Sie blickte seitlich an sich hinab, sah, was sie erwartet hatte, und seufzte. Jetzt begriff sie, warum sie nicht von allen vieren hochkonnte und warum sie den Kopf nicht richtig zu heben vermochte. Die Vorderbeine waren gute zwanzig Prozent kürzer als die Hinterbeine. Beim Maultier glich der lange Hals das aus, bei menschlichem Kopf und Hals war das nicht möglich.
Renard und die beiden Lata kamen aus der Höhle. Sie hörte sie mehr, als sie sie sah, und rief ihnen nach kurzem Zögern. Sie stürzten hin.
»Mavra, du hättest das Gesicht von dem Alten sehen sollen, als —«, begann Renard fröhlich, als sie aus dem Gebüsch in das Fackellicht kam. Sie hielten alle drei den Atem an und gafften mit offenen Mündern. Zum erstenmal konnten sie sehen, was die Olbornier aus Mavra Tschang gemacht hatten.
Man nehme einem Frauenrumpf zuerst Arme und Bein weg und lege ihn dann waagrecht, die Hüften ungefähr einen Meter hoch, die Schultern achtzig Zentimeter. Anschließend bringe man an den Hüften zwei passende Maultier-Hinterbeine an, an den Schultern zwei kürzere Vorderbeine. Man verzichte auf Tierbehaarung oder tierische Haut — man belasse alles menschlich, den Rumpf genau angepaßt, mit Ausnahme von harten, nagelähnlichen Hufen an allen vier Füßen, man entferne schließlich die menschlichen Ohren und ersetze sie durch große, fast einen Meter lange Eselsohren, auch diese aus demselben menschlichen Körpergewebe. Dann lasse man das Haar der Frau über dem Rücken zu einer dichteren Mähne derselben Haarfarbe weiterverlaufen, am Rückgrat entlang bis etwa dorthin, wo an der Unterseite die Brüste hängen. Und da der Leib sonst nicht verändert worden ist, vergesse man nicht, Mavras Pferdeschweif am Ende der Wirbelsäule herauswachsen zu lassen, über den Hüften, knapp vor den Hinterbeinen, und ihn über das After zu legen.
In den anderen stiegen Tränen des Mitleids hoch.
»Guter Gott!«war alles, was Renard sagen konnte, und verfluchte sich sofort im stillen dafür.
Mavra drehte den Kopf zur Seite, um ihn anzusehen. Ihre Haare hingen weit über ihr Gesicht herunter. Ihre Stimme war die gleiche geblieben, aber ihre Augen sagten, daß etwas anderes in ihr war.
»Ich weiß«, sagte sie.»Ich habe begriffen. Die kleinen Maultiere, die sie haben — sie machen sie mit dem Stein, den sie haben, aus Leuten. Ich habe ihn zweimal berührt. Sagt — ist sonst noch etwas verändert?«
Renard unterdrückte die Tränen, setzte sich zu ihr und beschrieb ihr alles, einschließlich der Ohren und des Schweifs.
Das Seltsame war, sie sah fremdartig und exotisch aus, fanden sie alle, für Renard beinahe erotisch. Sie war ein sonderbares und nicht unattraktives kleines Wesen, das Mitleid und Zuneigung erregte. Aber es war doch ein unpraktisches, mißgestaltetes Wesen, einzigartig auf einer Welt mit 1560 Rassen.
»Vielleicht sollte ich noch einmal hineingehen und die Verwandlung ganz durchführen«, sagte sie und hoffte, daß die Heiserkeit und Schwere ihrer Stimme nicht verriet, was sie wirklich empfand.
»Das würde ich nicht tun«, widersprach Vistaru leise und mitfühlend.»Haben Sie gesehen, wie sie mit den Maultieren umgehen? Der Geist wird dann auch beeinflußt. Sie wären ein Tier, so gut wie tot.«
»Wartet!«stieß Renard plötzlich hervor.»Das ist nicht für immer!«
»Der Priester sagte, es sei nicht mehr ungeschehen zu machen«, erklärte Mavra hoffnungslos.»Er sagte es so begeistert, daß ich ihm glaubte.«
»Nein, nein! Sie sind noch nicht durch den Schacht gegangen!«
»Der Priester sagte, die Macht des Steines komme vom Schacht.«
»Das ist wahr«, warf Vistaru ein,»aber das gilt für alles auf der Sechseckwelt. Warum es den Stein gibt und er das bewirken kann, werden wir vermutlich nie wissen — er ist ein Ersatz für etwas, das sie auf ihrem eigenen Planeten bewältigen müßten, mehr nicht. Sie sind immer noch nicht klassifiziert und in den Schacht eingegeben, also werden die Veränderungen durch den Stein darauf keine Auswirkung haben.«
Mavra verspürte wieder Hoffnung.
