„Ist diese Scheibe wirklich von dort gekommen? Wieviel Jahre ist sie dann geflogen?“ fragte der Physiker, noch leicht benommen von dem Erlebnis.
„Sie flog etwa zwei Millionen Jahre tot durch den Raum, der unsere Galaxis von der anderen Sterneninsel trennt“, erwiderte Yuni Ant mit ernstem Gesicht, „bis sie auf dem Planeten des T-Sterns Zuflucht fand. Offensichtlich sind diese Sternschiffe so gebaut, daß sie automatisch landen, ungeachtet dessen, daß Millionen Jahre kein Lebewesen die Steuerungshebel berührt hat.“
„Vielleicht leben jene Wesen sehr lange?“ meinte Ren Boos.
„Aber nicht Millionen Jahre, das widerspricht den Gesetzen der Thermodynamik“, antwortete Yuni Ant. „Und trotz der kolossalen Ausmaße konnte das Tellerschiff nicht einen ganzen Planeten voll denkender Wesen mit sich führen. Nein, vorläufig können unsere Sterneninseln weder einander erreichen noch Informationen austauschen.“
„Sie werden es können!“ sagte Ren Boos überzeugt, verabschiedete sich von Yuni Ant und kehrte zum Startplatz zurück.
Ein wenig abseits von den beiden langen Reihen derer, die zur Verabschiedung gekommen waren, standen Dar Weter, Weda, Mwen Mass und Tschara. Aller Augen waren auf das Zentralgebäude gerichtet. Geräuschlos fuhr eine breite Rampe vorüber, Händewinken und begrüßende Rufe begleiteten sie. Auf der Rampe befanden sich alle zweiundzwanzig Mann der „Lebed“-Besatzung.
Die Rampe schob sich an das Sternschiff heran. Vor dem hohen Lift warteten Menschen in weißen Arbeitsanzügen, die Gesichter grau vor Müdigkeit — zwanzig Personen der Startkommission, die sich zum größten Teil aus Ingenieuren, den Mitarbeitern des Kosmosdroms, zusammensetzte. Im Laufe der letzten Tage hatten sie mit Hilfe von Registriermaschinen die gesamte Ausrüstung der Expedition überprüft und noch einmal den Zustand des Schiffes kontrolliert.
Wie seit Beginn der Weltraumfahrt üblich, erstattete der Kommissionsvorsitzende Erg Noor Bericht. Erg Noor war wiederum einmütig zum Leiter des Sternschiffes und der Expedition gewählt worden. Die anderen Mitglieder der Kommission setzten ihre Chiffren auf eine Bronzetafel mit ihren Porträts und Namen, die Erg Noor überreichte wurde. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, traten sie zur Seite. Nun drängten alle zum Schiff. Die Menschen stellten sich vor der Besatzung der „Lebed“ auf, nachdem sie die Angehörigen der Weltraumreisenden zu dem kleinen frei gebliebenen Platz vor dem Aufzug durchgelassen hatten. Die Kameraleute hielten jede Geste der Astronauten fest — die letzte Erinnerung, die dem Heimatplaneten verblieb.
Erg Noor sah Weda von fern und ging, das bronzene Zertifikat hinter den breiten Gürtel seiner Pilotenkleidung steckend, mit schnellen Schritten auf sie zu.
„Wie gut, daß Sie gekommen sind, Weda!“
„War das nicht selbstverständlich?“
„Sie sind für mich Symbol der Erde und meiner vergangenen Jugend.“
„Die Jugend Nisas ist mit Ihnen — jetzt für immer.“
„Ich sage nicht, daß ich nichts bedauere — das wäre Lüge. Vor allem tun mir Nisa und meine Kameraden leid. Auch mit mir habe ich Mitleid. Zuviel ist es, was wir verlieren! Bei meiner letzten Rückkehr habe ich die Erde auf neue Art liebengelernt — fester, einfacher, unbedingter.“
„Und trotzdem fahren Sie, Erg?“
„Ich kann nicht anders. Hätte ich abgelehnt, wäre nicht nur der Kosmos, auch die Erde wäre für mich verloren gewesen.“
„Je schwieriger die Heldentat, um so größer die Begeisterung.“
„Sie verstehen mich immer, Weda. Hier ist auch Nisa.“
Das schmal gewordene, knabenhafte Mädchen senkte den Blick. Weda zog sie an sich.
„Noch neun Minuten bis zum Schließen der Luken“, sagte Erg fast tonlos, ohne Weda aus den Augen zu lassen.
„Noch so lange!“ rief Nisa mit tränenerstickter Stimme aus.
