Eddie machte sich aber Sorgen, wenn auch nicht wegen des Glases. Seine Sorgen bestanden darin, wie er zum Flugzeug kommen könnte.
Die Rede sollte eine Stunde dauern. Er hatte natürlich keine Ahnung, daß er unmittelbar danach in den Kerker geworfen werden sollte. Allerdings hatte er ein, wenn auch unbestimmtes, so doch um so deutlicheres ungutes Gefühl ganz allgemein. Capitan Torres tat ihm auf einmal viel zu freundlich. Eddie traute ihm nicht mehr.
Capitan Torres trat vor das Mikrophon, und in der Menge wurde es still. »Mitbürger, Landsleute!« rief der Capitan. »Mein Herz ist voller Freude, wenn ich sehe, in welcher großen Zahl ihr euch heute hier eingefunden habt, nicht nur zu Ehren unserer tapferen Armee, sondern auch unseres geliebten, großen Diktators, Colonel Ramon Bolivar!«
Die Soldaten in der Menge applaudierten, sonst aber niemand.
»Wir Bürger von Amador können uns glücklich schätzen, einen so großen Führer zu besitzen, einen Mann, der sich als Beschützer seines Volks versteht!«
Wieder applaudierten nur die Soldaten.
»Und jetzt, meine Damen und Herren, habe ich die große Ehre und Freude, unseren großen Diktator anzukündigen, Colonel Ramon Bolivar!«
Er trat zur Seite und winkte Eddie ans Mikrophon.
Eddie hielt das Redemanuskript in der Hand. Aber er kannte die Rede zum größten Teil auswendig.
»Bürger von Amador!« begann er. »Wir sind heute hier versammelt, um unserer großen Armee zu gratulieren. Viele Jahre beschützen uns deren tapfere Männer nun schon vor unseren Feinden. Da gibt es diejenigen, die unser großes Land vernichten wollen. Aber die Soldaten Amadors haben unsere Grenzen in der Vergangenheit immer gut bewacht, so wie sie es auch in der Zukunft tun werden!«
Eddie zögerte etwas, bevor er weiterlas.
»Wir müssen zugeben, daß es bedauerlicherweise in unserer Mitte einige wenige gibt, ein paar Unruhestifter, die es nicht zu schätzen wissen, daß sie in einem so großen Land wie dem unseren leben. Aus diesem Grund war es leider unumgänglich, daß ich einige der Freiheiten, die unser Volk besitzt, einschränken mußte. Zuviel Freiheit kann auch gefährlich sein, weil es den Fanatikern erlaubt, ihre Stimme zu erheben und gegen Dinge zu protestieren, gegen die nicht protestiert werden sollte!«
Ein solcher Haufen von Lügen, dachte Eddie grimmig. Einfach widerlich.
Unten auf dem Platz sah Juan sich inzwischen um, ob auch alle seine Leute auf ihrem Platz waren. Alle standen bereit. Juan zog sein rotes Taschentuch heraus.
Eddie sprach weiter.
»Es ist weitaus besser, einen Mann zu haben, der sich seines Volkes so annimmt wie ich, als einen Kongreß voller Leute, die dauernd nur darüber streiten, welche Gesetze für das Volk gut seien oder schlecht. Ich entscheide, welche Gesetze gut sind, und ich habe bei allen meinen Entscheidungen immer nur euch im Sinn!«
Juan hob sein rotes Taschentuch und führte es auf seine Stirn zu. Seine in der Menge verteilten Leute beobachteten ihn genau und hatten schon die Hand an ihrer Tasche, um die Waffe zu ziehen.
Das ist doch schrecklich, dachte Eddie oben auf dem Podium. Das kann ich doch den Leuten nicht zumuten.
Und er warf sein Redemanuskript weg.
»Andererseits«, sprach er nun frei weiter, »glaube ich gar nicht wirklich, daß es gut ist, wenn ein einziger Mann allein einem ganzen Volk sagt, was gut für es ist.«
Juans Taschentuch hatte fast schon seine Stirn erreicht. Seine Leute waren daran zu ziehen.
»Und deshalb glaube ich«, sagte Eddie auf dem Podium, »daß das Volk Gelegenheit haben sollte, selbst über sein Schicksal zu bestimmen.«
Juans Taschentuch blieb eine Handbreit vor seiner Stirn stehen, als er diese Worte hörte, die er nicht glauben konnte.
»Von jetzt an wird es also keine Diktatur mehr im Lande geben. Wir werden freie Wahlen abhalten.«
Juan konnte es noch immer nicht glauben. Seine Hand mit dem Taschentuch sank wie von selbst nach unten.
