In den letzten Jahren hatte ITC eine PR-Abteilung aus sechs-undzwanzig Leuten aufgebaut, die auf der ganzen Welt operierten. Ihre Aufgabe war es nicht, der Firma Publicity zu verschaffen, sondern die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit eher abzulenken. ITC, so erklärten sie jedem, der nachfragte, sei eine Firma, die supraleitende Quantenvorrichtungen für Magnetometer und medizinische Scanner herstelle. Diese Vorrichtungen bestanden aus einem komplexen elektromechanischen Element von etwa fünfzehn Zentimeter Länge. Die entsprechenden Pressemitteilungen waren umwerfend langweilig, vollgestopft mit quantentechnologischen Details. Falls dennoch einmal ein Reporter interessiert war, zeigte ITC Begeisterung und veranstaltete für ihn eine Führung durch die Anlage in New Mexico. Man präsentierte ihm ausgewählte Forschungslabore. Und dann zeigte man ihm in einer großen Montagehalle, wie diese Vorrichtungen zusammengebaut wurden — wie die Spulen der Neigungsmesser in den Kryostaten eingebaut wurden, wie die supraleitende Abschirmung montiert und wie die Stromkabel nach außen geführt wurden. Erklärungen bezogen sich auf die MaxwellGleichungen und die Bewegungen der elektrischen Ladung. An diesem Punkt gab so gut wie jeder auf. Einer meinte einmal: »Das ist ungefähr so interessant wie ein Montageband für Haartrockner.« Auf diese Art hatte Doniger es geschafft, die außergewöhnlichste wissenschaftliche Entdeckung des späten zwanzigsten Jahrhunderts unter Verschluß zu halten. Zum Teil diente dieses Stillschweigen der Selbsterhaltung: Andere Firmen, wie etwa IBM und Fujitsu, hatten mit eigener Quantenforschung begonnen, und obwohl Doniger einen vierjährigen Vorsprung hatte, lag es in seinem Interesse, daß sie nicht wußten, wie weit er schon gekommen war.
Er war sich außerdem bewußt, daß sein Plan noch nicht vollendet war, und Geheimhaltung war dringend erforderlich, um ihn abzuschließen. Wie er selbst oft mit einem jungenhaften Grinsen sagte: »Wenn die Leute wüßten, was wir vorhaben, würden sie uns mit Sicherheit stoppen wollen.«
Gleichzeitig wußte Doniger aber, daß er diese Geheimhaltung nicht ewig aufrechterhalten konnte. Früher oder später würde, vielleicht durch einen Zufall, alles herauskommen. Und wenn das passierte, war es allein seine Aufgabe, damit fertig zu werden.
Im Augenblick fragte sich Doniger, ob jetzt dieser Zeitpunkt gekommen war.
Er sah zu, wie die Krankenwagen mit aufheulenden Sirenen davonfuhren.
»Überleg mal«, sagte er zu Krämer. »Vor zwei Wochen war die Arbeit dieser Firma noch hundertprozentig unter Verschluß. Unser einziges Problem war diese französische Reporterin. Dann kam Traub. Dieser depressive alte Mistkerl hat uns alle in Gefahr gebracht. Zuerst ruft Traubs Tod diesen Bullen aus Gallup auf den Plan, der noch immer herumschnüffelt. Dann Johnston. Dann seine vier Studenten. Und jetzt haben wir sechs Techniker, die ins Krankenhaus müssen. Es werden immer mehr Leute, die etwas mitbekommen, Diane. Es dringt zu viel nach draußen.«
»Du glaubst, daß wir die Kontrolle verlieren?«
»Möglich«, sagte er. »Aber ich werde alles tun, damit das nicht passiert. Vor allem, da ich übermorgen diese drei potentiellen neuen
Aufsichtsratsmitglieder erwarte. Also, machen wir den Deckel wieder drauf.«
Sie nickte. »Ich glaube, das schaffen wir.«
»Okay«, sagte er und wandte sich vom Fenster ab. »Sieh zu, daß Stern eins der Gästezimmer bekommt. Sieh zu, daß er wirklich schläft, und blockiere sein Telefon. Und morgen will ich, daß Gordon an ihm klebt wie eine Klette. Er soll ihn herumführen oder was auch immer. Aber er soll bei ihm bleiben. Um acht will ich eine Konferenzschaltung mit den PR-Leuten. Und um neun will ich einen Zustandsbericht über den Transitbereich. Und mittags dann diese Medienheinis. Ruf jetzt gleich alle an, damit sie sich vorbereiten können.« »Okay.«
