Rasch kam sie wieder auf den Boden der Realität zurück, funkelte mich an (die Stirnrunzelfalten jetzt durch echte verstärkt), schürzte die Lippen, »Na ja, zum Teufel, Tenny«, sagte sie, »natürlich war etwas plastische Chirurgie nötig. Ich sehe nur ein bißchen wie Mitsui Ku aus.«
»Ja«, meinte ich nickend, »ich dachte mir schon, daß es das war. Also sah der Plan vor«, fügte ich im Gesprächston hinzu, »daß ihr uns beide in der Trambahnstation umbringen würdet, stimmt's? Und dann hättet ihr verkündet, daß ihr durch herkulische Anstrengungen und das Geschick der Veenie-Chirurgen wenigstens Mitzi durchgebracht hättet? Nur, daß es in Wirklichkeit du gewesen wärst?«
Sie sagte schroff: »Etwas in der Art.«
»Ja. Sag«, erkundigte ich mich interessiert, »wie ist eigentlich dein richtiger Name?«
»Hol dich der Teufel, Tenn! Was für einen Unterschied macht das?« Sie schmollte einen Augenblick und sagte dann: »Sophie Yamaguchi«, wiederholte ich, wie um den Namen zu kosten. Er schmeckte nicht richtig. »Ich denke, ich werde dich auch weiterhin Mitzi nennen, falls es dir nichts ausmacht.«
»Ausmacht? Ich bin Mitzi Ku! Ich habe sieben Monate damit zugebracht, zu üben, sie zu sein, habe die Überwachungsbänder studiert, ihre Eigenheiten kopiert, ihren Hintergrund auswendig gelernt. Ich habe sogar dich getäuscht, nicht wahr? Jetzt erinnere ich mich kaum noch an Sophie Yamaguchi. Es ist, als sei Sophie gestorben statt...«
Abrupt hielt sie inne. Ich sagte: »Dann ist Mitzi also tot, nehme ich an.«
Die falsche Mitzi sagte widerstrebend: »Nun, ja, sie ist tot. Aber sie ist nicht von der Tram getötet worden. Und glaube mir, Tenny, ich bin froh darüber! Wir sind keine Meuchelmörder, weißt du. Wir wollen niemandem unnötig wehtun. Es ist einfach nur so, daß die objektiven Realitäten der Lage... Jedenfalls haben sie sie zur, äh, Umerziehung weggebracht.«
»Ah«, nickte ich. »Die Anti-Oase.«
»Natürlich kam sie dorthin! Und dort wäre ihr auch kein Haar gekrümmt worden. Entweder wäre sie zu unserer Denkweise übergewechselt, oder sie wäre wenigstens lebend und außer Sicht dort gefangen gehalten worden. Aber sie hat versucht zu entkommen. In der Wüste ging ihr wohl der Sauerstoff oder so aus, Tenny«, sagte sie ernsthaft, »es war niemandes Verschulden.«
»So, war hat denn behauptet, daß es das war?« fragte ich. »Nun aber zu dem, was ich für euch machen soll...«
Wenn, man es richtig betrachtet, ist vermutlich nichts jemals das Verschulden von irgendwem, oder jedenfalls glaubt nie jemand, daß es das sei. Man muß hin, was man tun muß.
Und doch, als ich an jenem Abend nach Bensonhurst zurückfuhr, sah ich mir die müden Pendler mit den traurigen Gesichtern an, die in ihren Haltegurten hingen, während die schmutzigen Tunnelwände vorüberflogen, der smogige Wind uns herumblies und die Lampen flackerten. Und ich kam ins Grübeln. Wollte ich wirklich das harte Leben dieser Verbraucher noch härter machen? Die Wirtschaft der Erde ruinieren, war nichts Abstraktes; es bedeutete konkrete Dinge, einen konkreten Arbeitsplatzverlust für einen Registratur oder einen Schupo bei Brink. Eine konkrete Niedrigerstufung für einen Werbefachmann. Ein konkrete Kürzung im Nahrungsmittelbudget für die Familie, bei der ich wohnte. Nun, sicher, ich glaubte jetzt daran, daß die Erde unrecht damit hatte, die Venus zu sabotieren und zu überwältigen, und daß es richtig war, mich mit Mitzi - der falschen Mitzi, hieß das - zusammenzutun und dieser Niedertracht ein Ende zu bereiten. Aber welcher Grad von Niedertracht war gerechtfertigt, um dieses nicht-niederträchtige Ziel zu erreichen?
Zu allen meinen Sorgen und Kümmernissen und Dilemmas wollte ich mir nicht auch noch das eine aufladen, worunter ich bisher noch nicht viel gelitten hatte: Schuld.
Trotzdem...
