»Wenn du mich schwängerst, wirst du mich endlich heiraten«, säuselte sie. »Dann werde ich später einmal eine Frau Doktor sein. Glaubst du, meine Mutter wäre stolz auf mich?« Seine Antwort wartete sie nicht ab. Ihr Mund nahm von seinem Besitz, und ihre kleine Zunge schob sich zielsicher zwischen seine Lippen. Sie küsste ihn so lange und genüsslich, bis sie endlich Luft holen musste. »Wenn sie wüsste, was für ein Schwiegersohn auf sie wartet ...«, hauchte sie, und während sie sich ihm immer weiter entgegenpresste, vergaß er alle guten Vorsätze.
»Katjuscha .« Es war mehr ein verzweifeltes Flüstern als ernsthafte Gegenwehr, als er kraftvoll und gleichzeitig willenlos in sie eindrang. Zitternd fanden sie zu einem langsamen, aber stetigen Rhythmus, und Leonards ernsthaft gefasste Absicht, vorsichtig zu sein und sich rechtzeitig vom Ort des Geschehens zurückzuziehen, bevor ein Unglück geschah, schwand von Minute zu Minute. Trotz ihrer zierlichen Gestalt entwickelte Katja eine erstaunliche Kraft, wenn sie etwas wollte, und so hielt sie seine Lenden fest mit ihren schmalen Schenkeln umklammert, als sie spürte, dass er sich nicht länger beherrschen konnte. Laut stöhnend entlud er sich in ihr zuckendes Fleisch, während sie ihm den Rücken zerkratzte und ihn mit spitzen, schluchzenden Schreien anfeuerte.
Was ihm blieb, war neben einer tiefen Befriedigung ein schlechtes Gewissen und eine Ahnung von aufrichtiger Liebe, der ein krönender Abschluss durch den heiligen Bund der Ehe verwehrt bleiben würde, ganz gleich, was noch folgen sollte.
Während Leonard schwer atmend auf dem Rücken lag, erhob sich Katja mit Leichtigkeit und schlüpfte in seinen wärmenden Hausmantel. Mit der Eleganz einer großen Dame zündete sie sich wenig später eine Papirossa an, die sie gekonnt auf ein langes Elfenbeinmundstück aufsetzte. Danach befeuerte sie, die Zigarette im rechten Mundwinkel wippend, mit ein paar Handgriffen den Bollerofen mit Kohlestücken aus einem geflochtenen Weidenkorb - so lange bis ein wohliges Feuer prasselte. Wie selbstverständlich setzte sie den Suppenkessel darauf und legte zwei trockene Weizenkringel zum Rösten auf die gusseiserne Ofenplatte. Barfuß durchstreifte sie die kleine Studentenbude, die mit einem dicken, abgewetzten roten Teppich ausgelegt und vollgestopft war mit allerlei technischem Gerät, so dass kaum Platz zum Leben blieb. Neben dem Sofa und einem alten Nussbaumschrank mit zwei Türen nahm ein langer Tisch, der mitten im Zimmer stand, den meisten Platz in Anspruch. Auf dessen großzügiger Arbeitsfläche hielten sich unter einem schützenden Leinentuch allerlei seltsame Dinge verborgen. Oszillatoren, Transformatoren, dazwischen Stromkreisregler - verbunden mit einer metallischen Kupferleitung, die unter dem Laken verbotenerweise nach draußen führte. Durch ein geheimes Rohr in der Wand zapfte sie der noch jungfräulichen elektrischen Straßenbeleuchtung von Sankt Petersburg einen nicht unerheblichen Anteil von Strom ab.
»Nicht anfassen!«, rief Leonard beinahe panisch, als Katja sich anschickte, den Zipfel des Leinentuches an einer Ecke zu lüften, und Teile der Konstruktionen gefährlich ins Wanken gerieten.
Trotzig stieß sie den Rauch zwischen ihren vollen Lippen heraus und schüttelte verständnislos den Kopf. »Was soll das werden?«, fragte sie und lächelte provokativ. »Alexej hat mich gefragt, ob du uns mit deinem Wissen eine Bombe bauen könntest. Eine, die den ganzen Zarenpalast hinwegfegt und die Peter-und-Pauls-Festung noch dazu.« Wieder lachte sie, kehlig und noch lauter, als sie Leonards erschrockene Miene registrierte.
