„Hoffnung?“ Erg Noor horchte auf.
„Selbstverständlich! Schauen Sie her“, der Biologe wies auf die gerade Linie des Diagramms. „Die empfindlichen Elektroden, die wir in die Medusenfalle versenkt haben, zeigen nichts an. Als die Tiere hineinkrochen, hatten sie aber noch ihre volle Energieladung; sie konnte nicht mehr entweichen, nachdem der Tank verschlossen war. Die Isolationsschicht der kosmischen Lebensmittelbehälter ist wohl kaum durchlässig, anders hingegen unsere leichten biologischen Raumanzüge. Überlegen Sie einmal: Das Kreuz, das Nisa zum Verderben wurde, hat Ihnen keinerlei Schaden zugefügt. Sein Ultraschall ist zwar auch durch Ihren Sicherheitsschutzanzug gedrungen und hat Ihren Willen gelähmt, aber die gefährlichen Entladungen erwiesen sich als machtlos. Sie durchschlugen nur Nisas Raumanzug, wie die Energieladung der Medusen meinen durchschlug.“
„Folglich muß sich die Ladung der Kugelblitze, oder was es sonst sein mag, noch in dem Tank befinden. Die Instrumente zeigen aber nichts an.“
„Eben darauf beruht unsere Hoffnung. Denn es bedeutet, daß die Medusen nicht zu Staub zerfallen, sind. Sie…“
„Ich verstehe. Sie haben sich eingekapselt, sich mit einer Art Kokon umgeben.“
„Ja. Diese Form der Anpassung ist unter den Organismen, die für ihre Lebensweise ungünstige Perioden überdauern müssen, weit verbreitet. Die langen eisigen Nächte des schwarzen Planeten, seine schrecklichen Orkane bei ›Sonnenaufgang und — untergang‹ — das sind solche Zeiträume. Da sie aber verhältnismäßig schnell vorübergehen, bin ich überzeugt, daß sich die Medusen ebensoschnell den veränderten Gegebenheiten anpassen. Wenn meine Überlegung richtig ist, werden wir die schwarzen Medusen wieder zu neuem todbringendem Leben erwecken können.“
„Indem wir hier die Temperatur, die Atmosphäre, die Lichtverhältnisse und die sonstigen Bedingungen des schwarzem Planeten reproduzieren?“
„Ja. Alles ist berechnet und vorbereitet. Grim Schar wird bald hier sein. Dann blasen wir ein Neon-Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch bei einem Druck von drei Atmosphären in den Tank. Zuvor aber wollen wir uns überzeugen.“
Eine Weile beriet sich Eon Tal mit den beiden Assistenten. Langsam wurde ein Aggregat an den braunen Tank herangeschoben, die vordere Rupholuzitplatte rückte zur Seite und gab den Zugang zu der gefährlichen Falle frei.
Die Elektroden im Tank wurden durch Mikrospiegel mit zylindrischen Leuchten ersetzt. Einer der Assistenten trat an das Fernsehsteuerpult, und auf dem Bildschirm erschien eine gewölbte Oberfläche, die mit einem körnigen Belag bedeckt war und die Lichtstrahlen matt zurückwarf — die Wandung des Tanks. Der Spiegel wanderte weiter.
„Mit Röntgenstrahlen kommen wir schlecht durch“, erklärte Eon Tal. „Die Isolierung ist zu stark. Da müssen wir eben dieses komplizierte Verfahren anwenden.“
Der kreisende Spiegel zeigte den Boden des Tanks; dort lagen zwei kugelartige weiße Gebilde mit einer porösen, faserigen Oberfläche.
„Stellen Sie eine Verbindung zu Grim Schars Vektor her!“ wandte sich der Biologe aufgeregt an den Assistenten.
Als der Wissenschaftler seine Mutmaßungen bestätigt fand, kam er sofort ins Laboratorium gelaufen. Die Augen wie immer leicht zusammenkneifend, betrachtete er die vorbereiteten Apparate. Grim Schar hatte nichts von einem berühmten Wissenschaftler mit imponierendem Äußeren und herrischem Wesen an sich. Erg Noor fühlte sich an Ren Boos und sein schüchternes, jungenhaftes Gebaren erinnert, das so gar nicht der Größe seines Geistes entsprach.
„Öffnen Sie die zugeschweißte Fuge!“ wies Grim Schar an.
Der mechanische Arm durchschnitt die harte Emailleschicht, ohne den schweren Deckel von der Stelle zu rücken. Die Schläuche mit dem Gasgemisch wurden an die Ventile angeschlossen. Ein starker Infrarotscheinwerfer ersetzte den Eisenstern.