Weda und die anderen, die zum Abschied gekommen waren, fanden keine Worte. Wie sollten sie auch ihren Gefühlen Ausdruck geben angesichts einer Heldentat, die vollbracht wurde für die, die noch gar nicht geboren waren. All dessen waren sich die Scheidenden wie die Abschiednehmenden bewußt. Was sollten da noch leere Worte?
Das zweite Signalsystem des Menschen erwies sich als unvollkommen und machte dem dritten Platz. Nur Blicke, in denen sich all das widerspiegelte, was mit Worten nicht auszudrücken war, trafen sich schweigend und gespannt oder nahmen die karge Natur von El Homra in sich auf.
„Es ist Zeit!“ Die sonst so feste Stimme Erg Noors zitterte. Weda drückte laut aufschluchzend Nisa an sich. Beide Frauen hielten sich einige Sekunden fest umarmt während die Männer einen letzten Händedruck tauschten. Der Lift brachte bereits acht der Astronauten zur ovalen schwarzen Luke des Sternschiffes hinauf. Erg Noor nahm Nisa beim Arm und flüsterte ihr etwas zu. Das Mädchen errötete, riß sich los und lief zum Sternschiff.
Erg Noor und Nisa fuhren gleichzeitig nach oben.
Vor der dunklen Luke an der hell erleuchteten Seite der „Lebed“ verharrten für einen Augenblick zwei Gestalten — die eines hochgewachsenen Mannes und eines schlanken Mädchens. Sie nahmen die letzten Grüße der Erde entgegen.
Weda Kong preßte die Hände so fest zusammen, daß Dar Weter ihre Knöchel knacken hörte.
Erg Noor und Nisa verschwanden. Aus dem Dunkel schob sich eine ovale Platte vor die Luke. Sie war von der gleichen grauen Farbe wie der ganze Rumpf. Eine Sekunde später hätte selbst ein scharfes Auge nicht mehr die Umrisse der eben noch vorhandenen Öffnung im Leib des Riesenschiffes erkennen können.
Drohend heulten Alarmsignale auf. Wie herbeigezaubert erschienen in der Nähe des Schiffes breite, schnelle Fahrzeuge, um die Menschen vom Startfeld zu bringen. Auch die Fernsehanlagen und die Scheinwerfer wurden in verschiedenen Richtungen zurückgezogen, ohne daß das Schiff jedoch vom Bildschirm verschwand. Der graue Rumpf der „Lebed“ verblaßte und schien kleiner zu werden. Am Bug des Schiffes blinkten unheildrohend rote Lichter auf — das Signal der Startbereitschaft. Das Vibrieren der starken Motoren übertrug sich auf den festen Boden. Das Sternschiff drehte sich auf seinen Stützen, um die Startrichtung einzunehmen. Die Fahrzeuge mit den Zurückbleibenden entfernten sich immer weiter, bis sie die in der Dunkelheit aufleuchtende Sicherheitslinie auf der Windseite erreicht hatten. Dort stiegen die Menschen eilig aus, und die Fahrzeuge rasten zurück, um die übrigen zu holen.
„Sie werden uns und unseren Himmel nie wiedersehen?“ fragte Tschara Mwen Mass.
Er beugte sich zu ihr. „Nein! Höchstens in den Stereoteleskopen.“
Unter den Stützen des Sternschiffes leuchteten grüne Lichter auf. Der Funkturm für interplanetare Flüge auf dem Dach des Zentralgebäudes drehte sich mit rasender Geschwindigkeit — die Warnung vor dem Start des Riesenschiffes wurde in alle Richtungen gesendet.
„Das Schiff ist klar zum Start!“ erklang plötzlich eine schrille Stimme mit solcher Stärke, daß Tschara zusammenzuckte und sich an Mwen Mass klammerte. „Befinden sich noch Personen innerhalb des Kreises? Es besteht Lebensgefahr!“ schrie die Stimme des Automaten, während seine Scheinwerfer das Feld abtasteten, auf der Suche nach Menschen, die zufällig innerhalb der Gefahrenzone verblieben waren.
Nachdem sie niemand gefunden hatten, erloschen die Scheinwerfer. Und wieder brüllte der Automat, diesmal noch lauter, wie es Tschara schien: „Sofort nach Ertönen des Glockensignals dem Schiff den Rücken zukehren und die Augen schließen! Bis zum zweiten Glockenzeichen nicht öffnen! Umdrehen und Augen schließen.“
Dar Weter nahm ruhig die zusammengerollten Halbmasken mit den schwarzen Gläsern vom Gürtel und setzte sie Weda und sich auf. Kaum hatte er die Öse geschlossen, als ein hoher Glockenton erklang.
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