»Sprich nicht so«, schalt er sie. »Eines Tages wird es mit deinem feinen Bruder noch ein schlimmes Ende nehmen.«
»Die Bolschewiki werden den Zaren erst lehren, was es heißt, wenn man die Nöte des Volkes ignoriert, wenn man Pasteten frisst, während die Kinder auf der Straße ihre Hungerbäuche vor sich herschieben.« Ihr Blick war herausfordernd. »Meine Mutter ist aus ihrer Anstellung entlassen worden und Alexej auch. Wusstest du das schon?«
Wieder zog sie hastig an ihrer Zigarette, während sie eine Hand in die Taille stemmte und provokativ eine ihrer Hüften soweit vorschob, bis ein nacktes, makelloses Bein aus dem Schlitz des Hausmantels hervorlugte. »Ich werde noch meine Haut verkaufen müssen, damit meine Familie satt wird.« Lasziv legte sie die Zigarette zur Seite und streifte den Mantel ab. Ohne Hemmung präsentierte sie Leonard ihren elfenbeinfarbenen Körper und grinste frech, als sie sah, wie er auf ihr rötlich gelocktes Schamhaar starrte. In der Nähe des wärmenden Ofens nahm sie sich alle Zeit der Welt, um sich anzukleiden, und legte dabei einen gekonnten Striptease hin - wenn auch umgekehrt. Zuerst die dünnen, wollenen Strümpfe, die sie sorgfältig bis zu den Oberschenkeln aufrollte, dann das Korsett, bei dessen Schnürung sie Leonard anstandslos mit ihrer nackten, weißen Kehrseite um Hilfe bat. Erst danach stieg sie - mit einem Blick des Bedauerns - in ihre langen Unterhosen und schlüpfte anschließend in ihr grobes, geblümtes Wollkleid.
»Das werde ich nicht zulassen«, stieß Leonard beinahe atemlos hervor, während er, halb in die Daunendecke eingehüllt, auf dem Rand des Sofas kauerte und sie immer noch wie hypnotisiert anstarrte. Katja würde es kaum an williger Kundschaft mangeln, überlegte er aufgebracht. »Notfalls lasse ich mein Abschlusssemester sausen und verlege es aufs nächste Jahr. Mit dem gesparten Geld können wir eine Weile überleben.«
»Hast duwir gesagt?« Katja ließ die Hand, in der sie die Zigarette hielt, sinken und sah ihn ernst an. Dann drückte sie den Stummel in einem herumstehenden Unterteller aus. Es roch verbrannt. Rasch nahm sie die gerösteten Baranki, bevor sie vollends verkohlten, vom Ofen und legte das runde Gebäck mit spitzen Fingern in einen von jeweils zwei Suppentellern, die sie zuvor von einem Wandregal genommen hatte. Dann ergriff sie eine Kelle von einem Wandhaken und rührte solange in der Suppe herum, bis ein paar letzte, feste Brocken an die Oberfläche wirbelten.
Vorsichtig füllte sie die Teller mit dem dampfenden Sud und stellte sie zum Abkühlen auf der Kommode ab. Mit einem Seufzer setzte sie sich zu Leonard auf die knarrende Bettstatt.
»Ich liebe dich«, flüsterte sie und nahm sein bärtiges Gesicht zwischen ihre warmen Hände. Sie küsste ihn zärtlich und fuhr danach mit ihren Lippen über seine hellblonden, akkurat getrimmten Kinnhaare. »Ach, Leo, du bist ein echter Nemez«, säuselte sie leise und lächelte verklärt. »Deutsch bis ins Mark. Groß, blond und blauäugig, und wer sich in Not befindet, kann sich hundertprozentig auf dich verlassen.«
Nach dem spärlichen Frühstück, das aus halb verkohlten Baranki und drei Tage alter Gemüsebrühe bestand, folgte Leonard nur widerwillig Katjas Aufforderung zum Aufbruch, indem er sich ebenfalls anzog.
»Wir müssen los«, drängte sie. »Alexej wartet auf mich.«
»Wir sollten hierbleiben und uns im Bett verkriechen, anstatt in diesen Wahnsinn hinauszuziehen«, erwiderte Leonard mit einem bitteren Zug um den Mund, während er seine winterliche Aufmachung mit Galoschen, Mütze und Schal komplettierte. Zögernd griff er nach sei-nem stinkenden Mantel. Auch schon egal, dachte er. Dort, wo sie hinwollten, war Alkoholgestank das geringste Übel.
Dann hielt er einen Moment inne, während er in Katjas erwartungsfrohes Gesicht blickte. Ihr weiches, langes Haar hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt, und darüber trug sie einen modischen, schwarzen Wollhut, der wie eine längliche Pilzkappe ihr zartes Gesicht umrahmte. Ein Lächeln huschte über Leonards Lippen. Seine Augen glitten über ihre groben Handschuhe und den abgetragenen Pelzmantel. Zu gerne hätte er ihr einen neuen spendiert, doch dafür fehlte ihm leider das Geld.
»Beinahe hätte ich es vergessen«, sagte er und drehte sich zu seinem Kleiderschrank um. Als er sich ihr erneut zuwandte, hielt er ihr ein braunes, knisterndes Paket entgegen.
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