Auch Capitan Torres starrte Eddie ungläubig an, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht.
Die Menge aber begann zu jubeln.
»Freie Wahlen!« wiederholte Eddie. »Und Wahlrecht für alle!«
Der Jubel schwoll an.
»In diesem Augenblick«, verkündete Eddie, »trete ich als Diktator von Amador zurück und übergebe das Land dem Volk selbst!«
Capitan Torres befürchtete, er werde gleich in Ohnmacht fallen.
Die versammelte Menge aber begann, in Bewegung zu geraten und in einen Freudentaumel zu verfallen. Die Menschen drängten auf das Podium zu, griffen sich Eddie und trugen ihn auf ihren Schultern in einem Triumphzug um den ganzen Platz herum.
»Ich hätte ihn schon längst umbringen sollen«, murmelte Capitan Torres erschüttert. »Er hat uns ruiniert.«
Eddie wurde weiter um den Platz getragen, Capitan Torres verlor ihn aus den Augen. Er sagte zu den Wachtposten: »Folgt ihm! Laßt ihn nicht entkommen!«
Aber die Menge war so dichtgedrängt, daß die Soldaten nicht durchkamen.
Am Ende des Platzes sagte Eddie: »Ihr könnt mich jetzt herunterlassen.«
Er kletterte von ihren Schultern und sah sich um. Capitan Torres war nirgends zu erblicken.
Eddie sagte zu einem Mann in der Menge: »Können Sie mich vielleicht zum Flughafen fahren? Ich habe da eine wichtige Verabredung.«
Capitan Torres glaubte, verrückt zu werden. Mit seinen Wachen hatte er überall nach Eddie gesucht, aber er war nicht zu entdecken. Die Menge war völlig außer Rand und Band. Sie warf Schildermasten um und riß die Bilder des Diktators ab.
»Demokratie!« riefen sie außer sich. »Wir haben eine Demokratie!«
Wir sind ruiniert, dachte Capitan Torres. Dieser verfluchte Schauspieler hat uns eigenhändig und allein das ganze Land ruiniert.
Und dann durchfuhr ihn erst der schrecklichste Gedanke von allen. Wie soll ich denn das nur Colonel Bolivar beibringen?
Als Eddie am Flughafen ankam, wartete der Pilot auf ihn.
»Wir sind jederzeit startbereit, Colonel«, sagte er.
»Gut«, sagte Eddie.
Ein Jeep fuhr ihn hinaus zu dem Flugzeug, einer großen 727. Eddie stieg hinein. Die Maschine war innen luxuriös ausgestattet und hatte nur dreißig oder vierzig Sitzplätze. Jetzt war Eddie natürlich der einzige Passagier.
»Wann wollen Sie starten, Colonel?«
»Sofort«, sagte Eddie.
Er wollte unbedingt in der Luft sein, bevor Capitan Torres und Colonel Bolivar herausfanden, wo er war.
In eben diesem Augenblick sprach Capitan Torres mit einem der Soldaten aus der versammelten Menge auf dem Platz. Der Soldat deutete auf den Mann, der mit Eddie weggefahren war. Capitan Torres ging zu ihm hin.
»Haben Sie Colonel Bolivar von hier weggefahren?«
Der Mann strahlte. »Jawohl, Capitan! Es war mir eine besondere Ehre. Er ist so ein großer Mann!«
»Wohin haben Sie ihn gefahren?«
»Zum Flughafen.«
»Zum Flughafen?«
Da begriff Capitan Torres, was Eddie vorhatte. Er hatte die Absicht, mit Colonel Bolivars Flugzeug heimzufliegen!
»Das wird ihm nicht gelingen«, murmelte er.
Eddie schnallte sich an und ließ sich in den weichen, bequemen Sessel zurücksinken. Noch nie hatte er so ein Flugzeug wie dieses gesehen. Es hatte einen großen Fernsehapparat an Bord, eine Filmleinwand, und Dutzende Zeitschriften und Videospiele waren vorrätig.
Der Pilot meldete ihm über den Bordlautsprecher:
»Wir sind abflugbereit, Colonel. Möchten Sie herkomm en und selbst den Start fliegen?«
Eddie dachte darüber nach. »Ach nein, ich glaube nicht«, sagte er. »Machen Sie das ruhig.«
Im nächsten Moment rollte das Flugzeug auf der Startbahn los, hob dann steil nach oben in die Luft ab und nahm Kurs auf New York.
Nur noch ein paar Stunden, dachte Eddie, und ich bin wieder zu Hause bei Mary und unserem neuen Baby und bei meinem neuen Stück »Der Diktator«.
Читать дальше