„Ich befürchte das nicht. Das Meer der Mitte ist weit genug davon entfernt“, entgegnete Tivia zuversichtlich. „Wir werden es am Myonenrechner nachprüfen.“
Der Ringflügler hatte vom Atomicer im langen Tal die geologische Rakete herbeigeschafft. Laut summend senkte er sich jetzt herab. Tivia setzte über der inzwischen ausgehobenen Startgrube für die unterirdische Rakete auf. Langsam löste sich die gedrungene Spindel vom Rumpf des Ringflüglers und glitt mit der Spitze voran herab. Nur die Düsenöffnung ragte noch aus dem Weißgrau des Salzstrandes hervor.
Die drei Heloiden kletterten in den Ringflügler zurück und stiegen auf. „Die Rakete muß tief in den Boden eindringen und sich unter den tiefsten Punkt des Meeres wühlen. Die Programmsteuerung ist eingestellt“, berichtete Sil.
„Entsprechend unseren Berechnungen wird der Meeresboden an dieser Stelle etwa um hundert Meter angehoben und dafür eine Überflutung des Sumpfes am Ende der Flutbahn bewirkt.“
Als der Ringflügler Höhe gewonnen hatte, betätigte Sil den Zündsender. Am Salzstrand fuhr eine lange, rötliche Stichflamme aus dem Boden. Das Triebwerk der geologischen Rakete hatte zu arbeiten begonnen. Zusehends wurde die Flamme kürzer. Der starke Schub des Gasstrahles drückte die gepanzerte Spindel in die Tiefe. Sie preßte sich durch das Gestein, drückte das Erdreich zur Seite und hinterließ einen langen, röhrenartigen Tunnel Ständig strömten heiße Gase daraus hervor. Eine Zeitlang stand eine blasse Fackel über dem Bohrloch. Dann erlosch sie. Eine Erschütterung mochte die Röhre verstopft und den Strom verbrannter Gase unterbrochen haben. Es dauerte nicht lange, bis mit einem Knall, der selbst hoch oben im Ringflügler zu hören war, Steine und Bodenteile, vermischt mit Wasser, aus dem Schacht herausgeschleudert wurden.
Gespannt sahen die Heloiden auf den Zeitgeber. Nur noch wenige Augenblicke trennten sie von der Bebenzeit. Jetzt war sie erreicht. Die Heloiden preßten sich an das Panzerglas der Kanzel und starrten hinab.
Über die Wasserfläche unter ihnen ging eine merkwürdige Bewegung. Es war, als krümme sich ein Leib unter Schmerzen zusammen. Die Ufer machten ein paar schlängelnde Bewegungen. Lautlos wankte die Felskulisse. Hier und da stürzte ein Quader hoch aufspritzend ins Wasser. Plötzlich wölbte sich die Flut zu einem Hügel auf. Tivia glaubte, ein Geysir spritze empor. Doch der Wasserberg wanderte als Flutwand den Ufern zu. Eine Sturzwelle kroch schäumend über das Meer. An mehreren Abschnitten des Strandes flossen die Wasser zurück. Am Ende der Flutbahn schoß eine Wasserzunge ins Land. Sie lief der großen Brandungswelle voraus. Schnell fraß der schäumende Streifen das Land.
Das Experiment, die tektonische Sprengung, war gelungen.
Noch hielt die Bodenbewegung an. Aber an dem Erfolg des Versuches war schon jetzt nicht mehr zu zweifeln. Die Flutbahn wurde länger und länger. Noch heute konnte die „Kua“ auf dem dritten, dem blauen Planeten landen.
Braun und gelb dehnte sich ringsum das dürre Land. Tage schon zog Ia-du-lin auf dem Weg der Karawanen durch die Steppe. Hinter ihm gen Abend versanken die Berge der Küstengebirge. Nur ein schmaler dunkelblauer Streifen, schwimmend im Dunst der Ferne, verriet die Gipfelkette.
Vor ihm trabte der Esel. An seinen Flanken glucksten die Ziegenschläuche. Auf dem Rücken schwankte der spitze graue Stein des Himmelssohnes.
Der Karawanenweg, dem sie folgten, führte zurück zum Zweistromland. Weit gen Morgen traf er auf den breiten Strom Pu-rat-tu. Dort wartete das Boot mit dem hohen Schnabel, das ihn, den Boten des mächtigen En-mer-kar, über die behäbigen Fluten hinab nach E-rech tragen würde. En-mer-kar erwartete ihn, wenn der Mond wieder voll war und der helle Stern, der für I-na-nua strahlte, glückverheißend hinaufstieg zur schimmernden Himmelsstraße, über die Milch und Honig floß und von der Tammuz, der Gott des Morgens, in klaren Nächten unmerklich den erquicken den Tau auf die ihm von A-nu, dem Herrn aller Götter, an vertraute Pflanzenwelt sprengte.
