Marek nahm das Gerät und drückte die Sprechtaste. »David? Andre hier.«
»Hi, Andre.« Durch den Lärm des Hubschraubers konnte Marek ihn kaum verstehen.
»Was hast du gefunden?«
»Null. Rien. Absolut nichts«, sagte Stern. »Wir haben das Kloster überprüft, und wir haben den Wald überprüft. Nichts von dem, was
Krämer erwähnt hat, ist zu sehen. Nicht auf SLS und auch nicht auf Radar, Infrarot oder UV. Ich habe keine Ahnung, wie sie diese Entdeckungen gemacht haben.«
Sie stürmten in gestrecktem Galopp über einen grasbewachsenen Kamm oberhalb des Flusses. Zumindest Sophie galoppierte; Chris wurde im Sattel auf und ab geworfen und hatte alle Hände voll zu tun, um nicht herunterzufallen. Normalerweise galoppierte sie bei ihren gemeinsamen Ausritten nie, aus Rücksicht auf seine geringeren Fähigkeiten, doch heute kreischte sie vor Vergnügen, während sie ihrem Pferd die Sporen gab.
Chris bemühte sich, mit ihr mitzuhalten, doch er hoffte inständig, daß sie bald anhalten möge, und schließlich tat sie es auch. Sie zügelte ihren schnaubenden, schwitzenden schwarzen Hengst, klopfte ihm auf den Hals und wartete, bis Chris sie eingeholt hatte. »War das nicht aufregend?« fragte sie.
»Das war es«, erwiderte er atemlos. »Das war es auf jeden Fall.« »Also, ich muß sagen, Chris, das war schon sehr gut. Deine Sitzhaltung ist viel besser geworden.«
Er konnte nur nicken. Sein Sitzfleisch tat ihm nach dem Geholper weh, und seine Schenkel schmerzten vom heftigen Zusammenpressen. »Es ist wunderschön hier«, sagte sie und deutete zum Fluß und zu den dunklen Burgen auf den fernen Anhöhen. »Ist es nicht großartig?« Und dann sah sie auf die Uhr, was ihn ärgerte. Der Rückweg im Schritt erwies sich dennoch als überraschend angenehm. Sie ritt sehr dicht neben ihm, ihre Pferde berührten sich fast, und sie beugte sich zu ihm, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern; einmal legte sie ihm sogar den Arm um die Schulter und küßte ihn auf den Mund, aber dann wandte sie schnell den Blick ab, als hätte diese Kühnheit sie verlegen gemacht. Von hier aus konnten sie das gesamte Ausgrabungsgelände überblicken: die Ruinen von Castelgard, das Kloster und in der Ferne La Roque auf seinem Hügel. Wolken zogen über den Himmel und trieben Schatten über die Landschaft. Die Luft war warm und mild, und es war still bis auf das entfernte Röhren eines Autos.
»Ach, Chris«, sagte sie und küßte ihn noch einmal. Als sie sich wieder voneinander lösten, drehte sie sich um, schaute in die Ferne und winkte plötzlich.
Ein gelbes Cabrio kam über die kurvige Straße auf sie zu. Es war eine Art Rennwagen, sehr flach, mit knurrendem Motor. In einiger Entfernung blieb es stehen, der Fahrer erhob sich und setzte sich auf die Rückenlehne. »Nigel!« rief sie fröhlich.
Der Mann im Auto winkte träge zurück, seine Hand beschrieb einen langsamen Bogen.
»Ach, Chris, bist du so lieb?« Sophie gab Chris die Zügel ihres Pferds, sprang ab und rannte den Hügel hinunter zu dem Auto, wo sie den Fahrer umarmte. Die beiden stiegen ein. Als sie davonfuhren, drehte sie sich noch einmal um und warf Chris eine Kußhand zu.
