„Ich sehe Ewda Nal im Saal“, fuhr Dar Weter fort. „Sie wird Ihnen bestätigen, daß Romantik nicht nur etwas mit Psychologie zu tun hat, sondern auch mit Physiologie! Ich schlage vor, das neue Sternschiff ›Lebed‹ zu dem grünen Stern Achernar zu schicken, denn erst nach einhundertundsiebzig Jahren wird man auf unserem Planeten das Resultat erfahren. Grom Orm hat völlig recht: Wir sind den Nachkommen gegenüber verpflichtet, unserer Erde ähnliche Planeten zu erforschen und die Basis für ein weiteres Vordringen in den Kosmos zu schaffen.“
„Der Anamesonvorrat reicht nur für zwei Sternschiffe“, wandte der Sekretär Mir Om ein. „Wenn wir nicht der Wirtschaft ernsthaft Schaden zufügen wollen, kann erst in zehn Jahren ein weiteres Schiff startklar sein. Ich erinnere, daß der Wiederaufbau des Satelliten gegenwärtig viele Produktivkräfte in Anspruch nimmt.“
„Das habe ich vorausgesehen“, erwiderte Dar Weter.
„Wenden wir uns doch an die Bevölkerung unseres Planeten, wenn der Wirtschaftsrat nichts dagegen hat. Soll ein jeder seine Vergnügungsfahrten und Reisen um ein Jahr verschieben, soll man die Fernsehkameras unserer Aquarien in den Tiefen des Ozeans ausschalten undvorläufig keine Edelsteine und seltenen Gewächse von Mars und Venus holen, soll man die Bekleidungs- und Schmuckindustrie vorübergehend stillegen. Der Wirtschaftsrat wird besser wissen als ich, was zu tun ist, um Energie für die Herstellung von Anameson einzusparen. Wer von uns wird nicht gern seine Bedürfnisse ein einziges Jahr lang einschränken, damit er seinen Kindern ein großes Geschenk darbringen kann: zwei neue Planeten unter den belebenden Strahlen einer grünen Sonne!“
Dar Weter streckte die Arme aus und wandte sich mit dieser Geste an die ganze Welt, denn er wußte, daß ihm Milliarden an den Fernsehgeräten zuschauten. Er nickte noch einmal und verschwand vom Bildschirm. Im Saal standen alle Anwesenden auf und hoben die linke Hand zum Zeichen, daß sie mit dem Vorschlag einverstanden waren.
Noch einmal ergriff Grom Orm das Wort.
„Die Entscheidung des Rates ist gefallen. Wir werden also die Menschheit bitten, ihre Bedürfnisse für das Jahr vierhundertundneun der Ära des Großen Rings einzuschränken. Dar Weter hat nicht erwähnt, daß Historiker ein goldenes Pferd aus der Ära der Partikularistischen Welt entdeckt haben. Diese Hunderte Tonnen reinen Goldes können wir für die Anamesonherstellung zusätzlich verwenden. Erstmalig in der Geschichte der Erde werden wir zu drei Sternsystemen gleichzeitig Expeditionen entsenden und versuchen, Welten zu erreichen, die siebzig Lichtjahre entfernt sind!“
Der Vorsitzende schloß die Versammlung, und bat die Mitglieder des Rates, noch zu bleiben. Die Forderungen an den Wirtschaftsrat und die Anfragen an die „Akademie für Stochastik und Vorhersage der Zukunft“ wegen möglicher Zwischenfälle auf dem weiten Weg zum Achernar mußten sofort zusammengestellt werden.
Müde ging Tschara hinter Ewda her und wunderte sich, daß die Ärztin noch so frisch aussah. Sie wollte so schnell wie möglich allein sein, um in aller Stille über Mwen Mass’ Rechtfertigung nachzudenken. Heute war ein denkwürdiger Tag! Freilich, zum Helden war Mwen Mass nicht erklärt worden, wie Tschara insgeheim gehofft hatte. Für lange, wenn nicht für immer, war er von der wichtigen Arbeit ausgeschlossen. Aber hatte man ihn nicht in der Gesellschaft belassen! War ihm nicht der breite, wenn auch beschwerliche Weg der Forschung, Arbeit und Liebe offen!
