Ausgepowert, erschöpft, übermüdet wie ich war, rührte sie an mein Herz. Ich streckte die Hand nach ihr aus.
Sie drehte sich weg, »Das ist es, was Liebe für mich bedeutet«, sagte sie in ihr Kopfkissen. »Man liebt jemanden, und man wird verletzt. Nachdem Daddy-San gestorben war, verwendete ich meine ganze Liebe auf die Venus - ich wollte nie wieder einen anderen Menschen lieben!«
Nach einem Augenblick stand ich unsicher schwankend auf. Sie rief mich nicht zurück.
Die Morgendämmerung brach an; genausogut konnte ich in diesen nächsten schlimmen Tagen eintreten. Ich setzte etwas von ihrem »Kaffee« auf und starrte aus dem Fenster auf die smogige, große Stadt mit ihren wimmelnden Werbefritzen und fragte mich, was ich mit meinen Leben machte. In körperlicher Hinsicht war die Antwort einfach; ich ruinierte es. Die schwache Reflexion im Glas zeigte, wie mit jedem Tag mein Gesicht dünner, meine Augen flackernder und hohler wurden. Hinter mir sagte sie: »Schau dich nur gut an, Tenny. Du siehst schrecklich aus.«
Langsam wurde ich es müde, das zu hören. Ich drehte mich um. Sie saß aufrecht im Bett, die Augen auf mich gerichtet. Sie hatte ihre Kontaktlinsen noch nicht eingesetzt. Ich sagte: »Mitz, Liebling, es tut mir leid...«
»Langsam werde ich es müde, das zu hören!« fuhr sie mich an, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Dir tut es leid, na schön! Du bist so ziemlich das selbstmitleidigste Exemplar Mensch, das ich je gesehen habe, Tenny! Du wirst mir noch unter den Händen wegsterben!«
Ich blickte aus dem Fenster, um festzustellen, ob irgend jemand in der schmutzigen, alten Stadt mir eine Antwort darauf liefern würde. Niemand tat es. Da das, was sie sagte, durchaus wie eine glaubhafte Möglichkeit erschien, schien es die beste Methode zu sein, ihre Bemerkung auf sich beruhen zu lassen.
Aber Mitzi wollte sie nicht auf sich beruhen lassen. »Du wirst an diesen verdammten Pillen sterben«, sagte sie wütend, »und dann werde ich auch noch gottverdammte Trauer zu meiner gottverdammten Sorge und meiner gottverdammten Angst haben.«
Ich ging zum Bett zurück, um besänftigend ihre nackte Schulter zu berühren. Sie war nicht besänftigt. Sie funkelte zu mir auf wie eine gefangene Wildkatze.
Langsam nutzte sich die Anästhesie ab.
Ich griff nach meiner Morgenpille und warf sie ein, während ich darum betete, daß sie mir dieses eine Mal Auftrieb statt einer Betäubung gäbe, daß sie mir die Weisheit und das Mitgefühl gäbe, ihr auf eine Art und Weise zu antworten, die ihren Schmerz linderte. Weisheit und Mitgefühl stellten sich nicht ein. Ich tat das beste, was ich konnte mit dem, was mir zur Verfügung stand; ich sagte beschwichtigend: »Mitz, vielleicht ziehen wir uns besser an und gehen an die Arbeit, bevor wir etwas sagen, das wir nicht sagen sollten. Wir sind beide ziemlich fertig, vielleicht kriegen wir heute nacht ein bißchen Schlaf...«
»Schlaf!« zischte sie. »Schlaf! Wie kann ich schlafen, wenn ich alle Viertelstunde aufwache, weil ich denke, die Gorillas vom Amt für fairere Handelspraktiken brechen die Tür auf!«
Ich zuckte zusammen. Ich hatte die gleichen Alpträume; ich dachte viel ans Gehirnausbrennen. Mit unsicherer Stimme sagte ich: »Ist es das nicht wert, Mitz? Wir lernen uns richtig kennen...«
»Ich weiß mehr über dich, als ich mir wünsche, Tenny! Du bist ein Süchtiger. Du bist ein körperliches Wrack. Du bist nicht mal gut im Bett...«
Und an dieser Stelle hielt sie inne, denn sie wußte genausogut wie ich, was das bedeutete. Das war das todbringende Wort. Danach gab es nichts mehr zu sagen als: »Es ist aus zwischen uns.« Und angesichts der besonderen Umstände unserer Beziehung gab es nur einen Weg, um sie zu beenden.
