Der Sekretär verließ die Tribüne. Eine junge Frau mit kurzem goldblondem Haar und staunenden grünen Augen nahm seinen Platz ein. Grom Orm, der Vorsitzende des Rates, trat neben sie.
„Für gewöhnlich geben wir neue Vorschläge bekannt. In diesem Fall aber handelt es sich um eine fast abgeschlossene Untersuchung. Die Verfasserin, Iwa Dshan, wird Ihnen selbst das Material zu einer gründlichen Prüfung unterbreiten.“
Die junge Frau begann ihre Ausführungen mit leiser, gepreßter Stimme. Ihr Ausgangspunkt war die allgemein bekannte Tatsache, daß sich die Pflanzenwelt der südlichen Kontinente durch einen bläulichen Farbton der Blätter auszeichnete, wie er für die archaischen Formen der irdischen Flora charakteristisch war. Die Untersuchung der Pflanzenwelt anderer Planeten hatte ergeben, daß bläuliches Blattlaub in lichtdurchlässigeren Atmosphären oder bei härterer ultravioletter Strahlung der betreffenden Sonne wuchs.
„Während die rote Strahlung unserer Sonne konstant geblieben ist, ist ihre blaue und ultraviolette Strahlung instabil, und vor etwa zwei Millionen Jahren hat sich ihre violette Strahlung stark und anhaltend verändert.
Damals entwickelten sich bläuliche Pflanzen; Vögel und andere Tiere, die unter freiem Himmel lebten, nahmen eine schwarze Färbung an; Vögel, die an schattenlosen Stellen nisteten, legten schwarze Eier. Zu dieser Zeit wurde die Achse unseres Planeten infolge einer Änderung der elektromagnetischen Verhältnisse unseres Sonnensystems instabil. Schon vor längerer Zeit wollte man Meere in die Senken des Festlandes leiten, um das bestehende Gleichgewicht zu stören und die Lage der Erdachse zu verändern. Damals stützten sich die Astronomen lediglich auf die elementare Mechanik der Gravitation und ließen das elektromagnetische Gleichgewicht des Systems völlig außer acht, wo es doch weit größeren Schwankungen unterworfen war als die Gravitation. Und nur von dieser Seite aus müssen wir an die Lösung des Problems herangehen. Es ist einfacher, billiger und führt schneller zum Ziel. Erinnern wir uns: Zu Beginn der Raumfahrt mußte man riesige Energiemengen aufwenden, wollte man künstliche Schwerkraft erzeugen. Praktisch war das also unmöglich. Heute, nach der Entdeckung des Mesonenzerfalls, sind unsere Raumschiffe mit einfachen und zuverlässigen Aggregaten zur Erzeugung künstlicher Gravitation ausgestattet. So bedeutet auch Ren Boos’ Experiment einen Umweg zur wirksamen und raschen Veränderung der Erdrotation.“
Iwa Dshan verstummte. Eine Gruppe von sechs Männern, die Helden der Pluto-Expedition, grüßten sie von der Mitte des Saales, indem sie ihr die gefalteten Hände entgegenstreckten. Die Wangen der jungen Frau röteten sich. Auf dem Bildschirm waren die Konturen stereometrischer Zeichnungen zu sehen.
„Man kann sogar noch weiter gehen und die Umlaufbahnen der Planeten verändern, insbesondere den Pluto näher an die Sonne heranbringen, um auf diesem einst bewohnten Planeten wieder Leben ansiedeln zu können. Doch vorerst denke ich nur an eine Verschiebung der Erdachse, um die klimatischen Bedingungen der kontinentalen Hemisphäre zu verbessern.
Ren Boos’ Experiment hat gezeigt, daß eine Inversion des Gravitationsfeldes in seinen zweiten Aspekt, das Magnetfeld, mit anschließender vektorieller Polarisation in folgenden Richtungen möglich ist…“
Die Figuren auf dem Bildschirm zogen sich in die Länge und drehten sich. Iwa Dshan fuhr fort: „Daraufhin verliert die Erddrehung ihre Stabilität, und unser Planet kann in jede gewünschte Lage gebracht werden, die die günstigste und längste Sonnenbestrahlung gewährleistet.“
Auf einer langen Glasscheibe unterhalb des Bildschirms waren maschinell berechnete Parameter aneinandergereiht. Jeder, der diese Symbole verstand, konnte sich davon überzeugen, daß Iwa Dshans Projekt theoretisch fundiert war.
Iwa Dshan schaltete die Zeichnungen und Symbole aus und verließ mit gesenktem Blick die Tribüne. Die Zuhörer flüsterten lebhaft miteinander. Der junge Leiter der Pluto-Expedition schritt zur Tribüne, nachdem er sich durch Gesten mit Grom Orm verständigt hatte.