Trotzdem erledigte ich den Job, den Mitzi mir zugedacht hatte. Und erledigte ihn überdies verdammt gut. »Was du tun sollst, Tenny«, hatte sie befohlen, »ist eine Wahl gewinnen. Versuche nichts Kompliziertes. Versuche nicht, Prinzipien in die Kampagne einfließen zu lassen. Tu einfach nur dein Verdammtestes als Werbefritze, damit unsere Leute gewinnen.«
Genau, Mitzi, das tat ich - mein Verdammtestes, und versuchte, nicht zuzulassen, daß ich mich dabei selbst verdammt fühlte. Einer der Leute, die sie von Taunton, Gatchweiler und Schocken gestohlen hatte, war mein alter Lakai Dixrneister; er war einige Stufen hinaufbefördert worden, um meinen Platz einzunehmen, und war traurig, aber ergeben, diese Stufen nun wieder hinunterbefördert zu werden. Er wurde erst lebhafter, als ich ihm erklärte, diesmal könne er größere Machtbefugnisse haben; ich ließ ihn sämtliche Besetzungsaufrufe ausrichten, ließ ihn sogar mögliche Kandidaten aus den ersten Siebungen auswählen. Ich verriet ihm nicht, daß ich die Überprüfungen über die betriebsinterne Fernsehleitung zu meinem Büro im Auge behielt, aber das war gar nicht nötig - sich selbst überlassen, den Genuß meiner Ausbildung im Rücken, machte sich der Junge prächtig.
Und ich hatte wichtigere Dinge zu erledigen. Ich suchte Themen. Slogans. Wortkombinationen, die etwas bedeuten mochten oder auch nicht (das war nicht wichtig), aber kurz und einprägsam waren. Ich setzte die Forschungsabteilung an die Arbeit, um all die Themen und Slogans auszugraben, die jemals bei politischen Kampagnen benutzt worden waren, und alsbald war mein Monitor mit ihnen überflutet. »Der ehrliche Handel.« »Freiheit oder Sozialismus.« »Die moralische Mehrheit«. »Der Mann ihres Vertrauens.« »Wir brauchen weniger Staat.« »Kuba ist nur 90 Meilen entfernt.« »Ich gehe nach Korea.« »Wahrheit in der Werbung« - na ja, nein, der klang nicht richtig, »Ich bin kein Gauner« - der hatte nicht funktioniert. »Der Krieg gegen die Armut.« Besser, auch wenn der, wie es schien, den Krieg nicht gewonnen hatte. Es gab hunderte von den verdammten Dingern. Natürlich hatten die meisten davon keinen Bezug mehr zu der Welt, in der wir lebten - was können Sie sich unter »Möllemann, geh du voran« vorstellen? - aber, wie ich immer zu meinen Werbewölflingen zu sagen pflegte, nicht was ein Slogan aussagt zählt, sondern was die Leute in ihn hineinlesen können, das irgendwie das Unterbewußtsein berührt. Es war eine harte, langwierige Arbeit, und sie wurde auch nicht durch die Tatsache erleichtert, daß ich etwas verloren hatte. Was ich verloren hatte, war das Gefühl, daß das Gewinnen ein Selbstzweck war. In diesem Falle war es das - Mitzi hatte mir das gesagt. Aber ich empfand es nicht länger.
Nichtsdestotrotz kam ich mit ein paar Prachtexemplaren daher. Ich rief Dixmeister herein, um sie sich anzusehen, alle von der Kunstabteilung wunderschön kalligraphiert und ornamentiert, mit Kennmeldoie und multisensuellem Hintergrund aus der Produktion. Verblüfft starrte er den Monitor an.
»"Hände weg von Hyperion"? Das ist wirklich hervorragend, Mr. Tarb«, sagte er reflexartig, und dann zögernd, »aber ist es nicht eigentlich irgendwie anders herum? Ich meine, wir wollen doch Hyperion nicht als Markt aufgeben, oder?«
»Nicht unsere Hände weg, Dixmeister«, sagte ich freundlich. »Die Hände der Veenies. Wir wollen, daß sie von den Veenies in Ruhe gelassen werden.«
Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Ein Meisterwerk, Mr. Tarb«, sagte er hingerissen. »Und dieser hier. "Freiheit der Information." Das bedeutet die Versuche, die Werbung zu zensieren, richtig? Und "Wir brauchen weniger Staat"?«
»Bedeutet, die Vorschrift abzuschaffen, Warntafeln vor Campbell-Zonen aufzustellen«, erklärte ich.
»Ein Geniestreich!« Und ich schickte ihn los, die Slogans bei der Kandidatenschar des heutigen Tages auszuprobieren, um festzustellen, welcher von ihnen sie aufsagen konnte, ohne sich zu verhaspeln oder verwirrt dreinzuschauen, während ich mich an die Arbeit machte, ein Spionagesystem einzurichten, um die Kandidaten der anderen Agenturen auszukundschaften. Es gab so viel zu tun! Ich arbeitete zwölf, vierzehn Stunden am Tag. Langsam, aber gleichmäßig verlor ich an Gewicht, und manchmal schlief ich auf den langen U-Bahn-Fahrten nach Bensonhurst fast ein und ließ meinen Haltegriff los. Es war mir gleichgültig. Ich war eine Verpflichtung eingegangen, und ich würde durchhalten, koste es was es wolle. Wenigstens wirkten die Pillen immer noch; schon lange hatte ich nicht einmal mehr das Verlangen nach einer Moke gehabt.
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