Was ist mit dem Handschuh? fragte er sich, bückte sich aber und hob ihn auf. Er lag schwer in seiner Hand. Chris hielt ihn Claire hin, aber die hatte sich bereits abgewandt und sagte: »Ritter, der Squire hat Eure Herausforderung angenommen.« Was für eine Herausforderung, dachte Chris.
Unverzüglich erwiderte Sir Guy: »Drei Lanzen ohne Schutz, a outrance.«
Marek sagte: »Du armer Trottel. Weißt du, was du eben getan hast?« Sir Guy wandte sich an Lord Oliver am Fürstentisch: »Mylord, ich bitte Euch, laßt das heutige Turnier mit unserem Duell beginnen.« »So sei es«, sagte Oliver.
Sir Daniel zwängte sich durch die Menge nach vorne und verbeugte sich. »Mylord Oliver, meine Nichte treibt diesen Scherz zu weit und zu einem unwürdigen Ausgang. Es mag sie belustigen, daß Sir Guy, ein Ritter besten Leumunds, sich zu einem Duell mit einem Gegner hinreißen läßt, der nichts ist als ein Squire. Aber Sir Guy erweist sich selbst und seiner Ehre einen schlechten Dienst, wenn er sich auf ihre Ränke einläßt.«
»Ist das so?« fragte Lord Oliver und sah den dunklen Ritter an.
Sir Guy Malegant spuckte auf den Boden. »Ein Squire? Fürwahr, das ist kein Squire, das ist ein Ritter in Verkleidung, ein Schurke und ein Spitzel. Er wird den Lohn für seinen Betrug bekommen. Ich werde noch heute gegen ihn antreten.«
Sir Daniel sagte: »Wenn es Mylord beliebt, ich glaube, das geziemt sich nicht. Denn er ist wahrlich nur ein Squire, an Waffen kaum geübt und so kein Gegner für Euren würdigen Ritter.«
Chris versuchte immer noch zu verstehen, worum es hier eigentlich ging, als Marek vortrat und flüssig in einer Sprache redete, die ein bißchen klang wie Französisch, aber nicht genau. Chris nahm an, daß es Provenzalisch war. Er hörte die Übersetzung in seinem Ohrstöpsel.
»Mein Lord«, sagte Marek und verbeugte sich elegant, »dieser würdige Herr spricht die Wahrheit. Squire Christopher ist mein Gefährte, doch er ist kein Krieger. Um der Gerechtigkeit willen bitte ich Euch, Christopher zu gestatten, einen Vertreter zu benennen, der an seiner Stelle die Herausforderung annimmt.«
»Was? Vertreter? Was für einen Vertreter? Ich kenne Euch nicht.«
Chris sah, daß Lady Claire Marek mit unverhülltem Interesse anstarrte. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er Oliver antwortete. »Wenns Euch beliebt, Mylord, ich bin Sir Andre de Marek, soeben aus Hainaut hier eingetroffen. Ich biete mich selbst als seine Vertretung an und werde, so Gott will, diesem edlen Ritter einen würdigen Kampf bieten.«
Lord Oliver rieb sich nachdenklich das Kinn.
Als Sir Daniel seine Unentschlossenheit sah, bekräftigte er seinen
Standpunkt. »Mylord, das Turnier mit einem ungleichen Kampf zu beginnen erhöht den Tag nicht und prägt ihn den Männern auch nicht ein. Ich glaube,
de Marek ist ein ebenbürtiger Gegner.«
Lord Oliver wandte sich wieder an Marek, um zu sehen, was der dazu zu sagen hatte.
»Mylord«, sagte Marek, »wenn mein Freund Christopher ein Spitzel ist, so bin ich auch einer. Indem Sir Guy ihn verleumdet, hat er auch mich verleumdet, und ich bitte Euch, meinen guten Namen verteidigen zu dürfen.« Lord Oliver schien diese neue Komplikation zu belustigen. »Was sagt Ihr, Guy?« »Wohlgemerkt«, sagte der dunkle Ritter, »ich gebe zu, daß dieser de Marek ein guter Sekundant sein könnte, wenn sein Arm so geschickt ist wie seine Zunge. Aber als Sekundant geziemt es sich, daß er gegen meinen Sekundanten kämpft, Sir Charles de Gaune.« Am Ende des Tisches stand ein großer Mann auf. Er hatte ein blasses Gesicht, eine flache Nase, rötliche Augen und eine fatale Ähnlichkeit mit einem Pitbull. Mit verächtlichem Tonfall sagte er: »Es wird mir eine Freude sein zu sekundieren.«
Marek wagte einen letzten Versuch. »Es scheint also«, sagte er, »daß Sir Guy Angst hat, sich mit mir zuerst zu messen.« Nun lächelte Lady Claire Marek ganz offen an. Sie war unübersehbar interessiert an ihm. Und das schien Sir Guy zu verärgern. »Ich fürchte keinen Mann«, sagte Guy. »Und vor allem keinen aus Hainaut. Wenn Ihr meinen Sekundanten überlebt, was ich bezweifle, werde ich danach sehr gerne mit Euch kämpfen und Eurer Dreistigkeit ein Ende setzen.«
»So sei es«, sagte Lord Oliver und wandte sich ab. Sein Ton gab allen deutlich zu verstehen, daß die Diskussion beendet war.
