Die Quelle des Geräuschs, wie ich bald herausfand, war höchstwahrscheinlich ein viereckiges Zelt auf einer ansteigenden Wiese, die sich weiter östlich zu einem ansehnlichen Hügel mauserte. Der Zelteingang war offen; also stelzte ich vorbei, die Hände auf dem Rücken, Gleichgültigkeit mimend, aber doch ein oder zwei beiläufige Blicke nach innen werfend. Aber ich konnte mit dem besten Willen nichts erkennen — meine Sicht wurde nicht bloß durch den Zeltschatten beeinträchtigt, sondern auch durch einen feinen Treibnebel aus Tabak- und Hanfrauch, der sich überschlagend in den Sonnenschein entwich, dass man meinen konnte, das Zelt sei lebendig und atme; und ich musste mehrmals vorbeikommen, um die wahre Ursache für so viel Rauch und Krach auszumachen: Es war ein Mann, der an einem zerbrechlich wirkenden Holztisch saß und mit einer Maschine zugange war.
Mein Bemühen, nicht aufzufallen, war nicht von Erfolg gekrönt, denn als ich das siebte oder achte Mal vorbeischaute, rief der geheimnisvolle Mann: »Schluss mit der Hampelei da draußen! Reinkommen oder Land gewinnen — eins von beiden.« Seine Stimme war rau, und er redete mit einem nasalen Akzent, der an Julian erinnerte.
»Ich wollte Sie nicht stören, tut mir leid«, sagte ich hastig.
»Gestört war ich schon, bevor Sie aufgetaucht sind; was noch lange nicht … Was starren Sie denn so?«
»Diese Maschine«, sagte ich, tat einen dreisten Schritt ins schattige Innere und widerstand der beinah unwiderstehlichen Versuchung, den Atem anzuhalten. Als sich meine Augen an die trübe Helligkeit gewöhnten, sah ich, dass der Mann mit Aschenbecher, Pfeife, Tabakbeutel und Flachmann bewaffnet war; Letzterer erklärte den Übergeruch von Alkohol in dieser schwindelerregenden Mischung aus Moschusdüften. Der Mann sah nicht aus wie ein Infanterist und schien tatsächlich ein Zivilist zu sein. Seine Sachen waren fadenscheinig und an etlichen Stellen ausgebessert, ließen aber auf Geschmack und Qualität schließen. Der Hut hatte eine schmale Krempe und war tief in die Stirn gezogen.
Doch das war nur eine flüchtige Analyse, denn ich fand die Maschine weit interessanter. Sie war nicht viel größer als ein großzügig bemessener Brotkasten und sah von außen so ausgeklügelt aus wie eine Taschenuhr von innen und war in schwarzem Emaille gehalten und mit ganz vielen runden, weißen Knöpfen mit einem silbernen Kragen besetzt, von denen jeder Einzelne mit einem schwarzen Buchstaben beschriftet war. Dahinter, am oberen Ende der Maschine, saß ein Blatt Papier fest um einen nudelholzförmigen Zylinder gespannt; auf dem Papier waren Buchstaben gedruckt.
»Das ist eine Schreibmaschine«, sagte der Mann. »Die gibt’s wohl nicht in dem Weiler, aus dem du kommst.«
Ich überhörte die Anspielung auf Williams Ford und sagte: »Sie meinen, das ist eine Druckerpresse? Machen Sie denn ein Buch?« (Ich wusste damals noch sehr wenig über die technische Seite der Herstellung von Büchern und fand, dass sie womöglich genauso gemacht wurden: von schmuddeligen Männern, die sie mit so einer Maschine Buchstabe für Buchstabe abschrieben.)
»Sehe ich aus wie ein Verleger? Du solltest nicht meine Gastfreundlichkeit benutzen, um mich zu beleidigen.«
»Ich heiße Adam Hazzard«, sagte ich.
»Theodore Dornwood«, murmelte er und wandte sich wieder seiner Tätigkeit zu.
»Eine bemerkenswerte Maschine«, bohrte ich weiter, »auch wenn es keine Druckerpresse ist. Was machen Sie damit? Schreiben Sie Schilder oder Hinweise?«
»Ich bin kein Verleger, ich bin kein Schildermaler, und ich bin auch kein Kompanieschreiber. Ich schaue auf zu diesen Leuten. Ich bin Schriftsteller.«
Jetzt war ich verblüfft — ich war noch nie einem Schriftsteller begegnet und auch noch niemandem, der sich dafür hielt. Ich bekam ganz große Augen und rief reichlich unbesonnen: »Ich auch!«
Mr. Dornwood bekam den Rauch aus seiner Pfeife in den falschen Hals und fing an zu husten.
