Das System der Versicherungsautomaten mochte Mel am wenigsten, obwohl D. O. Guerreros hohe Versicherungspolice heute nacht nicht auf diesem Weg abgeschlossen worden war. Wenn dann der Abschluß von Versicherungen an Schaltern blieb — für wenige Jahre noch, bis die öffentliche Meinung entsprechend beeinflußt worden war —, mußten größere Sicherungsvorkehrungen getroffen werden . . .
Wenn Mel sich auch entschlossen hatte, noch keine endgültige Entscheidung zu treffen, so war doch schon deutlich zu erkennen, in welche Richtung sich seine Überlegungen bewegten.
Das immer noch auf die Frequenz der Flughafenwartung eingestellte Funkgerät hatte ununterbrochen Sprüche zwischen den verschiedensten Fahrzeugen widergegeben. Jetzt rief es: »Schneekontrolle an Mobil eins.«
Mel antwortete sofort: »Sprechen Sie, Danny.«
»Vier Pflüge und drei Schleudern sind mit dem Leiter des Konvois auf dem Weg nach Landebahn Drei-Null, wie angefordert. Welche weiteren Befehle bitte?«
Mel wählte seine Worte sorgfältig, weil er wußte, daß sie irgendwo in dem elektronischen Irrgarten unter dem Kontrollturm auf Band festgehalten wurden. Vielleicht mußte er sich später dafür rechtfertigen. Er wollte aber auch sichergehen, daß es nicht zu einem Mißverständnis kam.
»Mobil eins an Schneekontrolle. Alle Pflüge und Schleudern halten unter dem Befehl des Konvoiführers in der Nähe der festgefahrenen Maschine der Aereo Mexican, die die Landebahn Drei-Null blockiert, einsatzbereit. Die Fahrzeuge dürfen nicht — wiederhole: nicht — das Flugzeug behindern, das in wenigen Minuten versuchen wird, unter eigener Kraft freizukommen. Falls der Versuch aber versagt, erhalten Pflüge und Schleudern den Auftrag, das Flugzeug seitlich fortzuschieben und die Landebahn zu räumen. Das muß und wird um jeden Preis und in aller Schnelligkeit geschehen. Landebahn Drei-Null muß in etwa dreißig Minuten einsatzbereit sein. Bis dahin muß sie von dem blockierenden Flugzeug und sämtlichen anderen Fahrzeugen frei sein. Ich werde in Übereinstimmung mit der Flugsicherung entscheiden, wann die Pflüge Befehl zum Einsatz erhalten, falls es notwendig wird. Bestätigen Sie Empfang und daß diese Anordnungen verstanden wurden.«
Der Reporter Tomlinson in Mels Wagen stieß einen leisen Pfiff aus. Tanya wandte sich Mel zu und betrachtete ängstlich forschend sein Gesicht.
Das Funkgerät blieb einige Sekunden lang stumm, ehe Danny Farrows Stimme sich meldete. »Ich glaube, ich habe verstanden, aber ich will mich lieber vergewissern.« Er wiederholte den Inhalt der Durchsage, und Mel konnte sich vorstellen, daß er wieder schwitzte, wie er es schon am Abend getan hatte.
»In Ordnung«, bestätigte Mel. »Aber eines muß völlig klar sein: Wann die Pflüge und Schleudern eingesetzt werden, befehle ich und niemand anderes.«
»Das ist klar«, bestätigte Danny. »Und lieber Sie als ich. Ich nehme an, Sie haben eine Vorstellung davon, was unsere Fahrzeuge mit der 707 anrichten.«
»Sie werden sie auf die Seite schieben«, antwortete Mel schroff, »und im Augenblick ist das das einzig Wichtige.« Er meldete sich ab und legte das Mikrofon zurück.
Tomlinson sagte ungläubig: »Schiebt sie auf die Seite! Ein Flugzeug im Wert von sechs Millionen Dollar, von Schneepflügen auf die Seite geschoben! Mein Gott, sie zerreißen es in Fetzen. Und die Besitzer und Versicherungen werden mit Ihnen das gleiche machen.«
»Das sollte mich nicht wundern«, antwortete Mel. »Selbstverständlich ist das Ganze eine Frage des Standpunkts. Wenn die Besitzer und die Versicherungen in der beschädigten Maschine säßen, würden sie jubeln.«
»Na ja«, räumte der Reporter ein, »ich gestehe Ihnen zu, daß manche Entscheidungen eine Menge Mut verlangen.«
Tanyas Hand suchte nach der Mels. Leise sagte sie, voller Gefühl: »Ich jubele — über das, was Sie jetzt tun. Was später auch kommen wird — ich werde es nie vergessen.«
Die Pflüge und Schleudern, die Mel herbeordert hatte, kamen in Sicht. Sie fuhren in schnellem Tempo über die Landebahn. Die Warnleuchten auf ihren Führerhäusern blinkten grell.