Ich wartete auf die nächsten Worte, die sein mußten: »Verschwinde von hier! Verschwinde aus meinem Leben!« Nachdem sie mich hinausgeworfen hatte, dachte ich geistesabwesend, würde es der beste Plan sein, direkt zum Raketenflughafen zu fahren, so weit zu fliegen, wie mein Geld reichte, und in den wimmelnden Verbrauchermassen in Los Angeles oder Dallas oder sogar noch weiter weg unterzutauchen. Möglicherweise würde Des Haseldyne mich nicht finden. Ich konnte vielleicht einfach die nächsten Monate abwarten, während der Coup entweder gelang oder nicht. Danach wurde es natürlich haarig - egal, welche Seite gewann, die Sieger würden bestimmt kommen und nach mir suchen...
Ich bemerkte, daß sie diese Worte nicht gesagt hatte. Sie saß aufrecht im Bett und horchte aufmerksam auf ein leises Geräusch von der Tür her. »O mein Gott«, sagte sie voller Verzweiflung, »sieh nur auf die Uhr, sie sind da!«
Tatsächlich war jemand an Tür von Mitzis Wohnung. Sie wurde nicht aufgebrochen. Sie wurde mit einem Schlüssel geöffnet, also waren es nicht die Sturmtruppen von den Fairen Handelspraktiken.
Es waren drei Personen. Eine davon war eine Frau, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Die anderen beiden waren zwei Leute, die, darauf hätte ich alles verwettet, was ich besaß, die denkbar letzten Leute gewesen wären, um auf diese Weise in Mitzis Wohnung zu kommen: Val Dambois und der Alte.
Als ich sie sah, war ich nur verblüfft. Sie hingegen waren wie vom Donner gerührt und außerdem wütend. »Verdammt, Mitz!« schäumte Dambois. »Jetzt ist es also passiert! Was macht dieser Moke-Kopf hier?«
Ich hätte ihm erklären können, daß ich genaugenommen kein Moke-Kopf mehr war. Ich versuchte es erst gar nicht. Ich verwendete all meine erschütterten und entsetzten Gedanken darauf, was ihre Anwesenheit hier bedeutete. Ich hätte auch sowieso keine Chance gehabt, es ihm zu erklaren, denn der Alte hob eine Hand. Sein Gesicht war wie Granit. »Sie, Val«, befahl er. »Bleiben Sie hier und behalten Sie ihn im Auge. Ihr anderen kommt mit.«
Ich sah zu, wie sie gingen, Mitzi und der Alte und die Frau bei ihnen - klein, untersetzt, und das, was sie gemurmelt hatte, als sie mich erblickte, schien einen Akzent gehabt zu haben. »Sie ist von RussCorp, nicht wahr?« fragte ich Dambois, und er gab mir die Antwort, die ich erwartete. Er knurrte:
»Maul halten. «
Ich nickte. Er mußte es mir nicht bestätigen. Allein die Tatsache, daß er und der Alte sich auf diese Weise in Mitzis Wohnung schlichen, verriet mir alles, was ich wissen mußte. Die Verschwörung war erheblich umfangreicher, als Mitzi zugeben hatte. Und erheblich älter. Wie hatte der Alte seinen Reichtum bekommen? Durch die Venus. Durch eine »Lotterie«, in der er »zufällig« gewonnen hatte. Wie hatte Mitzi ihren bekommen? Durch eine »Schadenersatzzahlung« für den »Unfall«. Und wie Dambois? Durch »Handelsgewinne«. Alles von der Venus. Alles unüberprüfbar durch irgend jemanden auf der Erde.
Alles für denselben Zweck benutzt.
Und wenn RussCorp darin verwickelt war, betraf es nicht nur Amerika. Ich mußte annehmen, daß es weltweit war. Ich mußte annehmen, daß für jede Krume an Information, die Mitzi so zögernd preisgegeben hatte, ein ganzer verborgener Laib dahinter stand. »Es spricht manches dafür, daß Sie mir trauen können«, erwähnte ich Dambois gegenüber. »Schließlich habe ich bisher niemandem ein Wort gesagt.« Und natürlich antwortete er nur mit: »Maul halten.«
»Ja«, sagte ich nickend. »Ach, haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir noch ein bißchen Kaffee nehme?«
»Stillsitzen«, schnappte er, dann dachte er einen Augenblick darüber nach. Widerstrebend fügte er hinzu: »Ich hole ihn für Sie, aber Sie bleiben hier.« Er ging hinüber zur Kanne, aber er ließ keine Sekunde die Augen von mir - weiß der Himmel, was er erwartete. Ich rührte mich nicht. Ich saß still, ganz wie befohlen, und horchte auf das An- und Abschwellen lauter Stimmen aus Mitzis Schlafzimmer. Ich konnte die Worte nicht verstehen. Andererseits brauchte ich das auch nicht; ich war mir ziemlich sicher, zu wissen, worüber sie diskutierten.
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