„Zweifellos führt Ren Boos’ Experiment zu einer Kettenreaktion — einer Folge wichtiger Entdeckungen. Meiner Meinung nach wird es der Wissenschaft ungeahnte Perspektiven eröffnen. Genauso war es mit der Quantentheorie, dem ersten Schritt auf dem Wege zum Verständnis des Repagulums, und der anschließenden Entdeckung der Antiteilchen und der Antifelder. Dann folgte die Repagularrechnung, die ein Sieg über die Unschärferelation in der klassischen Physik Heisenbergs war. Und schließlich hat Ren Boos den nächsten Schritt zur Analyse des Raum-Feld-Systems getan, wobei er hinter das Geheimnis der Antigravitation und des Antiraums oder, nach dem Gesetz des Repagulums, des Nullraums kam. Auch alle nicht anerkannten Theorien haben letzten Endes am Fundament der Wissenschaft mitgebaut!
Ich bin von der Pluto-Forschergruppe beauftragt, das Problem durch den Welt-Informationsdienst zur Diskussion zu stellen. Eine Verschiebung der Erdachse würde den Energieaufwand für die Erwärmung der Polargebiete verringern, die Polarfronten noch mehr abschwächen und den Wasserhaushalt der Kontinente verbessern.“
„Ist die Frage so weit klar, daß wir zur Abstimmung kommen können?“ fragte Grom Orm.
Als Antwort flammten unzählige grüne Lämpchen auf.
„Also stimmen wir ab!“ sagte der Vorsitzende und fuhr mit der Hand unter das Pult.
Er drückte auf einen der drei Signalknöpfe, die an die Rechenmaschine „Ja“, „Nein“ oder „Stimmenthaltung“ weitergaben. Ihm gleich taten es alle Ratsmitglieder in geheimer Abstimmung. So auch Ewda Nal und Tschara. Eine zweite Maschine registrierte die Meinungen der übrigen Zuhörer; gleichsam die Kontrolle für die Richtigkeit des Ratsbeschlusses.
Wenige Augenblicke später leuchteten auf den Vorführbildschirmen große Zeichen auf: Das Problem war zur Diskussion angenommen.
Nun betrat Grom Orm die Tribüne.
„Aus einem Grunde, den zu verschweigen mir bis zum Abschluß der Angelegenheit; erlaubt sei, muß erst die Handlungsweise des ehemaligen Leiters der Außenstationen, Mwen Mass, untersucht und danach die Frage nach der achtunddreißigsten Sternenexpedition entschieden werden. Ist der Rat einverstanden?“
Grüne Lichter waren die einmütige Antwort.
„Sind allen die Vorfälle im einzelnen bekannt?“
Wieder eine Flut von grünen Lichtern.
„Das beschleunigt die Sache! Ich bitte Mwen Mass, die Motive seiner Handlungsweise, die solche furchtbaren Folgen hatte darzulegen. Da sich der Physiker Ren Boos noch nicht von seinen Verletzungen erholt hat, konnte er nicht als Zeuge geladen werden. Er unterliegt keiner Verantwortung.“
Grom Orm sah das rote Licht an Ewda Nals Platz.
„Dem Rat zur Kenntnisnahme! Ewda Nal möchte der Mitteilung über Ren Boos etwas hinzufügen.“
„Nur, daß ich statt seiner zu sprechen wünsche.“
„Aus welchen Motiven?“
„Ich liebe ihn!“
„Sie können sich nach Mwen Mass äußern.“
Mwen Mass ging auf die Tribüne.
Ruhig, ohne etwas zu beschönigen, berichtete er über die unerwarteten Resultate des Experiments und über die frappierende Begebenheit, deren Realität er nicht beweisen konnte. Da sie den Versuch heimlich durchführen wollten und daher zu großer Hast gezwungen waren, hatten sie keine Spezialgeräte zur Aufzeichnung konstruieren können und sich auf die normalen Gedächtnismaschinen verlassen müssen, deren Empfänger dann restlos zerstört wurden. Falsch war es auch, den Versuch auf dem Satelliten durchzuführen. Man hätte an den Satelliten 57 ein altes Planetenschiff hängen und dort die Geräte zur Orientierung des Vektors unterbringen müssen. An allem sei allein er, Mwen Mass, schuld. Ren Boos habe sich nur mit der Anlage befaßt, die Durchführung des Versuches im Kosmos lag ausschließlich in der Kompetenz des Leiters der Außenstationen.
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