»Das habe ich wenigstens vor. Ich meine, eines Tages Bücher zu schreiben wie die von Mr. Charles Curtis Easton — Sie haben bestimmt schon von ihm gehört.«
»Wer kennt ihn nicht? Seine Romane bevölkern die Bücherstände in der Hudson Street.«
»Wo ist die Hudson Street?« (Falls sie nämlich in Montreal war, hätte ich vielleicht etwas von meinem Sold investiert, um mit Mr. Eastons Büchern Schritt zu halten.)
»Manhattan«, sagte Mr. Theodore Dornwood mit einem wehmütigen Blick auf das Blatt in seiner Schreibmaschine.
»Dann sind Sie ein Schriftsteller aus New York?«
»Ich schreibe für den Spark .«
Der Spark war eine Zeitung in New York City. Ich hatte noch nie eine Ausgabe gesehen — nicht vom Spark und auch von sonst keiner Zeitung —, Julian hatte das Blatt ein- oder zweimal erwähnt und als beliebt, aber auch vulgär bezeichnet.
»Schreiben Sie gerade einen Bericht?«
»Nein! Ich verplempere meine Zeit mit einem x-beliebigen Infanteristen, der nichts Besseres zu tun hat, als hier aufzukreuzen; aber, ob du’s glaubst oder nicht, ich war tatsächlich bei der Arbeit, bevor du hier herumgeschnüffelt hast.«
Da Theodore Dornwood aus Manhattan kam, wollte ich schon fragen, ob er dort Julian Comstock begegnet oder der ihm über den Weg gelaufen sei; doch mir fiel ein, dass jede unbedachte Preisgabe von Julians richtigem Familiennamen seinem mörderischen Onkel zu Ohren kommen konnte. [33] Deklan der Eroberer muss ja ein richtiges Ungeheuer sein, hatte ich mir neulich überlegt, wenn es gefährlicher war, ihm gegenüberzutreten, als einer Legion von bewaffneten und zornentbrannten Deutschen. Mit dem Unterschied, erklärte Sam, dass unsere Dienstverpflichtung nur etwa ein Jahr und die Bedrohung durch Julians Onkel mindestens eine Amtsperiode dauern würde.
Deshalb ließ ich Julians Namen unerwähnt und sagte: »Tja, ich wünschte. ich hätte so eine schöne Maschine. Besitzen alle New Yorker Schriftsteller eine?«
»Eine Handvoll privilegierte.«
»Wie funktioniert sie?«
»Du drückst die Tasten runter — so — siehst du? — und die Buchstaben werden auf das Papier gestempelt — vorausgesetzt, man lässt dir die nötige Ruhe zum Arbeiten.«
»Geht das nicht langsamer als mit der Hand?«
»Schneller, wenn du geübt bist, und das fertige Manuskript ist eine bessere Druckvorlage … Hazzard, wie war noch dein Name? Bist du der Soldat, der den Landeiern das Schreiben beigebracht hat?«
Der Unterricht, den ich Lymon Pugh gab, war so erfolgreich gewesen, dass noch ein paar andere Infanteristen dazugestoßen waren. Mir gefiel, dass Mr. Dornwood davon gehört hatte. »Der bin ich.«
»Und du schreibst auch?« Er inhalierte aus seiner Pfeife und gab eine Vesuvladung an Rauch von sich. Die beißende Luft im Zelt ließ mir allmählich Flügel wachsen, während Dornwood nichts dergleichen anzumerken war; der Mann hatte seine Laster so lange befriedigt, dass er inzwischen immun gegen sie war. (Er war nicht alt in dem Sinne, wie Sam Godwin alt war, aber er war mindestens zehn Jahre älter als ich — alt genug, um abgehärtet zu sein gegen seine schlechten Angewohnheiten.) »Woran arbeitest du gerade, Adam Hazzard?«
Ich errötete und sagte: »Na ja, ich halte Papier und Bleistift parat … aber ich habe keine Schreibmaschine mit Federn und Hebeln … ich mache mir von Zeit zu Zeit Notizen …«
»Keine Bescheidenheit zwischen Schreiberlingen«, sagte Dornwood. »Du erfindest Geschichten, oder?«
»Ja — von einem Jungen aus dem Westen, der von chinesischen Händlern gekidnappt und gegen seinen Willen aufs Meer gebracht wird, und als er seinen Wärtern entkommt, stößt er auf Piraten, aber die wissen nicht …«
»Verstehe. Und wie vielen Piraten bist du begegnet, Adam Hazzard?«
Die Frage überrumpelte mich. »Im richtigen Leben? Na ja — noch keinem.«
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