»Nicht für immer«, murmelte sie leise und atmete tief ein.
»Nicht für immer«, bestätigte Renard.»Hören Sie, wollen Sie gleich zu einem Zone-Tor? Nicht zu dem von Olborn, natürlich, aber wir können sicher anderswo hinein. Wir können Sie genauso hindurchschicken, wie Sie mich hindurchgeschickt haben.«
Mavra schüttelte heftig den Kopf.
»Nein, nein, noch nicht. Später, ja. So schnell wie möglich. Aber die Sechsecke der Umgebung sind im Krieg. Dieses Sechseck ist im Krieg. Das ist etwas für normale Zeiten. Wir müssen nach Gedemondas.«
»Das kann ich machen«, sagte Vistaru.
Mavra schüttelte wieder den Kopf.
»Nein. Ihr wißt nicht, wie die Antriebskapsel aussieht oder wie man sie zerstören kann. Außerdem habe ich noch nie einen Auftrag zurückgegeben. Man wollte mich dabeihaben, und ich habe zugestimmt. Danach — ein Zone-Tor — vielleicht in Gedemondas, wenn man überhaupt mit uns spricht, oder in Dillia daneben.«
»Seien Sie vernünftig, Mavra«, sagte Renard.»Sehen Sie sich an. Sie sehen keine drei Meter weit. Sie können sich nicht selbst ernähren, Sie sind splitternackt, ohne Schutz gegen die Elemente, in einem Gebiet, dessen Bewohner Sie sofort zum Stein zurückbringen würden, um die Verwandlung zu vollenden.«Er stand auf, sah auf sie hinunter und zog den Pferdeschweif ein wenig weg.»Sie werden sogar Toilettenprobleme haben. Ihre Vagina ist da, wo Ihr Hintern sein sollte, und der Hintern ist weiter oben. Die menschliche Anatomie ist für Sitzen oder Hocken gedacht. Diese Beine sind nichts für Ihren Körper. Sie können nicht weitermachen!«
Sie versuchte, ihn direkt anzusehen, gab es aber auf. Es war zu schmerzhaft.
»Ich gehe«, sagte sie störrisch.»Mit euch, wenn ihr mich mitnehmt. Ohne euch, wenn nicht. Wenn Sie wollen, können Sie mein Führer und Gehilfe sein, wenn ich weit sehen oder essen muß, und Sie können mich saubermachen, wenn ich kacke. Wenn nicht, gehe ich trotzdem, und ich schaffe es. Ich lasse mich nicht aufhalten.«
»Sie hat recht, wißt ihr«, meinte Hosuru leise.»Wenigstens darin, daß der Auftrag Vorrang hat. Die ganze Welt steht in Gedemondas auf dem Spiel. Sie wird dort gebraucht. Wenn wir sie hinbringen können, ist es unsere Pflicht, es zu versuchen.«
»Also gut«, sagte Vistaru zweifelnd zu Mavra.»Wenn Sie stur bleiben, gehen wir alle. Aber ich glaube, ein, zwei Tage in diesem neuen Zustand werden Sie eines Besseren belehren. Wenn es so kommen wird, schämen Sie sich bitte nicht, zu verlangen, daß wir Sie zu einem Zone-Tor bringen. Ich würde es auch tun.«
»Wo sind meine Sachen?«erwiderte Mavra sachlich.»Wir müssen trachten, daß wir weiterkommen.«
Renard hob die Hände.
»Ihre Sachen habe ich. Wir werden ja sehen. Also los.«
Seine Stimme klang resigniert und verständnislos.
Er kann es nicht verstehen, dachte Mavra. Keiner kann es.
* * *
Offenbar war der Schock für die Olbornier zu groß. Es gab keine Verfolgung.
Mavra entdeckte, daß sie traben konnte wie die kleinen Maultiere. Die linken Beine vor, abstoßen, die rechten Beine vor, abstoßen, und immer wieder, schneller und schneller. Sie hatte in den Hufen keinerlei Gefühl, was nützlich war, aber die bloße Haut war eben bloße Haut. Die Lata flogen voraus und sagten ihr, was im Weg war, damit sie nicht an Bäume prallte.
Bis zum Morgen waren sie ein gutes Stück weitergekommen. Renard bestieg Doma, die er geführt hatte, und sie erkundeten das Gelände. Es war klar, daß es nicht so schwierig sein würde, wie sie befürchtet hatten.
Sie blieben in freier Landschaft, die jetzt fast ganz verlassen war, da alle im Süden kämpften oder die Heiligen Steine und das Zone-Tor bewachten.
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