Und das hatte ich auch, wenn mich nicht einer dieser Übelkeitsanfälle zum Gemeinschaftsabtritt getrieben hätte, und dann blieb keine Zeit mehr, noch einmal die Schlange durchzustehen.
Und zwei weitere Wochen vergingen, und das war das Ende von Phase eins. Des unangenehmen Teils.
Ich Narr. Ich hatte unseren Instruktor nicht gefragt, wie der zweite Teil sein würde. Ich hatte zum Glück hoffnungsvoll angenommen, daß, wenn Phase Eins als unangenehm beschrieben wurde, sich Phase Zwei am besten als wenigstens okay beschreiben lassen wurde.
Das war, bevor ich die Aversionstherapie und den endgültigen Entzug kennenlernte und herausfand, daß Phase zwei bestimmt nicht das war, was man unangenehm nennen würde. Sie war viel mehr als unangenehm. Der beste Ausdruck, der mir dafür einteilt, ist schlicht und einfach: die reinste Hölle.
Ich glaube, daß ich nicht mehr über Phase Zwei sprechen möchte, denn jedesmal, wenn ich das tue, fange ich an zu zittern; aber ich überstand sie. So wie die Gifte aus meinem Körper verschwanden, schienen sie auch aus meinem Kopf zu verschwinden. Als der Direktor mir die Hand schüttelte und mich in eine Rakete zurück in die Welt setzte - diesmal bei Bewußtsein -, fühlte ich mich - immer noch nicht gut - eher traurig als gut - eher wütend als traurig - aber vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben vernünftig.
In Phase Zwei verliert man die Jahreszeiten aus den Augen, weil eine so schlimm ist wie die andere. Als ich zurück in die Stadt kam, war ich überrascht, festzustellen, daß es immer noch sommerlich war, obwohl der Baum im Central Park schon angefangen hatte, sich zu verfärben. Schweiß rann den Rücken der Frau hinunter, die mein Pedicab zog. Der ohrenbetäubende Verkehrslärm aus Schreien und Schimpfen und Knirschen war unterlegt mit ihrem trockenen, geschwärzten Husten. Natürlich herrschte Smogalarm. Natürlich trug mein Kuli trotzdem kein Gesichtsfilter, weil man durch einen Filter nicht genug Luft bekommen kann, um in dichtem Verkehr seine Geschwindigkeit beizubehalten. Als wir in den Broadway einbogen, scherte direkt vor uns plötzlich ein gepanzerter Sechs-Mann-Geldtransporter einer Bank aus. Beim Versuch, ihm auszuweichen, rutschte der weibliche Kuli auf dem schmierigen Niederschlag aus, und einen Augenblick lang glaubte ich, das ganze Gespann würde umkippen. Sie wandte mir ein verängstigtes Gesicht zu. »'tschuldigung, Mister«, keuchte sie. »Diese verdammten Lastwagen geben einem keine Chance!«
»Eigentlich«, rief ich, »ist es so ein angenehmer Tag, daß ich mir sowieso überlege, den Rest des Weges zu Fuß zu gehen.« Natürlich sah sie mich an, als sei ich verrückt, besonders, da ich ihr befahl, leer mit mir Schritt zu halten für den Fall, daß ich mir das mit dem Gehen doch noch anders überlegen sollte. Als ich sie am Haseldyne & Ku-Gebäude mit einem großen Trinkgeld entlohnte, war sie sicher, daß ich verrückt war. Sie konnte es gar nicht erwarten, sich davonzumachen. Aber der Schweiß auf ihrem Rücken war getrocknet, und sie hustete kaum noch.
Ich hatte so etwas noch nie vorher getan.
Ich winkte geistesabwesend den Kollegen zu, die ich erkannte, als ich das Gebäude betrat. Sie starrten mich mit unterschiedlichen Graden von Erstaunen an, aber ich war vollauf damit beschäftigt, selbst über mich erstaunt zu sein. Etwas war im Entgiftungszentrum mit mir passiert. Ich war mit mehr als den blauen Flecken von den Vitaminsprayschüssen und dem Widerwillen gegenüber länglichen grünen Pillen zurückgekehrt. Ich hatte auch ein paar neue Zubehörteile drinnen in meinem Kopf mitgebracht. Worum genau es sich dabei handelte, wußte ich noch nicht, aber eines von ihnen schien auf den Namen »Gewissen« hören zu wollen.
