Dann öffnete sich die Außentür.
Des Haseldyne mußte die Kontrollen bedient haben. Auch diese Schleuse verfügte über eine Schubstangeneinrichtung; die Tür hinter mir schleuderte mich hinaus auf die Straße. Ich stolperte, fiel und rutschte über den Bürgersteig unter die Füße dahinhastender Verbraucher. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Mister?« fragte ein alter Verbraucher mit zittriger Stimme und starrte mich mit offenem Mund berunruhigt an.
»Mir geht es ausgezeichnet«, schnappte ich, während ich mich aufrappelte. Ich glaube nicht, daß ich je zuvor eine größere Lüge erzählt habe.
Es ist eine ungesunde und quälende Angelegenheit, sich als Komplize für Verbrechen, auf denen Gehirnausbrennen steht, mit einem Haufen von Schwerverbrechern zusammengetan zu haben. Erheblich schlimmer ist es, erkennen zu müssen, daß sie unfähig sind. Jener Zirkel von venusischen Meisterspionen und Saboteuren hätte mit vereinten Kräften vielleicht genug Geschick und Niedertracht aufbringen können, einen Stapel gefälschter Discount-Coupons an einem Supermarktprüfer vorbeizuschmuggeln. Was die Aufgabe betraf, ihre Welt vor der Macht der Erde zu schützen, so waren sie ganz einfach nicht fähig dazu.
Dixmeister verbrachte deswegen an diesem Nachmittag eine gemütliche Zeit. Als ich in mein Büro zurückgehumpelt kam, knurrte ich ihn an, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern und mich in Ruhe zu lassen, bis ihm Gegenteiliges befohlen wurde. Dann schloß ich meine Tür ab und dachte nach.
Ohne Mokes oder kleine grüne Pillen, hinter denen ich mich hätte verstecken können, war das, was ich sah, wenn ich die Augen öffnete, die nackte Realität. Sie bot keinen reizvollen Anblick, denn sie war voller Probleme - drei im besonderen:
Erstens, wenn ich die Veenies nicht davon überzeugte, daß sie mich brauchten und mir vertrauen konnten, würde der gute alte Haseidyne wissen, was zu tun war. Danach würde ich keinerlei Sorgen mehr haben.
Zweitens, wenn ich tat, wie mir geheißen worden war, sah die Zukunft trostlos aus. Ich war nicht bei der Planung ihrer großen strategischen Kampagne hinzugezogen worden; je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger sicher war ich mir, daß sie funktionieren würde.
Drittens und schlimmstens, wenn sie nicht funktionierte, dann waren wir alle erledigt. Wir würden den Rest unseres Lebens damit zubringen, in Laufställchen zu hausen. Windeln zu tragen, von Wärtern, die uns nicht besonders mochten, mit dem Löffel gefüttert zu werden und unsere hauptsächliche intellektuelle Stimulation dadurch zu erhalten, daß wir zusahen, wie die hübschen Lichter vorbeizogen. Wir alle. Nicht bloß ich. Auch die Frau, die ich liebte.
Ich wollte nicht, daß Mitzi Ku das Gehirn ausgebrannt wurde.
Ich wollte auch nicht, daß Tennison Tarb das Gehirn ausgebrannt wurde. Meine erst kürzlich erworbene Klarheit des Denkens wies nüchtern darauf hin, daß es immerhin einen Weg aus diesem Teil der Klemme gab. Alles, was ich tun mußte, war, zum Phon zu greifen, die Kommission für faire Handelspraktiken anzurufen und die Veenies anzuzeigen; womöglich würde ich dann mit der Polaren Strafkolonie davonkommen, vielleicht sogar mit der bloßen Rückstufung auf Verbraucherstatus. Aber das würde Mitzi nicht retten...
Unmittelbar vor Geschäftsschluß beriefen Mitzi und Des eine Mitarbeiterbesprechung für die höchsten Chargen in den Sitzungssaal ein. Mitzi sprach nicht und schaute mich auch nicht an. Des Haseldyne führte das große Wort. Er sagte, es hätten sich einige, äh, unerwartete Expansionsmöglichkeiten ergeben, und er und Mitzi würden geschäftlich unterwegs sein müssen, um sie zu prüfen. In der Zwischenzeit hätten sie Val Dambois' Kontrakt von T., G. & S. gekauft, und er werde als Interimsmanager das Ruder übernehmen; die Abteilung Immaterielle Aktiva (Politik) würde selbständig von Tennison Tarb, das war ich, geleitet werden, und er sei sicher, daß wir die Geschäfte mit voller Leistungskraft weiterführen würden.
Es war keine überzeugende Vorstellung. Sie wurde auch nicht gut aufgenommen. Es gab Seitenblicke und besorgte Mienen in der Zuhörerschaft. Als wir uns alle erhoben, schaffte ich es, lange genug so dicht an Mitzi heranzukommen, daß ich ihr ins Ohr flüstern konnte: »Ich bleibe weiter im Condo, okay?« Sie antwortete auch darauf nicht. Sie blickte mich nur an und zuckte die Achseln.