„Temperatur…, Schwerkraft…, Druck…, elektrische Ladung…“, der Assistent las die Angaben der Geräte ab.
Nach einer halben Stunde wandte Grim Schar sich an den Astronauten.
„Gehen wir in den Ruheraum. Es läßt sich nicht voraussagen, wann sich die Kapseln beleben. Hat Eon Tal recht, wird das bald geschehen. Die Diensthabenden werden uns rechtzeitig informieren.“
Das Institut für Nervenströme lag am Rande des Steppenreservats, fernab von der bewohnten Zone. Gegen Ende des Sommers war der Boden ausgedörrt. Mit leichtem Rauschen ging der Wind über die Steppe und trug den Duft des sonnengetrockneten Grases in die weit geöffneten Fenster.
Die drei Forscher versanken in den bequemen Sesseln. Schweigend blickten sie durch die Fenster über die ausladenden Bäume hinweg auf den Dunstschleier am fernen Horizont. Hin und wieder schloß einer von ihnen die ermüdeten Augen, doch die Erwartung war zu groß, als daß er hätte einschlummern können. Noch keine drei Stunden waren vergangen, als der Bildschirm der Direktverbindung aufflammte. Der diensthabende Assistent war ganz außer sich.
„Der Deckel bewegt sich!“ Sekunden später befanden sich alle drei im Laboratorium.
„Dichten Sie die Rupholuzitkammer ab und prüfen Sie, ob sie hermetisch abgeschlossen ist!“ ordnete Grim Schar an. „Schaffen Sie im Innern Bedingungen wie auf dem Planeten!“
Ein leises Zischen der starken Pumpen, ein Pfeifen der Druckregler, und in dem Behälter herrschte die Atmosphäre des nachtschwarzen Reiches.
„Erhöhen Sie den Feuchtigkeitsgehalt und die elektrische Spannung“, fuhr Grim Schar fort.
Ein scharfer Ozongeruch ging durch das Laboratorium.
Nichts rührte sich. Der Wissenschaftler runzelte die Stirn, warf einen Blick auf die Instrumente und überlegte, was er wohl außer acht gelassen habe.
„Die Dunkelheit fehlt!“ ließ sich plötzlich Erg Noors klare Stimme vernehmen.
Eon Tal sprang auf.
„Wie konnte ich das vergessen! Grim Schar, Sie waren nicht auf dem Eisenstern, aber ich!“
„Die Polarisationsblenden!“ sagte der Wissenschaftler statt einer Antwort.
Das Licht erlosch. Nur die Lichtstreifen der Instrumente blinkten noch im Raum. Die Assistenten zogen Vorhänge vor das Schaltpult, und alles versank in Finsternis. Schwach glommen die Punkte der selbstleuchtenden Indikatoren.
Ein Hauch von dem schwarzen Planeten zog durch den Raum und weckte in den Astronauten Erinnerung an die schrecklichen, aber auch faszinierenden Tage ihres harten Kampfes.
Einige Minuten vergingen. Das tiefe Schweigen wurde nur von den vorsichtigen Bewegungen Eon Tals unterbrochen, der den Bildschirm für Infrarotstrahlung mit einem Polarisator versah, um eine Abstrahlung des Lichts zu verhindern.
Erst ein schwaches Geräusch, dann ein schwerer Schlag — der Deckel des Wassertanks war in die Rupholuzitkammer gestürzt. Wohlbekannte bräunliche Funken blitzten auf — die Fühler des einen schwarzen Scheusals erschienen am oberen Rand des Tanks. Mit einem plötzlichen Sprung flog es empor, dehnte sich im Schutz der Dunkelheit aus, bis es den ganzen Raum der Rupholuzitkammer einnahm und an die durchsichtige Decke stieß. Tausende bräunlicher Sternchen rieselten über den Körper der Meduse; er blähte sich zu einer Kuppel und stemmte sich mit den Bündeln der Fühler gegen den Boden der Kammer. Das zweite Scheusal kroch aus dem Tank und flößte mit seinen schnellen und lautlosen Bewegungen unwillkürlich Furcht ein. Aber hier, hinter, den stabilen Wänden der Versuchskammer und umgeben von ferngesteuerten Instrumenten, waren die schrecklichen Geschöpfe machtlos.
Die Instrumente maßen, fotografierten, berechneten, zeichneten komplizierte Kurven und analysierten die Struktur dieser Wesen nach den verschiedensten physikalischen, chemischen und biologischen Gesichtspunkten. Der menschliche Verstand faßte die Resultate zusammen, erforschte die Struktur der Ungeheuer und unterwarf sie sich.
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