Leslie Chippingham lernte seine neue Chefin kennen, als sie ihn wenige Tage nach ihrer Ankunft zu sich rufen ließ. Statt des üblichen persönlichen Anrufs - eine Gunst, die Mrs. Lloyd-Masons Vorgänger seinen Abteilungschefs gewährt hatte -übermittelte ihm eine Sekretärin die barsche Aufforderung, er habe sofort in »Stonehenge« zu erscheinen, so der Spitzname der CBA -Zentrale an der Third Avenue. In einer Limousine mit Chauffeur fuhr Chippingham dorthin.
Margot Lloyd-Mason war sehr groß, sie hatte hochgekämmte blonde Haare, ein leicht gebräuntes Gesicht mit hohen Wangenknochen und kühl abschätzende Augen. Sie trug ein elegantes, braun-graues Chanel-Kostüm mit einer etwas helleren Seidenbluse. Chippingham sollte sie später als »attraktiv, aber furchteinflößend« beschreiben.
Die Präsidentin war freundlich, aber kühl. »Sie dürfen mich mit Vornamen anreden«, sagte sie dem Nachrichtenchef, doch bei ihr klang es wie ein Befehl. Dann kam sie ohne Umschweife zum Thema.
»Es wird heute im Lauf des Tages zur Bekanntgabe einer Affäre kommen, die Theo Elliott betrifft.«
Theodore Elliott war der Vorsitzende von Globanic Industries.
»Das ist bereits passiert«, erwiderte Chippingham. »Das Finanzministerium in Washington hat bekanntgegeben, daß unser Oberhäuptling im Verdacht steht, fünf Millionen Dollar Steuern unterschlagen zu haben.«
Chippingham hatte die Meldung zufällig auf dem AP-Telex gesehen. Soweit bekannt war, hatte Elliott in ein Abschreibungsprojekt investiert, das sich nachträglich als illegal herausstellte. Der Initiator des Projekts mußte vor Gericht. Elliott blieb das erspart, doch mußte er die Steuern nachzahlen und erhielt außerdem eine beträchtliche Geldstrafe.
»Theo hat eben angerufen«, sagte Margot, »und mir versichert, er habe nicht gewußt, daß das Projekt illegal gewesen sei.«
»Vermutlich gibt es ein paar, die ihm das glauben«, entgegnete Chippingham und dachte dabei an die Armee von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern, die der Vorsitzende von Globanic zur Verfügung hatte.
»Keine Respektlosigkeiten, bitte«, erwiderte Margot eisig. »Ich habe Sie rufen lassen, weil ich nicht will, daß über Theo und die Steuern irgend etwas in unseren Nachrichten erscheint. Und ich möchte auch, daß Sie die anderen Sender bitten, ebenfalls nicht darüber zu berichten.«
Chippingham war entsetzt, er wollte kaum glauben, was er eben gehört hatte. Nur mit Mühe konnte er den Unmut in seiner Stimme unterdrücken. »Margot, wenn ich mich mit dieser Bitte an die anderen Sender wende, würden die sie nicht nur zurückweisen, sondern darüber hinaus die Meldung bringen, daß CBA News versucht habe, seinen Chef zu decken. Und, offen gesagt, im umgekehrten Fall würden wir ähnlich reagieren.«
Noch während er sprach, erkannte er, daß die neue Präsidentin bereits in diesem kurzen Wortwechsel nicht nur ihre Unerfahrenheit im Fernsehgewerbe demonstriert hatte, sondern auch ihre totale Gleichgültigkeit gegenüber jeder Art von journalistischer Ethik. Aber dann fiel ihm ein, daß sie ja nicht deswegen auf diesem Stuhl saß, sondern wegen ihrer Kenntnisse in Finanzfragen und ihres Talents zur Profitoptimierung.
»Na gut«, sagte sie mißmutig. »Ich fürchte, ich muß akzeptieren, was Sie über die anderen Sender sagen. Aber in unseren Nachrichten will ich nichts von der Geschichte sehen.«
Chippingham seufzte innerlich, denn er wußte, daß von nun an sein Job als Nachrichtenchef um einiges schwieriger werden würde. »Bitte glauben Sie mir, Margot, wenn ich Ihnen sage, daß jeder andere Sender die Meldung über Mr. Elliott und seine Steuern in den Abendnachrichten bringen wird. Und wenn wir sie nicht ebenfalls bringen, wird das für mehr Aufmerksamkeit sorgen, als wenn wir sie bringen. Denn jeder wird unsere Nachrichten einschalten, um zu sehen, wie fair und unparteiisch wir sind, vor allem nach den Ankündigungen von Globanic, daß die Unabhängigkeit der Nachrichtenabteilung gewahrt bleibe.«
Margot kniff die Lippen zusammen und machte ein mürrisches Gesicht, aber ihr Schweigen zeigte, daß sie verstand, was Chippingham meinte. »Aber Sie werden es kurz halten?«
»Da brauch' ich mich nicht mal einzumischen. Die Sache ist einen längeren Bericht nicht wert.«
»Und ich will nicht, daß irgendein Klugscheißer von Reporter andeutet, Theo hätte von der Illegalität gewußt, obwohl er das Gegenteil behauptet.«
»Eins kann ich Ihnen versprechen«, sagte Chippingham. »Was wir auch tun, es wird fair sein. Ich werde mich persönlich darum kümmern.«
Ohne darauf einzugehen, nahm Margot ein Blatt Papier in die Hand, das auf ihrem Schreibtisch gelegen hatte. »Sie sind in einer Limousine mit Chauffeur hierhergekommen.«
»Ja.« Chippingham war überrascht. Das Auto mit Fahrer gehörte zu den Privilegien eines Studioleiters, aber die Erfahrung, ausspioniert zu werden - denn das war ja offensichtlich geschehen -, war neu und beunruhigend.
»In Zukunft benutzen Sie ein Taxi. Wenn ich es tue, dann können Sie das auch. Und noch etwas.« Sie warf ihm einen eisigen Blick zu. »Das Budget der Nachrichtenabteilung ist mit sofortiger Wirkung um zwanzig Prozent zu kürzen. Ich werde Ihnen morgen noch eine schriftliche Anweisung reinschicken; und wenn ich >sofort< sage, dann meine ich es auch. Innerhalb einer Woche möchte ich einen Bericht über die Art der Einsparungen.«
Chippingham war zu verwirrt für mehr als eine höflich formelle Verabschiedung.
Die Meldung über Theodore Elliott und seine Einkommensteuer erschien zwar in den Abendnachrichten von CBA, bohrende Fragen hinsichtlich der Unschuldsbeteuerungen des Vorsitzenden von Globanic blieben jedoch aus. Einer der Redakteure am Hufeisen mokierte sich eine Woche später darüber: »Wenn es ein Politiker gewesen wäre, hätten wir ihn zuerst mit Zweifeln überschüttet und ihm dann die Haut abgezogen wie einer Zwiebel. So hatten wir nicht mal 'ne Fortsetzungsstory.«
Man hatte wirklich an eine Fortsetzung gedacht, genügend neues Material dafür war vorhanden. Doch bei einer Diskussion am Hufeisen, an der auch Chippingham teilnahm, kam man zu der Entscheidung, daß andere Nachrichten an diesem Tag wichtiger seien; die Fortsetzung wurde also nicht gesendet. Es war eine heikle Entscheidung, und nur wenige gestanden sich ein, daß Feigheit mit im Spiel gewesen war.
Die Budgetkürzung war ein viel schwierigeres Problem. Es war genau der Punkt, an dem alle Sender nach der Übernahme durch die neuen Herren verwundbar waren, und jeder wußte das, Leslie Chippingham eingeschlossen. Vor allen die Nachrichtenabteilungen waren aufgebläht, personell überbesetzt und reif für eine Beschneidung.
Bei CBA hatten diese Einsparungen sehr schmerzhafte Auswirkungen, denn über zweihundert Leute verloren ihre Arbeit.
Auf die Entlassungen folgte eine Woge der Entrüstung unter jenen, die ihre Arbeit verloren hatten, und ihren Freunden. Für die Printmedien war die Sache ein gefundenes Fressen, jede Zeitung brachte bewegende Geschichten über die Opfer der Einsparungswelle, obwohl viele Zeitungsverleger selbst ähnliche Rationalisierungen vornahmen.
Eine Gruppe innerhalb von CBA News, deren Mitglieder alle langfristige Verträge besaßen, schickte einen Protestbrief an die New York Times. Zu den Unterzeichnern gehörten Crawford Sloane, einige ranghohe Korrespondenten und mehrere Redakteure. In dem Brief beklagten sie, daß einige der so plötzlich Entlassenen altgediente Korrespondenten gewesen seien, die fast ihr gesamtes Arbeitsleben im Dienst von CBA News verbracht hatten. Sie wiesen auch darauf hin, daß CBA als Ganzes keineswegs in finanziellen Schwierigkeiten sei, sondern im Gegenteil Profite abwerfe, die sich durchaus mit denen großer Industriekonzerne messen ließen. Nach seiner Veröffentlichung fand der Brief landesweit große Beachtung.
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