32:16:01
Die Pferde stürmten los und galoppierten auf der weiten Wiese aufeinander zu. Die Erde erzitterte, als die großen Tiere an Marek und Chris vorbeidonnerten, die an dem niederen Absperrgeländer standen und den Übungsläufen zusahen. Auf Chris wirkte der Turnierplatz riesig — etwa so groß wie ein Fußballfeld —, auf zwei Seiten waren Tribünen errichtet, und die Damen nahmen bereits ihre Plätze ein. Ländliche Zuschauer in derber Kleidung drängten sich lärmend am Geländer.
Ein weiteres Reiterpaar stürmte los, und ihre Pferde schnaubten im
Galoppieren. Marek fragte Chris: »Wie gut reitest du?«
Chris zuckte die Achseln. »Ich bin mit Sophie ausgeritten.«
»Dann, glaube ich, kann ich dich am Leben erhalten, Chris«, sagte
Marek. »Aber du mußt genau das tun, was ich dir sage.«
»Okay.«
»Bis jetzt hast du nicht getan, was ich dir gesagt habe«, erinnerte ihn Marek. »Aber diesmal mußt du.« »Schon gut, schon gut.«
»Das Wichtigste ist«, sagte Marek, »daß du lange genug auf dem Pferd bleibst, um Sir Guy einen Treffer landen zu lassen. Wenn er sieht, wie schlecht du reitest, wird ihm gar nichts anderes übrigbleiben, als auf deine Brust zu zielen, weil die Brust bei einem galoppierenden Reiter das größte und unbeweglichste Ziel ist. Sieh zu, daß er dich mit seiner Lanze mitten auf der Brust, auf dem Brustpanzer trifft. Hast du verstanden?«
»Ich sehe zu, daß er mich mit seiner Lanze auf der Brust trifft«, wiederholte Chris und machte dabei ein sehr unglückliches Gesicht.
»Wenn die Lanze dich trifft, laß dich aus dem Sattel heben. Das sollte nicht schwierig sein. Laß dich auf die Erde fallen und rühre dich nicht, damit es so aussieht, als wärst du bewußtlos. Was du durchaus sein kannst. Steh unter keinen Umständen auf. Verstanden?« »Nicht aufstehen.«
»Genau. Egal, was passiert, bleib einfach liegen. Wenn Sir Guy dich aus dem Sattel geholt hat und du bewußtlos bist, ist der Kampf vorüber. Aber wenn du aufstehst, ruft er nach einer zweiten Lanze oder geht zu Fuß mit seinem Breitschwert auf dich los und tötet dich.« »Nicht aufstehen«, wiederholte Chris.
»Genau«, sagte Marek. »Egal, was passiert. Steh nicht auf.« Er klopfte Chris auf die Schulter. »Mit ein wenig Glück kommst du heil aus der Sache wieder raus.« »O Gott«, sagte Chris.
Wieder galoppierten Pferde vorbei, und die Erde erzitterte. Sie verließen die Wiese und gingen zwischen den vielen Zelten hindurch, die am Rand des Turnierplatzes aufgestellt waren. Die Zelte waren klein und rund und bunt gemustert mit Streifen und Zickzacklinien. Über jedem Zelt flatterte ein Wimpel. Davor waren Pferde angebunden. Knappen und Knechte eilten hin und her und schleppten Rüstungen, Sättel, Heu und Wasser. Einige Knappen rollten Fässer über die Erde. Die Fässer machten ein leises rieselndes Geräusch.
»Da ist Sand drin«, erklärte Marek. »Man rollt die Kettenpanzer in Sand, um den Rost zu entfernen.«
»Aha.« Chris versuchte, sich auf solche Details zu konzentrieren, um sich von dem abzulenken, was ihm bevorstand. Aber er kam sich vor, als ginge er zu seiner eigenen Hinrichtung.
Sie betraten ein Zelt, in dem drei Knappen warteten. In einem Winkel brannte ein wärmendes Feuer, auf einer Decke auf dem Boden war eine Rüstung ausgebreitet. Marek untersuchte sie kurz und sagte dann: »Die ist in Ordnung.« Dann wandte er sich zum Gehen. »Wo gehst du hin?«
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