Die restaurierte mittelalterliche Stadt Sarlat war abends besonders bezaubernd, wenn Gaslaternen die dichtstehenden Häuser und die schmalen Gassen sanft erleuchteten. Marek und die Doktoranden saßen in einem Straßenrestaurant an der Rue Tourny unter weißen Schirmen und begrüßten mit dem dunkelroten Wein von Cahors die Nacht. Normalerweise genoß Chris diese Abende, doch heute paßte ihm einfach nichts. Der Abend war zu warm, sein Metallstuhl unbequem. Er hatte sein Lieblingsgericht bestellt, pintade aux cepes, aber das Perlhuhn war trocken gewesen und die Steinpilze geschmacklos. Sogar die Unterhaltung nervte ihn: Normalerweise redeten die Doktoranden über die Arbeit des Tages, aber an diesem Tag hatte ihre junge Architektin, Kate Erickson, einige Freunde aus New York getroffen, zwei amerikanische Paare Ende Zwanzig -Börsenmakler mit ihren Freundinnen. Chris fand sie von Anfang an unsympathisch. Die Männer standen dauernd vom Tisch auf, um mit ihren Handys zu telefonieren. Die Frauen waren beide Managerinnen in derselben PR-Firma; sie hatten gerade eine sehr große Party für Martha Stewarts neues Buch organisiert. Das wichtigtuerische Gehabe dieser Gruppe ging Chris ziemlich schnell auf die Nerven; und wie viele erfolgreiche Geschäftsleute neigten sie dazu, Akademiker zu behandeln, als wären sie leicht zurückgeblieben, unfähig, in der wirklichen Welt zu funktionieren und die wirklich wichtigen Spiele zu spielen. Oder vielleicht, dachte er, fanden sie es einfach unverständlich, daß jemand einen Beruf wählte, der ihn nicht bereits mit vierundzwanzig zum Millionär machte.
Andererseits mußte er zugeben, daß sie durchaus freundlich waren; sie tranken viel Wein und stellten eine Menge Fragen über das Projekt. Leider waren es die üblichen Fragen, die auch Touristen immer stellen: Was, ist so besonders an diesem Ort? Woher wissen Sie, wo Sie graben müssen? Woher wissen Sie, nach was Sie suchen müssen? Wie tief graben Sie, und woher wissen Sie, wo Sie aufhören müssen? »Warum arbeitet ihr gerade hier? Was ist eigentlich so besonders an diesem Ort?« fragte eine der Frauen eben.
»Der Ort ist sehr typisch für die Zeit«, antwortete Kate, »mit den beiden gegenüberliegenden Burgen. Was die Anlage aber zu einem echten Fundstück macht, ist die Tatsache, daß sie von der Forschung vernachlässigt war, daß hier noch nie Ausgrabungen stattgefunden haben.«
»Und das ist gut? Daß sie vernachlässigt war?« Die Frau runzelte die Stirn; sie kam aus einer Welt, in der Vernachlässigung schlecht war. »Sogar äußerst erstrebenswert«, sagte Marek. »Bei unserer Arbeit ergeben sich Gelegenheiten nur, wenn die Welt einen Ort links liegenläßt. Wie Sarlat zum Beispiel. Dieses Städtchen.« »Es ist sehr nett hier«, sagte eine der Frauen. Die Männer verließen den Tisch, um zu telefonieren.
»Aber das Wesentliche ist etwas anderes«, sagte Kate. »Es ist nämlich ein Zufall, daß diese Stadt überhaupt existiert. Ursprünglich war Sarlat eine Siedlung, die um ein Kloster herum entstanden ist, das Reliquien beherbergte; nach einer Weile wurde die Stadt so groß, daß das Kloster auszog, um sich woanders Ruhe und Frieden zu suchen. Sarlat existierte weiter als wohlhabendes Marktzentrum für die Dordogne-Region. Aber im Lauf der Jahre schwand die Bedeutung der Stadt, und im zwanzigsten Jahrhundert verlor man Sarlat aus den Augen. Der Ort war so unbedeutend und arm, daß er kein Geld hatte, um die alten Stadtteile zu sanieren. Die alten Gebäude blieben einfach stehen, so wie sie waren, ohne moderne Installationen und Elektrizität. Viele davon waren verlassen.«
Kate erklärte weiter, daß in den fünfziger Jahren die Stadtverwaltung schließlich beschlossen habe, die alten Viertel abzureißen und neue Häuser zu errichten. »Andre Malraux hat das verhindert. Er überzeugte die französische Regierung, Geld für eine Restau-rierung zur Verfügung zu stellen. Die Leute hielten ihn für verrückt. Aber heute ist Sarlat die am exaktesten restaurierte mittelalterliche Stadt Frankreichs, und eine der größten Touristenattraktionen des Landes.«
»Es ist hübsch«, erwiderte die Frau unbestimmt. Plötzlich kehrten die beiden Männer gemeinsam wieder an den Tisch zurück, setzten sich und steckten ihre Handys in die Tasche. Ihrer Miene nach zu urteilen, waren sie mit dem Telefonieren fertig. »Was ist passiert?« fragte Kate.
»Die Märkte sind geschlossen«, erklärte einer. »So. Was habt ihr über
Castelgard gesagt? Was ist so besonders daran?«
Marek übernahm das Antworten: »Wir haben eben davon gesprochen, daß dort noch nie gegraben wurde. Für uns ist es aber auch wichtig, weil Castelgard eine typische befestigte Stadt des vierzehnten
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