiter übrig, als die Frage zu beantworten.
»Haha, natürlich nicht.«
Doch, schrie es in seinem Kopf, doch, und was für ein Prachtexemplar. Er schluckte und rieb sich mit der Hand über die Mundwinkel. Dann hatte er sich wieder im Griff. »Bisher haben wir nur Fragmente einer Lemurenart gefunden. Wir erwarten da aber noch mehr.«
Allerdings, meldete sich wieder dieser Teufel in seinem Kopf, es ist schon da, es liegt in unserem Keller, samt Armbanduhr und Zahnkronen.
»Wie Sie vielleicht wissen, sind aus dem etwa gleich alten Ausgrabungsgebiet im Geiseltal in der Nähe von Halle fünf Primatenarten bekannt«, fuhr er fort. »Möglicherweise sind diese baumbewohnenden Tiere in Messel eher unterrepräsentiert, weil sie nur auf Umwegen in den See gelangen konnten.«
»Ja, das wäre natürlich eine plausible Erklärung. Ich danke Ihnen.«
Geschafft! Der Spitzbärtige ließ sich wieder auf seinen Sitz fallen, beugte sich kurz zu seiner Begleiterin hinüber und sagte irgend etwas. Sie nickte und warf Axt einen flüchtigen Blick zu.
Schubert ergriff das Wort und erlöste ihn.
»So, da ich keine weiteren Wortmeldungen mehr sehe, beende ich hiermit die Diskussion, danke unserem Referenten Herrn Dr. Axt und möchte Sie noch auf unseren Vortrag in der nächsten Woche hinweisen. Ich bin sicher, er wird ebenfalls auf großes Interesse stoßen. Prof. Riedl aus Wien wird über Evolutionäre Erkenntnistheorie sprechen. Ich bitte wieder um zahlreichen Besuch. Danke!«
Sofort entlud sich lautes Stimmengewirr, man hörte das Zurückklappen der Sitzflächen, das Schnappen von Aktentaschenverschlüssen. Die Spannung in Axt ließ langsam nach.
Das war wohl noch einmal gut gegangen. Er packte seine Unterlagen zusammen und bereitete sich innerlich auf den Ansturm der persönlichen Fragesteller vor, der nun zu erwarten war. Aus den Augenwinkeln sah er sie schon sternförmig auf ihn zukommen, aber es waren nicht so viele, wie er befürchtet hatte. Neben zwei, drei Wissenschaftlern, die ihm vielleicht nur die Hand schütteln oder sich verabschieden wollten, näherte sich ein unsicher und schlaksig wirkender, baumlanger junger Mann, wahrscheinlich ein Student. Kurz hinter ihm folgte eine hagere, dürre Gestalt mit unregelmäßigen Zähnen, die er grinsend präsentierte. Axt nahm etwas Schwärzliches, Blinkendes an seinem rechten Schneidezahn wahr, als er von rechts den Spitzbärtigen mit seiner Miss Universum im Schlepptau auf sich zuhumpeln sah.
Dumme Fragen
Das Bild des schillernden Prachtkäfers traf Micha wie ein Donnerschlag in finsterer Nacht. Plötzlich war er hellwach und saß kerzengerade, so als hätte ihm jemand mit einem Ruck eine Lanze durch den Rücken getrieben. Ohne daß er es wollte, gab er einen erstickten Laut von sich, so daß sich Karin und Detlef umdrehten und ihn fragend anschauten.
Natürlich hatte er das Bild nur kurz betrachten können, viel zu kurz, um Einzelheiten zu erkennen, aber die Ähnlichkeit mit dem Käfer von Tobias war erstaunlich. Er hatte bisher gar nicht gewußt, daß es, abgesehen von Bernsteineinschlüssen, überhaupt so gut erhaltene Insektenfossilien gab, geschweige denn, daß diese Käfer den modernen Formen so ähnlich waren.
