Zu den übrigen Teilnehmern gehörten die Gerichtsmedizinerin Dr. Sanchez, Julio Verona und Sylvia Waiden von der Spurensicherung und der stellvertretende Staatsanwalt Curzon Knowles.
Knowles, der in Adele Montesinos Behörde das Morddezernat leitete, hatte einen ausgezeichneten Ruf als Strafverfolger. Dieser zurückhaltende, fast schüchterne Mann, der immer unauffällige Anzüge von der Stange und Strickkrawatten trug, war einmal mit einem unscheinbaren Schuhverkäufer verglichen worden. Nahm er vor Gericht widerspenstige Zeugen ins Kreuzverhör, wirkte er oft linkisch und unsicher, was er durchaus nicht war. Viele solcher Zeugen, die sich einbildeten, diesen unscheinbaren Staatsanwalt ungestraft belügen zu können, mußten plötzlich feststellen, daß sie in ein Spinnennetz gelockt worden waren, in dem sie sich verfangen und dabei selbst belastet hatten, ohne es zu merken.
Seiner entwaffnenden Art und einem messerscharfen Verstand verdankte es Knowles, daß er in fünfzehn Dienstjahren als Anklagevertreter bei Mordprozessen bemerkenswerte zweiundachtzig Prozent Verurteilungen erreicht hatte. Die Kriminalbeamten der Mordkommission waren immer froh, wenn Curzon Knowles ihre Fälle bearbeitete, genau wie Newbold und die anderen es begrüßten, daß er diesen Termin wahrgenommen hatte.
Ebenfalls anwesend waren Major Yanes und Assistant Chief Otero Serrano, dessen Teilnahme die Wichtigkeit der laufenden Ermittlungen unterstrich.
Lieutenant Newbold, der oben am Konferenztisch saß, eröffnete die Besprechung mit einer knappen Einführung: »Wie wir alle wissen, sind zwei unserer ungelösten Fälle und ein dritter in Ford Lauderdale jetzt als Doppelmorde eines Serientäters erkennbar. Unter Umständen wird uns später vorgeworfen, wir hätten schon vor der dritten Tat zu dieser Schlußfolgerung gelangen sollen. Aber damit befassen wir uns, wenn's soweit ist. Im Augenblick haben wir Wichtigeres zu tun.
Was ich will, hier und jetzt, ist eine vollständige Rekapitulation aller drei Doppelmorde, bei der nicht die geringste Kleinigkeit ausgelassen wird. Wir müssen irgendeinen Zusammenhang finden, der uns zu...«
Ruby Bowe hob eine Hand. Newbold brach mitten im Satz ab und runzelte unwillig die Stirn. »Was immer es ist, Ruby, aber kann das nicht warten, bis ich fertig bin?«
»Nein, Sir. Ich glaube nicht«, antwortete Detective Bowe. Ihre Stimme klang nervös, aber beherrscht. Vor sich hatte sie ein Blatt Papier liegen.
»Na, hoffentlich haben Sie was Vernünftiges.« Newbolds Gereiztheit war unüberhörbar.
»Sie haben von drei Doppelmorden gesprochen, Sir.«
»Und? Zweifeln Sie an meinen Rechenkünsten?«
»Nicht direkt, Sir.« Ruby nahm das Blatt in die Hand, sah sich am Tisch um. »Das wird niemandem gefallen, aber tatsächlich sind's wohl vier.«
»Vier! Was soll das heißen?«
Malcolm Ainslie, der ihr gegenübersaß, fragte ruhig: »Was haben Sie gefunden, Ruby?«
Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu, bevor sie sich erneut an Newbold wandte. »Vor ein paar Tagen, Sir, haben Sie sich Sorgen wegen der Größe des Morgen-Stapels gemacht. Sie haben mir den Auftrag gegeben, ihn wenigstens teilweise aufzuarbeiten.«
Am Tisch wurde gelächelt, als Ruby den Morgen-Stapel erwähnte: Quinns spaßige Bezeichnung für unbearbeitet liegengebliebenen Papierkram.
Der Lieutenant nickte. »Ja, das stimmt. Und Sie haben offenbar etwas entdeckt.«
»Erst heute morgen, Sir. Ein Fahndungsersuchen aus Clearwater.«
»Lesen Sie's vor.«
Alle schwiegen gespannt, als Ruby Bowe den Text vorlas.
