„Bis jetzt nicht… Hat man es immer noch nicht gefunden?“
„Nein.“ Der Chef-Erzieher schüttelte den Kopf. „Sie weiß ja auch gar nicht, wo es gestanden haben soll. Und ob es überhaupt existiert hat? Es sieht mehr nach irgend so einer kindlichen Übertreibung aus. Schade, daß es bei ihr zur fixen Idee zu werden scheint… Na, vorläufig fliegt sie erst mal. Ich bedanke mich für die Information!“
Staunend sah Elfa unter sich die grünen Flecke der Wälder, die reifenden Felder, die blauen Flußbänder und die Pünktchen der Seen.
„Ist das ein Teppich?“ fragte sie.
„Wo? Oh, das dort? Ja, es sieht einem Teppich sehr ähnlich.
Gefällt es dir?“
„Gefällt mir. Es sieht meinem Haus sehr ähnlich.“
In der Taiga-Siedlung wurde der Segler sofort von Geologen umringt. Sie waren über Elfas Ankunft unterrichtet.
„Guten Tag, Mama“, sagte Elfa zu einer kleineren Frau, die einen hellblauen Arbeitsanzug trug. Die Frau hatte lebhafte schwarze Augen, ein sonnenverbranntes Gesicht und kurzes schwarzes Haar. „Guten Tag, Töchterlein…“
… Die Mutter hatte damals auch einen blauen Anzug getragen.
Sie hatte ihn immer angehabt, bevor sie den Raumanzug überstreifte. Auch Vater hatte genau den gleichen besessen. In den letzten Tagen waren sie beide lange mit Elfa zusammen gewesen. Vater hatte mit Elfa gespielt, sie mehrfach in die kleine Einsitzer-Rakete gesetzt und ihr erklärt, wozu die verschiedenen Hebel, Drücker und die bunten Guckkästchen da waren.
Sie kannte sich überall schon recht gut aus, besser gesagt, sie hatte es sich mit ihrem noch kindlichen Verstand eingeprägt.
Jedenfalls war sie in der Lage, eine kleine Rakete zu fliegen.
Einige Male war sie vom Raumschiff aus gestartet, hatte sich etliche Kilometer entfernt, einige Wendungen gemacht, die Geschwindigkeit verändert, gebremst, und dann war sie wieder zum Raumschiff zurückgekehrt. Der Kurs der Rakete verlief selbstverständlich parallel zu dem des Raumschiffes.
Der Vater war ungewöhnlich lieb zu ihr gewesen. Und die Mutter… Es war, als hätte sie fortwährend die Tränen zurückgehalten. So, als ob sie auf irgend etwas wartete, es erwartete und davor Angst hatte.
Dann hatte eines Tages der Vater auch tatsächlich gesagt:
„Heute.“
Sie hatten sie wieder in den Sessel in der Bibliothek gesetzt.
Beide hatten ihr gegenübergesessen, so nahe bei ihr, daß sie die kleinen Hände in ihren eigenen halten konnten.
„Elfa“, hatte der Vater gesagt. „Du bist jetzt schon ein großes Mädchen. Erinnerst du dich noch daran, wie Mutter dir von dem allergrößten Haus erzählt hat?“
„Sie hat davon gesungen.“
„Richtig, sie hat dir davon vorgesungen. Das ist dein Haus.
Du sollst darin wohnen. Und du wirst mit der kleinen Rakete, mit der du so oft unterwegs warst, zu ihm hinfliegen.“
Die Kleine klatschte vor Freude in die Hände. Sie wollte doch dieses Haus unbedingt sehen und kennenlernen!
„Du wirst allein fliegen. Es wird sehr, sehr lange dauern.
Aber du hast doch keine Angst, allein zu sein, nicht wahr?“
„Nein“, sagte Elfa tapfer.
„So ist es schön. Du brauchst keine Langeweile zu haben. Ich habe dir ein kleines, lustiges Männlein gebaut. Es kann umherlaufen und sogar sprechen, aber nicht so sehr gut. Du wirst es mitnehmen.“
„Und ihr? Warum fliegt ihr nicht mit mir zusammen?“
„Die kleine Rakete reicht ja nur für einen einzigen Menschen. Außerdem müssen wir beide arbeiten. Stimmt doch, nicht wahr?“ sprach er zu seiner Frau gewandt.
Sie war nicht fähig zu antworten, drückte fest die Hand der Kleinen und schluckte einen Kloß hinunter.
„Ihr kommt doch später nach?“
„Natürlich, wir geben uns große Mühe. Zunächst werden wir aber nicht dasein, daheim wirst du einen anderen Vater und eine andere Mutter haben. Du wirst sie dir selbst aussuchen.“
„Werden sie aber auch so gut sein wie ihr?“
„Elfa, du suchst sie dir doch selbst aus!“
Das Mädchen schüttelte ungläubig den Kopf.
