Wenig später machten die Fernsehkameras ein schwachleuchtendes Pünktchen sichtbar, das ebenfalls von Adonis aufstieg. Diesem Lichtpünktchen folgte mit knappem Abstand ein zweites, ein drittes, ein viertes. Eine ganze mattschimmernde Lichterkette perlte wie an einem Faden aufgereiht heran. Es waren die schnell hintereinander vom Plateau startenden Einmannraketen. Sie schwirrten geradewegs auf die roten und grünen Lichtsignale zu, mit denen AJ-408 noch immer eine Verständigung zum V-Schiff herzustellen versuchte. —
Kerulen und Mirsanow hatten eine Versammlung aller Besatzungsmitglieder einberufen. Sie fand im Raum der Ethik statt. Alle, auch die von Adonis zurückgekehrten Wissenschaftler und Monteure, sollten noch einmal gründlich und zusammenhängend über die Ereignisse der letzten zwei Stunden informiert werden. Danach mußte über die nächsten Maßnahmen beraten und eine Entscheidung über die weiteren Schritte zur Aufklärung der Situation getroffen werden, die durch das Erscheinen des V-Schiffes entstanden war.
Man war vollzählig versammelt. Die Astronauten, ihrer unbequemen Raumanzüge ledig, hatten es sich auf den Polsterbänken, in den Sesseln und auf Kissen am Boden bequem gemacht. Ober allen, die sich im Raum der Ethik, dem großen Kultur- und Erholungszentrum des Schiffes, zusammengefunden hatten, lag spannungsvolle Erwartung. Norbert Franken lehnte, wie es seine Gewohnheit war, mit verschränkten Armen gedankenvoll an der schlanken weißen Säule.
Oulu und Sagitta hatten im Hintergrund nahe einer Pflanzengruppe auf einer weichen Bank Platz genommen.
Das Murmeln der vielen Stimmen erstarb. Kerulen hatte zum Zeichen des Beginns der Versammlung beschwichtigend die Hand gehoben.
„Astronauten, Kosmosfahrer, Genossen! Wir befinden uns in einer ungewöhnlichen und schwierigen Situation. Vor zwei Stunden tauchte im Radar ein kosmischer Körper auf, der sich schnell näherte und der zu unserem Erstaunen V-Form hatte. Dieses fliegende V bremste seinen Flug ab, als es im Begriff war, dicht vor Adonis vorbeizufliegen. Es schlug die Bahn des Asteroiden ein und flog dicht vor ihm her.
Wir müssen auf dieser Zusammenkunft entscheiden, ob wir uns zurückziehen und auf die Flottille warten öder ob wir das Rätsel, das uns das V-Schiff aufgibt, aus eigener Kraft lösen wollen. Wir können Vorsicht oder tatkräftiges Handeln wählen.
Über die Herkunft des fliegenden V gibt es zwei Meinungen. Die eine besagt, das V sei ein Sternenschiff vernunftbegabter, wissenschaftlich denkender Wesen aus einem fernen Sonnensystem. Sollte dies der Fall sein, so durchleben wir denkwürdige Augenblicke. Wenn uns wirklich das unwahrscheinliche Glück trifft, als erste auf fremdartige Wesen zu stoßen, so müssen wir uns der Verantwortung und der Größe eines solchen Ereignisses voll bewußt werden.
Die zweite Meinung ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Sie besagt, daß das V eine durch eine Katastrophe vernichtete, in der Mitte geknickte Forschungsrakete der Erde ist. In diesem Fall werden wir die späten Zeugen eines vor Jahren oder Jahrzehnten erfolgten kosmischen Unfalles sein.
Berichterstatter zur ersten Version ist unser Funkingenieur Norbert Franken. Berichterstatter zur zweiten Version ist unser Kernphysiker Paro Bacos. Ich erteile Norbert Franken das Wort.“
Franken löste seine verschränkten Arme und trat ein paar Schritte vor. Er begann ohne weitere Umstände.
„Astronauten! Die Menschheit wird früher oder später den Kontakt zu hochintelligenten Lebewesen anderer Welten herstellen. Dessen bin ich gewiß. Es gibt Milliarden Sonnen mit unzähligen Planeten, ungastlich, rauh, unbelebt und unbewohnbar. Es gibt aber auch Millionen Sonnen mit Planeten, die Leben und sogar vernunftbegabtes Leben tragen können, mit Welten, von denen viele womöglich noch schöner und herrlicher sind als unsere Erde. Mit diesen Welten wird uns in nicht allzu ferner Zeit die große Brücke der Brüderschaft verbinden, die Brücke der Geisteskraft, das Band der schaffenden und schöpferischen Gedanken.