Ich hatte keine Gelegenheit gehabt, nachzuhaken, weil in diesem Augenblick Val Dambois hinter uns auftauchte und meine Schulter ergriff. »Ich möchte kurz mit Ihnen sprechen, Tenny«, knirschte er und führte mich in Mitzis Büro - jetzt sein Büro. Er knallte die Tür zu, schaltete mit einem Ruck den Anti-Abhörschirm ein uns sagte: »Werden Sie nur nicht zu selbständig, Tarb. Denken Sie immer daran, daß ich hier bin und Sie beobachte.« Daran brauchte ich nicht erinnert zu werden. Als ich nicht antwortete, sah er mich scharf an. »Können Sie damit fertigwerden?« fragte er. »Fühlen Sie sich in Ordnung?«
Ich sagte, in dieser Reihenfolge: »Ich kann damit fertigwerden«, was erheblich mehr Hoffnung als Überzeugung war, und »Ich fühle mich wie jemand, auf dessen Schultern zwei ganze Planeten lasten«, was stimmte.
Er nickte. »Denken Sie nur stets daran«, sagte er, »wenn Sie einen fallenlassen müssen, vergewissern Sie sich, daß es der richtige ist.«
»Klar, Val«, sagte ich. Aber welches war der richtige?
Da Mitzi nicht gesagt hatte, daß ich nicht weiter in dem Condo bleiben dürfte, tat ich es einfach. Ich erwartete nicht, daß sie in jener ersten Nacht dort sein würde, und das war sie auch nicht. Ich war aber nicht ganz allein. Val Dambois hatte dafür gesorgt, daß ich ein gewisses Maß an Gesellschaft hatte. Als ich vor dem Büro ein Pedicab herbeirief, bemerkte ich einen muskulösen Burschen, der hinter mir herbummelte, und derselbe Mann lungerte gegenüber von Mitzis Condo herum, als ich am Morgen herauskam. Es war mir egal. Sie ließen mich im Büro in Ruhe, obwohl ich das Gegenteil vielleicht nicht einmal bemerkt hätte. Ich war beschäftigt. Ich wollte dieses Gewicht zweier Welten von meinen Schultern herunter haben, und der einzige Weg, das zu erreichen, war, ihren Krieg für sie zu gewinnen... irgendwie.
Es waren ein Dutzend Werbespots mit den Leitthemen der Wahl vorzubereiten und nur wenige Tage Zeit dafür. Ich setzte Dixmeister darauf an, Sendezeiten zu organisieren und der Produktionsabteilung die Hölle heiß zu machen. Ich übernahm vollständig Talentsuche und Drehbuch.
Wenn ein Projektleiter normalerweise sagt, er übernimmt Talentsuche und Drehbuch, dann meint er damit, daß er ungefähr ein halbes Dutzend Kopfjäger hat, die Talente für ihn aufspüren, und wenigstens ebensoviele Werbetexter, die die Drehbücher entwickeln; was er macht, ist vor allem, Arschtritte zu verteilen, um sicherzustellen, daß sie ihre Arbeit tun. Bei mir war es ein bißchen anders. Ich hatte den Stab, und ich verteilte Arschtritte. Aber ich hatte auch eigene Pläne. Sie waren noch nicht sehr klar in meinem Kopf. Sie waren weit davon entfernt, zufriedenstellend zu sein, selbst für mich. Und es gab niemanden, von dem ich sie abprallen lassen konnte, um zu sehen, wie hoch sie sprangen. Aber sie waren es, was mich sechzehn Stunden am Tag im Büro hielt statt der nur zehn oder zwölf, die ich sonst dort verbracht hätte. Es war nicht so schlimm; was sonst hätte ich mit meiner Zeit anfangen sollen?
Ich wußte, was ich sonst mit meiner Zeit hätte anfangen wollen, aber Mitzi war - war - was soll ich sagen? Außerhalb meiner Reichweite? Nicht wirklich; wir schliefen jede Nacht zusammen, die sie sich in der Stadt aufhielt. Aber außerhalb meines Zugriffs, weil das Bett der einzige Ort war, wo ich sie sah, und auch da nicht oft. Ich hatte den ganzen Veeniestock mit meinen Neuigkeiten in Aufregung versetzt, und sie schwärmten in alle Richtungen. Wenn Mitzi in der Stadt war, verbrachte sie jede Minute bei Geheimversammlungen auf oberster Ebene; und wenn sie nicht bei Versammlungen hier war, dann war sie es anderswo auf der Erde. Oder außerhalb der Erde, denn eine volle Woche lang hielt sie sich auf dem Mond auf und tauschte heimliche, verschlüsselte Nachrichten mit einer Nachnahmesendung aus Port Kathy auf der Venus aus.
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