Ewda Nal überredete das Mädchen, in das nächste Haus für Ernährung mitzukommen. Tschara starrte jedoch so lange auf die Auswahltafel, daß Ewda für beide wählte und die Chiffren der gewünschten Gerichte sowie die Tischnummer in den Bestelltrichter des Automaten hineinrief. Kaum hatten sie an einem kleinen ovalen Tisch Platz genommen, als sich in der Platte eine Klappe öffnete und ein kleiner Behälter mit dem Bestellten zum Vorschein kam. Ewda Nal reichte Tschara einen Becher mit dem schillernden Erfrischungsgetränk „Lio“, sie selbst trank mit Behagen ein Glas kühles Wasser und begnügte sich mit einem Auflauf aus Kastanien, Nüssen, Bananen und Schlagsahne. Tschara aß ein Gericht aus geriebenem Raptenfleisch — einem Geflügel, das man in jüngster Zeit Huhn und Wild vorzog. Dann war sie entlassen. Ewda Nal blickte ihr nach, als sie mit einer Grazie, die sogar im Zeitalter des Großen Rings auffiel, zwischen schwarzen Metallstatuen und bizarr geformten Kandelabern die Treppe hinuntereilte.
Mit angehaltenem Atem verfolgte Erg Noor die Handgriffe der geschickten Laboranten. Die zahlreichen Instrumente erinnerten an die Steuerzentrale eines Sternschiffes, doch die Größe des Raumes und die breiten blauschimmernden Fenster hoben den Eindruck wieder auf.
Auf einem Metalltisch in der Mitte des Zimmers stand eine Kammer aus dicken Rupholuzitplatten, einem Material, das infrarote und sichtbare Lichtstrahlen durchließ. Ein Gewirr von Rohren und Leitungen wand sich um die braune Emaille des Sternschiff-Wassertanks, der die beiden schwarzen Medusen vom Planeten des Eisensterns enthielt.
Eon Tal, der seinen Arm nach wie vor in der Binde tragen mußte, blickte aus einiger Entfernung angespannt auf die sich langsam drehende Trommel des Registriergerätes. Dem Biologen standen Schweißtropfen auf der Stirn.
Erg Noor fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
„Nichts. Nach den fünf Jahren Flug ist nur noch Staub übriggeblieben“, sagte der Astronaut, heiser vor Erregung.
„Wenn das stimmt, welch Unglück… für Nisa und für mich!“ meinte der Biologe. „Jahrelang wird man eventuell experimentieren müssen, um die Art der Verletzung festzustellen.“
„Sie glauben nach wie vor, daß die Organe, mit denen die Beute getötet wird, bei den Medusen und dem Kreuz gleich sind?“
„Nicht nur ich. Auch Grim Schar und die anderen sind zu dieser Überzeugung gelangt. Anfangs allerdings gab es die verschiedensten Mutmaßungen. Ich dachte, das schwarze Kreuz habe mit dem Planeten überhaupt nichts zu tun.“
„Das war auch meine Überlegung, wie Sie sich sicherlich erinnern können. Ich nahm an, dieses Wesen gehöre zum Tellerschiff und bewache es. Aber wenn man bedenkt: Welchen Sinn sollte es haben, diese unüberwindliche Festung zu bewachen? Schon der Versuch, die Spiralscheibe zu öffnen, hat die Unsinnigkeit solcher Mutmaßungen bewiesen.“
„Ich hielt das Kreuz für gar kein Lebewesen“, erwiderte Eon Tal.
„Für einen Roboter, der zum Schutz des Raumschiffes aufgestellt war?“
„Ja. Jetzt bin ich natürlich anderer Meinung. Das schwarze Kreuz ist ein Lebewesen, eine Ausgeburt jener Welt der Finsternis. Wahrscheinlich hausen diese Kreaturen unten, in der Ebene. Die Medusen hingegen, leichter und beweglicher, leben auf dem Hochplateau, dort, wo wir gelandet sind. Die Verbindung zwischen dem schwarzen Kreuz und der Spiralscheibe ist rein zufällig — unsere Schutzvorrichtungen wirkten einfach nicht bis zu jenem entfernten Winkel der Ebene, der hinter der gigantischen Scheibe immer im Dunkeln blieb.“
„Sie halten also die todbringenden Organe von Kreuz und Medusen für gleich?“
„Ja. Bei diesen Tieren, die unter den gleichen Bedingungen leben, mußten sich auch gleiche Organe entwickeln. Der Eisenstern ist eine warme elektrische Sonne. Die dichte Atmosphäre des Planeten ist stark mit Elektrizität geladen. Grim Schar meint, daß die Tiere der Atmosphäre Energie entnehmen und sie komprimieren, so daß etwas Ähnliches wie unser Kugelblitz entsteht. Denken Sie nur an das blitzartige Auftauchen der bräunlichen Sternchen auf den Fühlern der Medusen.“
„Auch das Kreuz hatte Fühler, aber…“
„Das hat in der Aufregung keiner bemerkt. In einem aber sind wir uns einig — die Art der Verletzung der Nervenstränge verbunden mit einer Lähmung des entsprechenden Nervenzentrums ist bei Nisa und mir die gleiche! Das ist der eindeutige Beweis und auch unsere ganze Hoffnung!“
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