»Vielleicht schaffe ich es nicht, die Sache unter Kontrolle zu halten«, sagte Doniger, »aber versuchen werde ich es auf jeden Fall.« Stirnrunzelnd wandte er sich wieder dem Fenster zu und blickte zu den Leuten hinab, die sich im Dunkeln vor dem Tunnel drängten. »Wie lange dauert es, bis man wieder in die Höhle kann?« »Neun Stunden.«
»Und dann können wir eine Rettungsaktion auf die Beine stellen? Noch ein Team zurückschicken?«
Kramer hüstelte. »Na ja...«
»Bist du krank? Oder heißt das nein?«
»Die Explosion hat alle Maschinen zerstört, Bob«, sagte sie. »Alle?«
»Ich glaube schon, ja.«
»Dann können wir also nichts tun als den Transitbereich wieder aufbauen und dann faul herumsitzen und abwarten, ob sie heil zurückkommen?«
»Ja. Genauso ist es. Wir haben keine Möglichkeit, sie zu retten.« »Dann können wir nur hoffen, daß sie wissen, was sie tun«, sagte Doniger, »weil sie jetzt ganz auf sich allein gestellt sind. Ich wünsche ihnen auf jeden Fall viel Glück.«
31:40:44
Durch den schmalen Schlitz seines Visiers sah Chris Hughes, daß die Tribünen vollbesetzt waren - fast ausschließlich mit Damen -und daß sich am Geländer das gemeine Volk in Zehnerreihen drängte. Alle schrien, das Turnier solle endlich beginnen. Chris stand jetzt am Ostrand des Turnierplatzes, umringt von seinen Knappen, die versuchten, das Pferd zu besänftigen. Offensichtlich machte das Geschrei der Menge es nervös, es bockte und bäumte sich auf. Die Knappen reichten Chris eine gestreifte Lanze, die absurd lang und sehr unhandlich war. Chris nahm sie, verlor sie aber gleich wieder, weil das Pferd unter ihm schnaubte und stampfte.
Hinter der Absperrung erkannte er Kate unter dem gemeinen Volk. Sie lächelte ihm ermutigend zu, aber sein Pferd tänzelte und drehte sich, und er konnte ihren Blick nicht erwidern.
Und nicht weit entfernt sah er Marek in seiner Rüstung, ebenfalls umgeben von Knappen.
Als Chris' Pferd sich wieder einmal drehte - warum griffen die Knappen nicht nach den Zügeln? -, sah er am anderen Ende des Platzes Sir Guy de Malegant seelenruhig auf seinem Tier sitzen. Er stülpte sich gerade den Helm mit dem schwarzen Busch über. Chris' Pferd bockte und drehte sich. Posaunen erklangen, und die Menge schaute zur Haupttribüne hinüber. Nur am Rande bekam er mit, daß Lord Oliver unter Applaus seinen Platz einnahm. Noch einmal ertönten die Posaunen.
»Squire, das ist Euer Signal«, sagte ein Knappe und reichte ihm noch einmal die Lanze.
Diesmal schaffte er es, die Lanze so lange zu halten, daß er sie in die Kerbe auf dem Sattelknauf legen konnte. Nun lag sie schräg
über dem Pferderücken, die Spitze zeigte nach links vorne. Plötzlich drehte das Pferd sich wieder, und die Knappen liefen schreiend davon, als die Lanze in wildem Bogen über ihre Köpfe schwang. Noch einmal Posaunen.
Chris, der kaum etwas sehen konnte, riß an den Zügeln und versuchte, das Pferd unter Kontrolle zu bekommen. Am anderen Ende des Platzes sah er kurz Sir Guy, der ihn, still auf seinem völlig ruhigen Pferd sitzend, beobachtete. Chris wollte die Sache endlich hinter sich bringen, aber das Pferd war nicht zu bändigen. Wütend und frustriert riß er ein letztes Mal heftig an den Zügeln. »Verdammt noch mal, läufst du jetzt endlich!«
Und plötzlich riß das Pferd zweimal kurz den Kopf hoch und legte die Ohren an. Und stürmte los.
Marek sah dem Ritt angespannt zu. Er hatte Chris nicht alles gesagt, es hatte ja keinen Sinn, ihn mehr als nötig in Angst zu versetzen. Aber natürlich würde Sir Guy versuchen, Chris zu töten, was bedeutete, daß er mit seiner Lanze auf den Kopf zielen würde. Chris hoppelte wild im Sattel hin und her, die Lanze zuckte auf und nieder, sein Oberkörper schwankte von einer Seite zur anderen. Er gab ein schlechtes Ziel ab, aber wenn Sir Guy geschickt war — und Marek hatte keinen Zweifel, daß er das war —, würde er trotzdem auf den Kopf zielen und, um einen tödlichen Treffer zu landen, lieber beim ersten Mal einen Fehlstoß riskieren.
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