Als ich mein Büro betrat, machte Dixmeister so Stielaugen wie alle anderen. »Donnerwetter, Mr. Tarb«, wunderte er sich. »Sie sehen so gesund aus! Der Urlaub muß Ihnen wirklich gut bekommen sein.«
Ich nickte. Er sagte mir nur, was die Waage und der Spiegel mir schon die letzten paar Morgen gesagt hatten. Ich hatte zwanzig Pfund zugelegt. Ich zitterte nicht. Ich fühlte mich nicht einmal zittrig; sogar die Blinkwerbungen und Glitzer-Päng-Poster hatten auf dem Weg ins Büro keinerlei Sehnsüchte in mir geweckt. »Machen Sie weiter«, befahl ich ihm. »Ich muß mich bei Mitzi Ku zurückmelden, bevor ich hier übernehme.«
Das war nicht einfach. Sie war nicht da, als ich es das erste Mal versuchte. Sie war auch beim zweiten Mal nicht da, und als ich sie schließlich auf der dritten Rundwanderung zwischen ihrem Büro und meinem erwischte, war sie zwar da, aber gerade im Begriff, wegzugehen. »Mr. Haseldyne wartet«, mahnte sie ihre Sek³, aber Mitzi zögerte. Sie schloß die Tür. Wir küßten uns. Dann trat sie einen Schritt zurück.
Sie sah mich an. Ich sah sie an. Sie sagte mit nachdenklicher Überraschung zu mir: »Tenny, du siehst gut aus.«
Ich erwiderte: »Mitzi, du siehst auch gut aus«, und fügte um der Wahrheit willen hinzu: »Für mich.« Denn genaugenommen wäre Mitzis morgendlicher Spiegel nicht so freundlich gewesen wie meiner. In Wirklichkeit sah sie schrecklich abgespannt aus, aber die subjektive Wahrheit hinter diesen Tatsachen war, daß es mir egal war, wie sie aussah, so lange sie nur da war. Bei ihrem Teint waren die Ringe unter ihren Augen nicht deutlich. Aber sie waren vorhanden: sie hatte zu wenig geschlafen, vielleicht sogar ein paar Mahlzeiten ausgelassen... Und trotzdem sah sie für mich ganz wunderbar aus.
»War es schlimm, Tenny?«
»Leidlich schlimm.« Natürlich hatte es eine Menge Gekotze gegeben und eine Menge verzweifeltes Herumkrabbeln, um etwas zu finden, womit ich mir die Kehle durchschneiden konnte. Aber ich hatte keinen Erfolg gehabt, und außerdem hatte ich diese Anfälle nur zweimal mitgemacht. Ich überging es. »Mitzi«, sagte ich, »ich habe dir zwei wichtige Dinge zu sagen.«
»Natürlich, Tenny, aber im Augenblick liegt gerade so schrecklich viel Arbeit...«
Ich unterbrach sie. »Mitzi. Ich möchte, daß wir heiraten.«
Ihre Hände krampften sich zusammen. Ihr Körper erstarrte. Ihre Augen öffneten sich so weit, daß ich befürchtete, ihre Kontaktlinsen würden herausfliegen.
Ich sagte: »Ich hatte im Entgiftungszentrum reichlich Zeit, über alles nachzudenken. Es ist mir ernst damit.«
Von draußen kam Haseldynes gereiztes Foltern: »Mitzi! Wir müssen los!«
Schweigend, wie ein Automat, erwachte sie wieder zum Leben. Sie nahm ihre Handtasche und öffnete die Tür, starrte mich aber die ganze Zeit über an. »Nun komm schon«, bellte Haseldyne.
»Ich komm ja«, rief sie; und zu mir, während sie dem Aufzug zustrebte: »Lieber Tenny, ich kann jetzt nicht reden. Ich ruf dich an.«
Und dann, zwei Schritte entfernt, drehte sie sich um und kam zu mir zurück. Und dort, direkt vor Gottes und jedermanns Augen, küßte sie mich. Unmittelbar bevor sie in den Aufzug stieg, flüsterte sie: »Das würde mir gefallen.«
Aber sie rief nicht an. Sie rief mich an jenem Tag überhaupt nicht mehr an.
Da ich noch nie zuvor irgend jemandem einen Heiratsantrag gemacht hatte, verfügte ich über keine persönliche Erfahrung, die mir hätte verraten können, ob das eine annehmbare Reaktion war. Mir kam es nicht so vor. Ich fühlte mich so, wie Mitzi selbst sich gefühlt hatte - na ja, nicht Mitzi selbst; nicht diese Mitzi, sondern die andere, die rücksichtslose damals auf der Venus - so, wie jene Mitzi mir erklärt hatte, daß sie sich fühlte, als wir es zum erstenmal miteinander trieben und ich vor ihr fertig wurde, und sie mich wissen ließ, daß ich beim nächstenmal viel besser würde sein müssen, oder... jedenfalls war es nicht angenehm. Ich fühlte mich hängengelassen.
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