Mit aufgerissenen Augen blieb sie stehen. »Sie haben vor… diese Droge noch einmal zu sich zu nehmen?«
»Warum nicht? Im Gegensatz zu einigen anderen hat sie aus mir keine tobende Bestie gemacht. Ich habe nicht das Gefühl, daß ich sie dringend benötigen würde, also kann man davon ausgehen, daß es nicht suchterzeugend wirkt.
Früher pflegte ich dann und wann eine Pfeife Opium zu rauchen, wissen Sie?
Auch davon bin ich nie süchtig geworden. Ich bin also allem Anschein nach nicht anfällig für Drogen.«
»Ich habe gehört, daß Sie sich sehr oft in die tiefsten Niederungen der menschlichen Seele hinabbegeben haben, Mr. Burton. Sie und diese widerliche Kreatur namens Swinburne…«
Sie schwieg plötzlich. Ein Mann rief ihr etwas zu, und obwohl sie sein Italienisch nicht verstand, kapierte sie doch seine eindeutige Geste. Mit feuerrotem Gesicht stampfte sie von dannen, während Burton den Mann in Augenschein nahm. Es war ein gutgebauter, braunhäutiger Bursche mit einer großen Nase, einem weichen Kinn und einem Schlafzimmerblick. Sein Akzent deutete darauf hin, daß er aus der Gegend von Bologna stammte und dem Lumpenproletariat zuzurechnen war. Burton hatte sich während seines Medizinstudiums lange in dieser Stadt aufgehalten. Hinter dem Mann standen zehn andere, von denen jeder einzelne die gleiche gefährliche Aura ausstrahlte wie ihr Anführer. Burton sah fünf Frauen bei ihnen und kam zu dem Schluß, daß die Bande damit offensichtlich nicht genug hatte. Ebenso offensichtlich erschien es ihm, daß sie auf die Waffen, die er und seine Leute bei sich trugen, scharf waren. Die anderen verfügten selbst lediglich über ihre Grale und ein paar Bambusknüppel.
Burton gab einen knappen Befehl. Sofort schlossen seine Leute auf. Kazz, der zwar nichts von dem verstand, was er gesagt hatte, schien dennoch sofort zu begreifen, was sich hier anbahnte. Er kam zurück und bildete gemeinsam mit Burton die Nachhut. Seine urwelthafte Erscheinung schien — zusammen mit dem Steinbeil, das er in den klobigen Händen hielt — den Mut der Bologneser sichtlich abzukühlen. Dennoch hefteten sie sich an ihre Fersen, gaben laute Kommentare und Flüche von sich und blieben in ständiger Sichtweite.
Allerdings wagten sie nicht, sich Burtons Gruppe weiter zu nähern. Als sie das Hügelgebiet erreichten, änderte sich jedoch die Situation. Der Anführer der Bande rief einen Befehl, und der Angriff begann.
Der Bursche mit dem Schlafzimmerblick schwang seinen Gral und rannte brüllend auf Burton zu. Burton wartete, bis der Metallzylinder sich gerade in der Luft befand, und stieß dann blitzschnell mit dem Bambusspeer zu. Die Steinspitze drang in den Solarplexus des Angreifers. Der Mann stürzte hin, und der Speer blieb in ihm stecken. Kazz schlug einem anderen Angreifer den Gral mit einem Knüppel aus der Hand, machte einen Sprung nach vorn und holte mit seinem Steinbeil aus. Er traf den Schädel des Mannes; blutüberströmt ging der andere zu Boden.
Der kleine Lev Ruach drosch einem Gegner den Gral so lange in den Magen, bis dieser mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Knie ging. Dann machte er einen Luftsprung und begann auf dem Burschen herumzutrampeln, ungeachtet der Tatsache, daß der Untenliegende Anstalten machte, sich wieder zu erheben.
Ruach trat ihm ins Gesicht. Der Mann fiel erneut zurück. Ruach ließ von ihm ab, zog sein Messer und verletzte den Angreifer an der Schulter. Der Bursche stieß einen schrillen Schrei aus, sprang hastig auf und suchte sein Heil in der Flucht.
Frigate schlug sich besser, als Burton es von ihm erwartet hatte. Beim Auftauchen der Bande war er zunächst einmal blaß geworden und hatte angefangen zu zittern. Während er seinen Gral an der linken Hand befestigt hatte, schwang er in der rechten Hand ein Steinbeil. Er drang tapfer in die fremde Gruppe ein, wurde an der Schulter von einem fremden Gral getroffen und fiel auf die Seite. Glücklicherweise hatte er den Schlag mit seinem eigenen Behälter etwas abmildern können. Jemand versuchte in diesem Augenblick, mit einem Bambusknüppel auf ihn einzuschlagen, aber Frigate schwang seinen Gral, wehrte den Schlag ab, rollte sich weg und war sofort wieder auf den Beinen. Mit ungeheurer Wucht rannte er dem Angreifer seinen Kopf in den Leib, warf ihn um und stürzte sich, die Axt in der Hand, auf ihn. Er schlug zweimal zu.