Er nahm sich vor, nach der Diskussion zu Axt zu gehen und ihn darauf anzusprechen. Normalerweise hielt er nichts von diesen Typen, die, kaum war das letzte Wort verklungen, nach vorne stürzen und den erschöpften Referenten Löcher in den Bauch fragen mußten. In seinen Augen wollten sie sich nur wichtig machen. Aber er mußte versuchen, mehr über dieses Tier herauszubekommen.
Die Diskussion verlief wie üblich. Einige Fragen mutiger Studenten und dann die Monologe von Persigel und Zeugner, den beiden High-Tech-Biologen, die demonstrieren mußten, daß sie über alles und jedes Bescheid wußten. Micha war so damit beschäftigt, sich seine Fragen zu überlegen, daß er fast den Auftritt von Sonnenberg und den darauffolgenden Heiterkeitsausbruch seiner Schönen verpaßt hätte, deren lautes, fast gehässiges Lachen alles andere übertönte.
Dann war es soweit. Schubert beendete das Colloquium. Micha nahm allen Mut zusammen und pirschte sich langsam an Axt heran, der noch damit beschäftigt war, ihm entgegengestreckte Hände von Wissenschaftlern des Instituts zu schütteln.
Als er von links Sonnenberg und darüber, fast in einer anderen Sphäre, ihren Kopf näherkommen sah, verlor er fast den Mut, aber Axt hatte ihn schon bemerkt und sah ihn erwartungsvoll an. Jetzt oder nie.
»Äh, Herr Axt, ich hätte da noch eine Frage«, hörte er sich sagen. Seine Stimme klang in dieser ungewohnten Situation ganz fremd für ihn, wie die Stimme eines anderen Menschen, quäkig, regelrecht unangenehm.
»Ja, bitte, fragen Sie!« erwiderte Axt freundlich, schien aber aus den Augenwinkeln ebenfalls zu verfolgen, wie Sonnenberg und seine Begleiterin auf ihn zusteuerten.
»Dieser Käfer hat mich fasziniert.«
»Der Rüßler?«
»Nein, der andere, der Prachtkäfer.« Sie war jetzt so nahe, daß sie ihn verstehen mußte. Gott, sie war groß, sehr groß, mindestens eins achtzig. Um sie zu küssen, hätte er seinen Kopf nur leicht nach unten beugen müssen, keine lusttötenden Verrenkungen, keine yogareifen Verbiegungen. Und sie müßte den ihren nur leicht in den Nacken legen. Klang es nicht absolut lächerlich, wenn er sich bei Axt nur nach dem Käfer erkundigte?
»Ja, und?« Axt wirkte nervös.
»Wissen Sie zufällig, ob es heute noch ähnliche Formen gibt, ich meine, sehr ähnliche?«
»Oh, da bin ich überfragt. Da müssen Sie einen Entomologen fragen. Soweit ich weiß, sind Sie doch hier in den besten Händen.«
»Ja, natürlich, Sie haben recht. Und ... wie werden diese Insektenfossilien eigentlich aufbewahrt? Ich meine, kann man sie einfach trocknen?«
Eine dumme Frage, eine entsetzlich dumme Frage, und sie konnte sie hören! Wieso fiel ihm nichts Intelligenteres ein?
»Nein, nein.« Axt lächelte nachsichtig. Seine Augen schwenkten flüchtig zu Sonnenberg hinunter, der jetzt direkt neben Micha stand, und es klang so, als ob das folgende eher für den kleinen Paläontologen bestimmt war als für ihn. »Sie werden in Glyzerin aufbewahrt, sonst verblassen die Farben sehr schnell, und die sind ja gerade das Besondere an diesen Stücken. Wissen Sie, mitunter zeigen sogar bergfrische Funde von Vögeln noch deutliche Spuren der Gefiederfärbung. Faszinierend! Wenn man das einmal gesehen hat, vergißt man es nicht so schnell. Es ist fast so, als ob in diesen Fossilien noch ein Rest Leben steckt, der erst nach ihrer Entdeckung wie ein Geist entweicht. Leider ist die Konservierung sehr kompliziert.«
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