Ia-du-lin hob den Blick und spähte, dem Gebot der Vorsicht folgend, aufmerksam umher. Seine Hand tastete nach der Tontafel, der Antwort A-rats, die er auf seiner Brust verborgen hielt. Doch auf der weiten, gewellten Ebene zeigte sich nichts, was seinen Argwohn erregte.
Der Weg war nicht festgetreten. Nur die weitverstreuten Hufspuren der Lasttiere, die abgegrasten Raststellen und die vereinzelten Doppelfurchen von Karren verrieten, daß hier täglich Gruppen entlangzogen, die die Waren des Zweistromlandes zu fernen Städten brachten und die dafür andere Reichtümer heimführten. Die Spuren glitten allmählich zusammen, kreuzten sich oder verschmolzen, strebten wieder auseinander und verloren sich schon wenige Steinwürfe entfernt in den Unebenheiten des Bodens.
Nur zögernd und nicht ohne Furcht war Ia-du-lin, diesmal ohne das Geleit der Soldaten A-rats, den Paß zum Hochtal Hadscha El Hibla emporgeklommen. Würde der Himmelssohn ihm zürnen, weil er sich vor A-rat seiner gebrüstet hatte?
Wie staunte Ia-du-lin, als er das Tal leer fand. Nur verbrannte Flecken am Boden deuteten an, daß Sils fliegendes Haus sich mit feurigen Zungen hier niedergelassen hatte.
Drei riesige Steine, gleichmäßig hoch, lang, eckig und glatt, lagen im Tal. Sie ängstigten Ia-du-lin. Zuvor hatten sie hier nicht gelegen. Woher kamen sie so plötzlich? Verbargen sich die Götter in dieser Gestalt vor den Menschen? Furchtsam schlug Ia-du-lin einen weiten Bogen um die grauen Kolosse. Er war froh, als er die Berge jenseits des Tales erreicht hatte, das zweite Gebirge überqueren und seinen Fuß auf das Dürrland setzen konnte.
Gar zu gern hätte sich Ia-du-lin ab und zu auf seinen Lastesel gesetzt, um den weiten Weg durch das Sandland bis zum Strom schneller zurückzulegen. Doch er wagte nicht, das Geschenk des Himmelssohnes abzugürten und es am Wege liegenzulassen. Der junge Gott würde ihn dieser Schmähung wegen sicher auch in solch einen riesigen, eckigen Felsstein verwandeln, wie sie im Hochtal lagen. Außerdem dachte er immer wieder an die Träume, an die lebenden Bilder, die ihm die Macht des spitzen grauen Steines, der Sil herbeizurufen vermochte, offenbart hatten. Mehrmals schon war Ia-du-lin versucht gewesen, den gelben Mantel darüber auszubreiten, um zu erfahren, ob der Himmelssohn wirklich herbeikäme.
Der Morgentau war längst schon von den Gräsern verschwunden. Nur dort, wo es in einer Senke zwischen zwei Bodenwellen oder im Schatten eines einsamen Strauches wuchs, hatte es sich ein wenig erholt. Die Sonne stieg dem Zenit entgegen und brannte heiß. Es war an der Zeit, einen, Rastplatz zu suchen, den Rest des Tages dort zu bleiben und erst am Abend oder in der Nacht, wenn es wieder kühler wurde, weiterzuziehen. Ia-du-lin blickte sich um. Unter den niedrigen, weitverstreut stehenden Buschgruppen wählte er sich abseits der Karawanenstraße ein kleineres Gebüsch aus, um in seinem Schatten auszuruhen.
Dort angelangt, befreite er den Esel von seiner Last und ließ ihn weiden. Der spitze, dreieckige Stein stand vor ihm in der Sonne. Die der glühenden Himmelsscheibe zugewandte Seite gleißte und glitzerte. Es war, als leuchte gedämpft ein heimliches Feuer in dem Obelisk. Grübelnd starrte Ia-du-lin diesen stummen Gefährten seiner langen Wanderung an. „Kopf des Riesen“ hatten ihn die Leute an der Küste genannt und sich vor dem Stein gefürchtet. Sie mochten wohl recht haben, denn mehrmals am Tag begann es in ihm zu ticken, zu knacken und zu surren, so, als lebe er wirklich. Jeden Tag, wenn die Sonne am höchsten stand, auch dann, wenn Wolken sie verbargen, schoben sich winzige Fühler aus, drehten und wendeten, spreizten und bogen sich und ließen einen feinen, hohen Ton hören, der wie das Schwirren von Mückenflügeln klang. Dann glomm auf einer flachen Leiste der einen Seite der Pyramide ein buntes Spiel von Lichtern auf, jedesmal anders.
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