Alice hatte einem weiteren Angreifer inzwischen ebenfalls einen heftigen Schlag mit dem Gral ins Gesicht verpaßt und drang jetzt mit einem feuergehärteten Bambusspeer auf ihn ein. Loghu griff den Burschen gleichzeitig von hinten an und versetzte ihm mit einem Knüppel einen solchen Schlag auf den Schädel, daß er zu Boden ging.
Der Kampf dauerte nicht länger als eine Minute, dann gaben die restlichen Angreifer auf und suchten, gefolgt von ihren Frauen, das Weite. Burton drehte den vor Schmerz schreienden Führer der Bande auf den Rücken und zog ihm die Speerspitze aus dem Bauch. Sie war nicht mehr als anderthalb Zentimeter eingedrungen.
Der Mann erhob sich, hielt die blutende Wunde und taumelte hinter den anderen her. Zwei seiner Leute waren ohne Besinnung, würden möglicherweise aber überleben. Der Mann, den Frigate niedergemacht hatte, war tot.
Der Amerikaner wurde blaß, dann rot und schließlich wieder blaß. Aber er machte weder einen reumütigen Eindruck noch schien ihn Übelkeit zu übermannen. Wenn sein Gesicht überhaupt etwas ausdrückte, war es eher Erleichterung. Und Stolz. Laut sagte er: »Das war der erste Mensch, den ich jemals umgebracht habe. Der erste!«
»Ich zweifle nicht daran, daß es bei diesem einen nicht bleiben wird«, erwiderte Burton. »Es sei denn, Sie werden vorher umgebracht.«
Ruach warf einen Blick auf die Leiche und meinte: »Ein toter Mann sieht hier auch nicht anders aus als auf der Erde. Ich frage mich jetzt allerdings, was mit denjenigen geschieht, die nach ihrer Auferstehung erneut getötet werden.«
»Wenn wir lange genug leben, finden wir es vielleicht heraus«, sagte Burton.
Und zu Alice und Loghu gewandt: »Ihr habt euch prächtig geschlagen.«
»Ich habe nur das getan, was getan werden mußte«, erwiderte Alice und wandte sich ab. Sie war bleich und zitterte. Loghu schien der Anblick offensichtlich nichts auszumachen.
Etwa eine halbe Stunde vor Mittag kehrten sie zu ihrem Gralstein zurück.
Aber es hatte sich einiges geändert. Etwa sechzig Leute tummelten sich in der kleinen Vertiefung zwischen den Hügeln und waren dabei, irgendwelche Steine zu bearbeiten. Ein Mann, der sich dabei verletzt hatte, hielt sich das blutende Auge. Noch eine ganze Reihe anderer Eindringlinge blutete und hatte verletzte Finger.
Burton war wütend, aber er wußte genau, daß er im Moment nichts tun konnte.
Ihre einzige Hoffnung war jetzt, daß der Durst die Fremden irgendwann wieder in die Ebene hinunter treiben würde. Aber die Hoffnung verließ ihn schnell.
Eine Frau berichtete, man habe etwa drei Kilometer westlich einen Wasserfall entdeckt, der von den Bergen in einen pfeilförmigen Canyon schäumte und von dort aus in ein großes Loch, das nur bis zur Hälfte gefüllt war. Es war möglich, daß das Wasser sich später, wenn das Loch gefüllt war, einen neuen Weg suchen und sich in Richtung auf die Ebene hin ausbreiten würde.
Vorausgesetzt natürlich, man verbaute ihm nicht mit Steinen den Weg und leitete es in einen Kanal.
»Wir könnten aus den dickeren Bambusstäben eine Wasserleitung bauen«, sagte Frigate.
Sie stellten ihre Grale auf den Pilzfelsen, merkten sich sorgfältig den jeweiligen Standort und warteten ab. Burton beabsichtigte, später, wenn die Grale gefüllt waren, weiterzuziehen. Ein Lagerplatz, der zwischen dem Gralstein und dem Wasserfall lag, schien ideal zu sein. Zumindest war es dort nicht so sehr überlaufen.
Im gleichen Moment, in dem die Sonne den Zenit erreichte, schossen aus dem Felsen brüllende, blaue Flammen empor. Diesmal enthielten die Behälter Salat, Schwarzbrot mit Kräuterbutter, Spaghetti, Hamburger, einen Becher mit Rotwein, Zitronen, Kaffeepulver, zehn Zigaretten, ein Marihuanatäfelchen, eine Zigarre, Toilettenpapier, Seife und vier Schokoladenriegel. Obwohl sich einige Leute darüber aufregten, daß ihnen das italienische Essen nicht schmeckte, lehnte doch keiner ab, es zu verzehren.
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