»An alle Polizeidienststellen Floridas: Doppelmord an älterem Ehepaar in Clearwater am 12. März. Ungewöhnlich brutales Vorgehen. Opfer gefesselt und geknebelt. Schwere Stichwunden und Gewalteinwirkung an Kopf und Oberkörper. Teilweise verstümmelt. Vermutlich Geldraub, Höhe unbekannt. Keine Fingerabdrücke oder sonstige Spuren. Ungewöhnliche Gegenstände von dem oder den Tätern zurückgelassen. Sollten ähnliche Straftaten bekannt sein, erbittet dringend ausführliche Nachricht: Detective N. Abreu, Clearwater Police Department, Mordkommission.«
Major Yanes räusperte sich. »Wie war das Datum gleich wieder, Detective?«
Bowe sah auf das Blatt in ihrer Hand. »Der Doppelmord hat sich am zwölften März ereignet, Sir. Dieser Fahndungsaufruf trägt den Stempel: >Eingegangen 15. Märze.«
Ein kollektives Stöhnen ging durch den Raum. »Jesus!« sagte Hank Brewmaster. »Vor fünf Monaten!«
Alle wußten, daß so etwas passieren konnte - daß es nicht vorkommen durfte, aber trotzdem passierte. Manchmal rutschten Schriftstücke im Morgen-Stapel immer tiefer und blieben längere Zeit unbemerkt. Aber das hier war die größte denkbare Katastrophe.
Auch ohne polizeiliche Hinweise wurden die Medien in Florida oft auf Übereinstimmungen zwischen an verschiedenen Orten verübten Straftaten aufmerksam und berichteten darüber. Meldungen über solche Gemeinsamkeiten hatten den Ermittlern gelegentlich weitergeholfen. Aber da überall so viele Verbrechen verübt wurden, gingen manche Übereinstimmungen im allgemeinen Chaos unter.
Leo Newbold, der sichtbar litt, schlug die Hände vors Gesicht. Alle wußten, daß der Lieutenant die Verantwortung für diese Schlamperei, die verhindert hatte, daß die Mordkommission prompt auf das Fahndungsersuchen aus Clearwater reagierte, würde tragen müssen.
»Ich schlage vor«, sagte Yanes finster, »daß wir zunächst weitermachen, Lieutenant.« Sein Tonfall verriet, daß die Sache später eingehend besprochen werden würde - vermutlich unter vier Augen.
»Ich habe noch etwas mehr, Sir«, warf Bowe ein.
Newbold nickte ihr zu. »Bitte weiter.«
»Ich habe vorhin mit Detective Abreu in Clearwater telefoniert. Ich habe erwähnt, daß wir wegen ähnlicher Fälle ermitteln. Sein Sergeant und er wollen morgen herfliegen und alles mitbringen, was sie haben.«
»Einverstanden.« Newbold hatte seine Fassung wiedergewonnen. »Lassen Sie sich die Ankunftszeit sagen, und schicken Sie einen Wagen hin, der sie abholt.«
»Lieutenant«, warf Ainslie ein, »ich möchte Ruby eine Frage stellen.«
»Bitte.«
Ainslie sah zu ihr hinüber. »Hat Abreu irgend etwas über die in Clearwater am Tatort zurückgelassenen Gegenstände gesagt?«
»Ich habe mich danach erkundigt. Der eine war eine verbeulte alte Trompete, der andere ein Stück Pappkarton.« Sie warf einen Blick auf ihre Notizen. »Der Karton war halbmondförmig zugeschnitten und rot bemalt.«
Ainslie runzelte die Stirn, konzentrierte sich, überlegte angestrengt und dachte an die Bronzeschale in Pine Terrace. Ohne jemanden direkt anzusprechen, fragte er in die Runde: »Sind an jedem Tatort Gegenstände zurückgelassen worden? Ich erinnere mich an vier tote Katzen im Hotelzimmer des Ehepaars Frost.«
Er wartete keine Antwort ab, sondern wandte sich an Bernard Quinn. »Ist bei den Hennenfelds etwas am Tatort zurückgelassen worden?«
Quinn schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte.« Er sah den Sheriff-Detective fragend an. »Das stimmt doch, Benito?«
Als Besucher hatte Montes bisher nur schweigend zugehört, aber jetzt antwortete er auf Quinns Frage: »Na ja, der Täter hat anscheinend nichts mitgebracht. Auffällig ist nur die Sache mit dem Heizlüfter gewesen, der aber den Hennenfelds gehört hat. Das haben wir überprüft.«
»Welcher Heizlüfter?« fragte Ainslie. »Was war damit?«
»Er war mit Draht an Mr. Hennenfelds Füßen befestigt, Sergeant, und ist dann eingeschaltet worden. Als wir ihn aufgefunden haben, waren die Heizstäbe durchgebrannt, aber seine Füße sind völlig verkohlt gewesen.«
An Quinn gewandt sagte Ainslie scharf: »Das haben Sie mir nicht erzählt!«
Quinn machte ein verlegenes Gesicht. »Tut mir leid, aber das muß ich vergessen haben.«
Читать дальше