„Du kannst alles selbst tun, was du brauchst. Wenn du auf der Erde ankommst, wird man dich empfangen. Unbedingt wird man dich dort empfangen.“
Jetzt sitzt sie in der kleinen Rakete. Neben sich hat sie das Männlein, einen Roboter. Auf ihren Knien liegt die Puppe…
Über ihrem Kopf ist ein halber Meter Platz. Vor ihr befindet sich das Pult mit etlichen Hebeln und Pedalen, die abgedeckt sind, damit Elfa nicht zufällig mit ihnen in Berührung kommt.
In der Rakete hat man an alles gedacht. Vorräte an Nahrungsmitteln, Wasser und Luft sind vorhanden. Es gibt handgeschriebene Bücher, angefertigt von der Mutter. Papier und Stifte sind da; ein kleiner Expander zur Stärkung der Armmuskulatur und ein am Boden befestigtes Fahrrad. Das Raumvolumen beträgt lediglich vier Kubikmeter.
„Das wird für sie doch ausreichen?“ fragt die Mutter den Kapitän nun schon zum soundsovielten Male.
„Sie kann damit anderthalb Jahre auskommen. Aber sie werden sie eher holen, etwa nach vierhundert Tagen.“
„Sie wird nicht…“
„Sie wird die Sonne nicht verfehlen. Ich habe alles etliche Male durchgerechnet, und du hast es kontrolliert.“
„Ja, kontrolliert…“
Unter dem Sitz in der Rakete befindet sich eine kleine Kiste mit Papieren und Mikrobändern. Das ist ihr Bericht über die Expedition, zu der sie zu zweit gestartet sind. Sie haben alles ausgeführt, was nötig war, nur auf die Erde, in ihr Haus, können sie jetzt nicht mehr zurückkehren. Doch Elfa soll die Erde sehen.
Fast ein Jahr lang hatte der Vater die kleine Rakete umgebaut, sie war die letzte von dreien, die sie einst an Bord gehabt hatten. An alles hatte er gedacht.
„Es ist Zeit“, sagt der Vater. Seine Bewegungen sind unnatürlich und eckig. „Elfa, du fliegst zu dir nach Hause. Es ist dein Haus. Das allergrößte Haus in der ganzen Welt, im gesamten Weltall…“
„Elfa“, flüstert die Mutter.
„Hat es eine himmelblaue Decke?“ fragt Elfa.
„Ja, ja!“ schreit die Mutter. „Und an der himmelblauen Dekke ziehen weiße Wolken, so ähnlich wie Locken! Nachts ist sie schwarz — und kleine Lichter…“
„Elfa, leb wohl, mein Mädchen. Sei brav und tapfer.“
„Elfa…“ Das war die Stimme der Mutter.
Und jetzt sitzt Elfa bereits in der Rakete.
„Start“, sagt der Vater und drückt auf einen Knopf am Pult.
Ein kurzer Blitz steigt außen am Raumschiff empor und verliert sich in Richtung Sonne.
Die Mutter weint nicht, sie kann nicht weinen, hat einfach keine Kraft dazu. Der Vater weint. Das von seiner Bahn abgekommene Raumschiff rast vorwärts, irgendwohin in die Ferne, weit an der Sonne vorbei.
„Wir werden gleich Mittag essen“, sagt die Frau im hellblauen Arbeitsanzug. „Direkt unter freiem Himmel, am Lagerfeuer.
Du hast noch nie an einem Lagerfeuer gegessen?“
„Nein“, antwortet Elfa.
„Später gehen wir dann in die Berge und werden Bären sehen.“
„Richtige?“ fragt die Kleine, und ihre Augen glänzen vor Ungeduld.
„Natürlich richtige.“
„Laß uns doch gleich gehen, Mama.“
„Nein, mein Töchterchen. Erst mußt du Kraft sammeln.“
Sie sind von den Geologen umringt, die sie lächelnd betrachten. Kräftige junge Burschen in bunten Arbeitsanzügen und sehr junge Mädchen sind es.
„Nicht wahr, unter sich sieht man einen Teppich, wenn man mit dem Segler fliegt?“ Sie richtet ihre Frage an alle.
„Das ist richtig“, erwidert der Pilot. „Aber wenn du läufst, ist unter dir ebenfalls ein Teppich. Schau mal, hier ist ein Teppich aus Preiselbeeren. Schön, nicht?“
„Wunderschön“, entgegnet Elfa, hockt sich nieder und streichelt behutsam die winzigen, rauhen Blättchen. „Nicht wahr, der Himmel sieht aus wie eine hellblaue Decke? Weißt du noch, Mama, wie du mir vom allergrößten Haus erzählt hast?“
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