»Diese schöpferischen Leute«, drängte Tomlinson, »die Leute, von denen Sie sprachen: Wer sind sie?«
Nur halb mit seinen Gedanken bei der Frage, erwiderte Mel: »Eine Liste aufzustellen ist da sehr schwer.«
Er beobachtete, was draußen vorging. Auch die übrigen Fahrzeuge und alle Geräte waren vor der Maschine der Aereo Mexi-can fortgeschafft worden, und Joe Patronis untersetzte, schneebedeckte Gestalt stieg jetzt die Einstiegrampe hinauf, die dicht bei der Nase der Maschine stand. Fast oben, blieb Patroni stehen, drehte sich um und gestikulierte; er schien den Leuten unter sich etwas zuzurufen. Dann öffnete Patroni die Tür zum Flugzeugrumpf und ging hinein. Sofort danach stieg eine andere, schlankere Gestalt die Stufen der Rampe hinauf und folgte ihm. Die Tür des Flugzeugs fiel zu. Andere unten schoben die Rampe zurück.
Wieder fragte der Reporter in dem Wagen: »Mr. Bakersfeld, könnten Sie mir ein paar dieser Leute namentlich nennen — der Leute mit der größten Phantasie über Flughäfen und die Zukunft?«
»Ja«, fiel Tanya ein, »könnten Sie das nicht?«
Mel überlegte. Das war genauso wie ein Gesellschaftsspiel im Salon, während über ihnen das Haus brannte. Also gut, dachte er, wenn Tanya es von ihm erwartete, würde er mitspielen.
»Ein paar kann ich Ihnen nennen«, antwortete Mel. »Fox in Los Angeles, Joseph Fester in Houston, jetzt bei der ATA of America. Alan Boyd bei der Regierung, und Thomas Sullivan bei der Flughafenbehörde von New York. Von den Fluggesellschaften: Halaby bei der Pan Am, Herb Oodfrey von der United. In Kanada John C. Parkin. In Europa Pierre Cot bei der Air France, Graf Castell in Deutschland. Aber es gibt noch mehr.«
»Wie zum Beispiel Mel Bakersfeld«, warf Tanya dazwischen. »Haben Sie den nicht vergessen?«
Tomlinson, der sich Notizen gemacht hatte, brummte: »Den habe ich bereits notiert. Das brauchte nicht gesagt zu werden.«
Mel lächelte. Aber brauchte es wirklich nicht gesagt zu werden? fragte er sich. Vor einiger Zeit, es war noch gar nicht sehr lange her, wäre die Behauptung wahr gewesen, aber er wußte, daß er von der großen Bühne verschwunden war. Wenn das passiert, wenn man, aus welchem Grund auch immer, vom Schauplatz abtritt, geschieht es nur zu leicht, daß man bald vergessen wird; und später gelang es einem manchmal nicht, wieder aufzutreten, selbst wenn man sich noch so sehr darum bemühte. Dabei ging es nicht darum, daß er auf Lincoln International Airport eine weniger wichtige Stellung innehatte oder sie weniger gut ausfüllte. Als Generaldirektor eines Flughafens war Mel so gut wie eh und je, wahrscheinlich besser, das wußte er, aber der große Beitrag, der einmal von ihm zu erwarten gewesen war, schien nicht mehr in Sicht zu sein. Er bemerkte, daß er diesem Gedanken zum zweitenmal in dieser Nacht nachhing. Spielte das eine Rolle? Lag ihm etwas daran? Ja, entschied er, ihm lag daran.
»Sehen Sie doch!« rief Tanya. »Sie lassen die Motoren an!«
Der Reporter hob den Kopf. Mel spürte, wie seine eigene Erregung wuchs.
Hinter Motor drei der Aereo Mexican 707 erschien eine weißgraue Qualmwolke. Sie wurde kurz dichter, dann wurde sie fortgewirbelt, als der Motor ansprang und lief. Jetzt strömte Schnee im Rückstoß des Düsenmotors nach hinten.
Eine zweite Qualmwolke erschien hinter Motor Nummer vier, um einen Augenblick später von Schnee gefolgt, weggefegt zu werden.
»Bodenkontrolle an Mobil eins und City fünfundzwanzig.« Die Stimme über Funk erklang so unerwartet im Inneren des Wagens, daß Mel spürte, wie Tanya neben ihm erschrocken zusammenfuhr. »Chicago Center meldet berichtigte Zeit für Übergabe des fraglichen Flugs mit 01.16 Uhr — das ist in sieben Minuten.«
Flug Zwei kam noch schneller als erwartet, erkannte Mel. Das bedeutete, daß sie eine weitere Minute verloren hatten. Noch eine Minute weniger für Joe Patronis Versuch, die Düsenmaschine der Aereo Mexican unter eigener Kraft von der Stelle zu bewegen. Nur noch sieben Minuten bis zu Mels Entscheidung, ob er brutale Gewalt einsetzen und einen unbeschädigten Luftkreuzer zerstören sollte, um die Landebahn freizumachen.
Wieder hielt Mel seine Uhr in das schwache Licht des Armaturenbretts.
Auf dem weichen Boden, auf der anderen Seite der Landebahn von ihrem Wagen aus, hatte Joe Patroni jetzt Motor Nummer zwei angelassen. Nummer eins folgte. Mel sagte mit gedämpfter Stimme: »Sie könnten es noch schaffen.« Dann erinnerte er sich, daß schon zweimal am Abend sämtliche Motoren angelassen worden waren, um zu versuchen, die festsitzende Maschine aus dem Schlamm zu befreien, und beide Versuche gescheitert waren.
Jetzt erschien vor der versackten Maschine eine einzelne Gestalt mit leuchtenden Signaltafeln und ging weiter vor, damit sie aus dem Cockpit des Flugzeugs gesehen werden konnte. Der Mann hielt sie beide hoch über seinem Kopf, um damit anzuzeigen: »Alles klar«. Mel hörte und spürte die laufenden Düsenmotoren, erkannte aber, daß sie noch nicht mit voller Kraft liefen.
Noch sechs Minuten. Warum hatte Patroni die Motoren nicht voll aufgedreht?
Tanya sagte gepreßt: »Ich kann das Warten nicht mehr ertragen.«
Der Reporter bewegte sich unruhig auf seinem Sitz. »Jetzt fange ich auch an zu schwitzen.«
JoePatronigab Gas!Jetztkam es! Mel hörte und spürte das alles überwältigende, stärker werdende Dröhnen der Motoren. Hinter der versackten Düsenmaschine wurden riesige Schneewolken wild in die Dunkelheit hinter der Landebahnbefeuerung hinausgeschleudert.
»Mobil eins«, forderte eine Stimme im Funkgerät scharf, »hier Bodenkontrolle. Hat sich am Zustand von Landebahn Drei-Null etwas geändert?«
Patroni hatte noch drei Minuten, rechnete Mel nach dem Stand seiner Uhr nach.
»Das Flugzeug sitzt noch fest.« Tanya spähte angespannt durch die Windschutzscheibe des Wagens. »Sie haben alle Motoren laufen, aber es bewegt sich nicht.«
Es drängte allerdings nach vorn, soviel konnte Mel selbst bei dem Schneetreiben erkennen. Aber Tanya hatte recht. Das Flugzeug rührte sich nicht von der Stelle.
Die Schneepflüge und Schneeschleudern waren dichter zusammengerückt. Ihre Warnzeichen funkelten hell.
»Achtung«, sagte Mel in das Mikrofon. »Achtung! Dirigieren Sie die Maschine nicht zum Anflug auf Landebahn Zwei-Fünf. Landebahn Drei-Null wird so oder so jetzt jeden Augenblick geräumt sein.«
Er schaltete das Funkgerät in seinem Wagen auf die Frequenz der Schneekontrolle um, bereit, den Schneepflügen seinen Einsatzbefehl zu geben.
14
Im allgemeinen ließ der Hochdruck in der Flugsicherung nach Mitternacht etwas nach. Heute war das nicht der Fall. Wegen des herrschenden Schneesturms wurden von allen Fluggesellschaften weiterhin ankommende und abgehende Flüge mit stundenlanger Verspätung abgefertigt, und bei den meisten wurden die Verspätungen infolge der allgemeinen Behinderung auf den überbeanspruchten Start- und Landebahnen und auf den nach wie vor verstopften Taxiwegen noch vergrößert.
Die meisten Teilnehmer der vorausgegangenen Schicht in der Flugsicherung hatten ihren Dienst um Mitternacht beendet und waren erschöpft nach Hause gegangen. Eine neue Schicht hatte ihre Plätze eingenommen. Einige der Kontroller waren einer längeren, überlappenden Schicht zugeteilt worden, die bis zwei Uhr dauerte, weil Personalmangel herrschte und Ausfälle infolge von Krankheit ausgeglichen werden mußten. Zu ihnen gehörte der Dienstleiter im Kontrollraum, der Radarinspektor Tevis und Keith Bakersfeld.
Seit der aufwühlenden Begegnung mit seinem Bruder, die vor anderthalb Stunden unvermittelt und ergebnislos abgebrochen worden war, hatte Keith Ablenkung von seinen Gedanken in der Arbeit gesucht und sich intensiv auf den Radarschirm konzentriert. Wenn er diese Konzentration aufrechterhalten konnte, würde die restliche Zeit — die letzte, die er noch auszufüllen hatte — schnell vergehen. Keith nahm weiterhin aus Osten kommende Flüge in Empfang und arbeitete gemeinsam mit einem jungen Assistenten, der links von ihm saß. Wayne Tevis war noch diensthabender Inspektor, ritt auf seinem mit Rollen versehenen Stuhl im Kontrollraum herum, wobei er sich mit seinen Texasstiefeln weiterschob, wenn auch weniger energiegeladen als vorher, da sich auch seine Schicht dem Ende näherte.
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