Indem die Menschheit vor Jahrhunderten die Barbarei in ihren Reihen überwunden und sich der Herrschaft des Geldes und dem Machtstreben einiger weniger in opferreichen Kämpfen erfolgreich widersetzt hat, erwarb sie sich das Anrecht auf diese große Brücke der Brüderlichkeit und der Freundschaft mit lebenden Wesen hochentwickelten Geistes. Wäre es der Menschheit nicht gelungen, sich von der Barbarei und von religiösem Irrglauben zu befreien, so wäre sie an sich selbst zugrunde gegangen. Nicht ohne Grund studiert jede Generation aufs neue die Geschichte jenes Jahrhunderts, in dem sich die Menschheit befreite, in dem sich Sein oder Nichtsein des Menschengeschlechtes entschied.
Eben heute, eben jetzt, gehen die Radiosendungen derjenigen über uns hinweg, die einen Weg, die ein Mittel gefunden haben, sich zu verständigen.
Seit dem Ende des vergangenen Jahrtausends versuchen Wissenschaftler aller Kontinente, mit Hilfe riesiger Radioteleskope die rätselhafte Schrift des Alls und auch die unbekannten Zeichen fremder Lebewesen zu entziffern und zu verstehen. Bis jetzt ist dies der Menschheit noch nicht gelungen. Niemand vermag vorauszusagen, wann die Menschen dieses große Ziel erreicht haben werden. Keiner vermag zu prophezeien, ob Menschen der Erde zuerst einem fremden Lebewesen sichtbar gegenüberstehen, bevor die galaktische Sprache erlernt ist, oder ob wir zuerst die Zeichen des Raumes entziffern werden, bevor wir fremde Lebewesen erblicken.
Ich empfange seit Monaten in Abständen von jeweils zwanzig Stunden unser Peilecho. Aber diesem Peilecho sind deutlich hörbar fremdartige Signale zugefügt, die ich nicht kenne. Ich vermute, daß hochentwickelte Lebewesen in uns, in der Menschheit, heranreifende Brüder erkannt haben. Diese Wesen haben irgendwann einmal entdeckt, daß es nahe dem gelben Stern, der Sonne, einen Planeten, die Erde, gibt, auf dem lebensgünstige Bedingungen herrschen. Sie beginnen, uns ihre Radiosprache zu lehren. Dieses Lernen wird für uns Menschen mühsam sein. Es kann lange dauern, bis wir sie restlos verstehen.
Als nun heute ein kosmischer Flugkörper auftauchte, glaubte ich, das Raumschiff einer fremden Welt herannahen zu sehen. Mich versetzte aber das merkwürdige Verhalten dieser Sendboten einer fremden Welt in großes Erstaunen. Sie mußten doch schon längst festgestellt haben, daß etwas Lebendes auf ihrem Weg war. Ihr Verhalten erschien mir daher in höchstem Maße rücksichtslos, ja sogar bedrohlich.
Vielleicht sollten wir uns gar nicht der Illusion einer großen Stunde hingeben, sondern uns erst Gewißheit verschaffen. Eigenartig war zum Beispiel das überfallartige Anschleichen des unbekannten Raumfahrzeuges, merkwürdig war das zerstörte Funkwarnfeuer auf Adonis. Unverständlich war das beharrliche Schweigen auf all unsere Anrufe und Verständigungsversuche. Wir haben nur ein Lebenszeichen von den Fremden erhalten: Wir kennen nur ihr plötzliches Bremsmanöver. Sehr nachdenklich macht mich auch die Anweisung der Basis, den gesamten Funkverkehr einzustellen. Die Fremden sollen demnach nicht die Möglichkeit haben, uns abzuhören. Sie sollen nicht erfahren, was wir beabsichtigen. Wir müssen auf all diese Fragen eine Antwort finden. Da wir nicht wissen, wen oder was wir vor uns haben, müssen wir vorsichtig zu Werke gehen.
Ich schlage daher vor, die Ankunft der Flottille abzuwarten, das V-Schiff bis dahin zu beobachten und gemeinsam mit der Flottille Maßnahmen zur Untersuchung der fremden Rakete vorzubereiten und durchzuführen, um seine Herkunft festzustellen.“
Norbert Franken war mit seinem Bericht zu Ende. Er trat zurück und setzte sich in einen Sessel nahe der weißen Säule.
Bevor Paro Bacos das Wort erhielt, verlas der Navigator noch einmal alle Funksprüche, die mit der Leitrakete und mit der Basis ausgetauscht worden waren. Die Funksprüche sollten es jedem erleichtern, sich das Bild über die jüngsten Ereignisse lückenlos zu vervollständigen. Ober dem Raum der Ethik lag das leise Gemurmel derjenigen, die untereinander Meinungen austauschten. Mehrere der Astronauten hatten gedankenvoll den Kopf in die Hände gestützt. Frankens Überlegungen über das Leben auf anderen Welten und über die Möglichkeiten, mit diesen Wesen in Kontakt zu treten, beschäftigten alle stark.
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