»Vielleicht kommt es gar nicht so weit.« Mel drückte Tanyas Hand, ehe er sie losließ und die Wagentür öffnete. »Wir haben zwanzig Minuten Zeit zu hoffen, daß es nicht dazu kommt.«
Als Mel Bakersfeld auf ihn zukam, stampfte Joe Patroni mit den Füßen auf den Boden, um sie zu wärmen, trotz der pelzgefütterten Stiefel und dem dicken Anorak, die der Wartungschef der TWA trug, ohne sonderlichen Erfolg. Von den kurzen Augenblicken abgesehen, die Patroni im Cockpit des Flugzeugs verbracht hatte, als der Kapitän der Aereo Mexican und sein Erster Offizier das Feld räumten, hatte er die ganze Zeit seit seiner Ankunft vor drei Stunden ununterbrochen draußen im Schneesturm gestanden. Außer der Kälte und der körperlichen Erschöpfung von den verschiedenen Anstrengungen bei Tag und bei Nacht hatte auch sein bisheriges Versagen, die festgefahrene Düsenmaschine von der Stelle zu bewegen, seine Geduld bis an den Rand des Ausbruchs erschöpft.
Als er von Mels Absichten hörte, war es beinahe soweit.
Mit jedem anderen hätte Joe Patroni getobt und geflucht. Da Mel aber ein guter Freund war, nahm er nur die nichtbrennende Zigarre, auf der er herumkaute, aus dem Mund und sah Mel ungläubig an. »Ein unbeschädigtes Flugzeug von Schneepflügen wegschieben lassen? Hast du den Verstand verloren?«
»Nein«, antwortete Mel, »mir fehlen Landebahnen.«
Bei dem Gedanken, daß kein anderer in einer verantwortlichen Position, außer ihm selbst, die dringende Notwendigkeit verstand, Landebahn Drei-Null um jeden Preis freizubekommen, überfiel Mel für einen Augenblick eine Depression. Wenn er seine Absicht ausführte, würde es zweifellos einige geben, die später sein Vorgehen verteidigten. Andererseits hatte Mel nicht den geringsten Zweifel, daß sich morgen eine Menge Leute melden würden, die es nachträglich besser wußten — darunter auch die Vertreter der Aereo Mexican — und behaupten würden, er hätte dieses oder jenes tun sollen, oder Flug Zwei hätte ja wohl letzten Endes doch auf Landebahn Zwei-Fünf landen können. Zweifellos war es ein einsamer Entschluß, vor dem er da stand. Das änderte nichts an Mels Überzeugung, daß er gefaßt werden mußte.
Beim Anblick der aufgefahrenen Pflüge und Schleudern, die jetzt rechts von ihnen in einer Reihe auf der Landebahn standen, warf Patroni seine Zigarre endgültig fort. Als er eine frische aus der Tasche zog, grollte er: »Ich werde dich von deiner Wahnsinnstat bewahren. Halte mir deine kleinen Spielzeuge da vom Leib und in gehörigem Abstand von der Maschine. In fünfzehn Minuten, vielleicht schon früher, fahre ich sie hier heraus.«
Mel mußte schreien, um sich durch das Tosen des Windes und das Dröhnen der Fahrzeuge ringsherum verständlich zu machen. »Joe, über eines wollen wir uns klar sein. Wenn der Turm uns sagt, daß wir keine Zeit mehr zu verlieren haben, dann ist es soweit. Dann gibt es keinen Widerspruch mehr. Bei dem ankommenden Flugzeug geht es um Menschenleben. Wenn du die Motoren laufen hast, müssen sie sofort abgestellt werden. Gleichzeitig müssen alle Fahrzeuge und alle Leute hier sofort verschwinden. Sorge dafür, daß das allen deinen Leuten völlig klar ist. Die Pflüge werden auf meinen Befehl eingesetzt. