»Also gut«, sagte Tom Burke. »Dann mal erster Akt, erste Szene. Sie kommen von links auf die Bühne.«
Eddie begann mit seinem Text. Er spielte die ganze Szene durch. Manche Stellen sprach er leise, manche laut, einmal mit der Stimme des Schauspielers, dann wieder mit der des Diktators. Die Szene ließ alles wieder vor ihm auferstehen und weckte die Erinnerungen an die aufregenden Dinge, die er getan hatte.
Als er zu Ende war, hatte er keinen Zweifel mehr, daß ihm die Rolle gewiß war. Er ging bis zur Rampe vor und lächelte zu dem Regisseur hinab.
»Nun?«
Tom Burke sah zu ihm empor und sagte: »Nein.«
Eddie glaubte nicht richtig zu hören. »Wie war das? Nein?«
»Nein, Sie sind nicht der Richtige für die Rolle.«
»Was bin ich nicht?« schrie Eddie. »Das ist wohl nicht Ihr Ernst! Ich bin schließlich die Rolle . ich meine: ich bin Colonel Bolivar!«
»Nein, sind Sie nicht!« beharrte der Regisseur. »Sie haben das Stück geschrieben, aber Sie sind nicht der Charakter der Hauptrolle. Ich meine, es ist ja schließlich nur ein Stück und nicht das wirkliche Leben.«
»Aber -«
»Tut mir leid«, sagte Tom Burke. »Wenn Sie wollen, daß ich das Stück inszeniere, brauche ich einen anderen Hauptdarsteller.«
Eddie stand da und dachte nach. Die Rolle nicht zu bekommen, gefiel ihm gar nicht. Andererseits wurde er reich, wenn das Stück gespielt wurde. Und Tom Burke war nun einmal der beste Regisseur, den es gab.
»Also gut«, sagte er schließlich. »Dann besetzen Sie die Rolle eben anders.«
»Sie werden das nicht bereuen«, sagte Tom Burke. »Ich verspreche Ihnen einen Sensationserfolg.«
Als Eddie im Krankenhaus Mary die Neuigkeit mitteilte, sagte sie: »Ach weißt du, es ist doch egal, ob ein anderer Schauspieler die Rolle spielt, Darling. Hauptsache ist doch, daß dein Stück ein großer Erfolg wird. Damit verdienst du eine Menge Geld, und wir haben alles, was wir uns schon immer gewünscht haben.«
»Ja, aber denke doch mal nur, was der Mann für Nerven hat. Mir zu sagen, ich sei nicht der Richtige für die Rolle! Ich meine, die Rolle ist doch, bin doch, ich selbst!«
»Schau«, sagte Mary begütigend, »du weißt es, und ich weiß es. Aber wir können doch nicht der ganzen Welt sagen, daß es in Wirklichkeit so war. Man würde dich für verrückt halten!«
»Vermutlich hast du recht«, sagte Eddie, nachdem er darüber nachgedacht hatte. »Es muß wohl unser Geheimnis bleiben. Die einzigen, die es noch wissen, sind Colonel Bolivar und Capitan Torres.«
Colonel Bolivar und Capitan Torres saßen im gleichen Augenblick im Gefängnis und wußten nicht, was ihr weiteres Schicksal sein würde. In Amador war alles auf den Kopf gestellt. Es hatte eine Revolution gegeben, und das Volk hatte Senatoren gewählt und sich eine Verfassung gegeben.
Das erste, was der neue Senat beschlossen hatte, war, Colonel Bolivar für seine Verbrechen in der Vergangenheit zur Rechenschaft zu ziehen und vor Gericht zu stellen. Auch wenn seine überraschenden Reformen in den letzten Wochen seiner Herrschaft anerkannt wurden, so standen dem doch jahrelange Untaten gegenüber.
»Sie werden sehen«, sagte Colonel Bolivar verbittert zu Ca-pitan Torres, »sie werden uns alle beide erschießen. Und das alles wegen Ihnen und Ihrem verdammten Schauspieler.«
Als Eddie Mary vom Krankenhaus nach Hause brachte, wartete ein blitzender Rolls-Royce auf sie.
»Was ist das denn für ein Auto?« fragte Mary.
»Deines«, sagte Eddie. »Ein Weihnachtsgeschenk.«
»Ja, können wir uns das denn leisten?«
»Wir können uns von jetzt ab alles leisten. Warte nur, bis du unsere neue Wohnung siehst.«
Die neue Wohnung war ein wunderschönes zweistöckiges Apartment mit Blick über den Central Park.
»Das ist alles wie ein Traum«, sagte Mary.
»Es ist erst der Anfang!« erklärte Eddie. »Und wenn erst das Stück Premiere hat und nur ein halb so großer Erfolg wird, wie Tom Burke voraussagte, dann schwimmen wir im Geld.«
Der Abend der Uraufführung des Stücks Der Diktator war gekommen. Das Theater war der Winter Garden, das größte in ganz Manhattan, und es war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Es gab nur noch Stehplätze. Es hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, daß es sich um ein ganz ungewöhnliches Stück handle, und alle Welt drängte sich also danach.
Eddie, Mary und Johnson wurden auf ihre Plätze geleitet. Eddie war nervös. Er begann an seinen Fingernägeln zu kauen.
»Und wenn es den Leuten nun doch nicht gefällt?«
»Aber selbstverständlich wird es allen gefallen, Darling.«
Die Lichter erloschen, und der Vorhang ging auf. Ein Raunen ging durch das Publikum. Einer der ganz großen Broadwaystars war als Hauptdarsteller angekündigt, und als er die Bühne betrat, prasselte Begrüßungsbeifall auf.
Dann begann das Stück. Es dauerte zwei Stunden, und schon nach dem Ende des ersten Aktes war jedermann im Publikum klar, daß der Broadway einen neuen Superhit hatte. Die Erregung war in der Luft spürbar.
Johnson griff aufgeregt nach Eddies Hand und sagte. »Sie haben es geschafft, Junge. Dieses Stück wird endlos laufen.«
Der zweite Akt verlief noch aufregender als der erste: Die Waisenkinderszene fand Beifall auf offener Bühne, ebenso die mit den Bauern. Und als dem Schauspieler am Ende die Flucht gelang, jubelte das Publikum erneut.
Es gab zwanzig Vorhänge.
Eddie, Mary und Johnson gingen hinter die Bühne, um dem Ensemble zu gratulieren.
»Sie waren großartig«, sagte Eddie dem Hauptdarsteller.
Aber insgeheim war er dennoch überzeugt davon, daß er selbst die Rolle noch viel besser gespielt hätte.
»Nein, Sie waren großartig«, gab der Hauptdarsteller das Kompliment zurück. »Wir müssen Ihnen für ein wundervolles Stück danken.«
Dann begaben sie sich alle zu Sardi’s Restaurant, um dort die ersten Kritiken abzuwarten. Und die Kritiken waren überwältigend.
»Gratuliere«, sagte Johnson zu Eddie. »Das Stück läuft hier in New York unter Garantie erst schon mal mindestens zwei Jahre lang. Doch inzwischen ruhen wir uns nicht auf unseren Lorbeeren aus. Schon von morgen an schicken wir Gastspieltruppen damit in die ganze Welt.«
Eddie sah ihn an und sagte: »Ja, und tun Sie mir einen Gefallen.«
»Selbstverständlich. Was denn?«
Und Eddie sagte: »Schicken Sie auf jeden Fall auch eine nach Amador.«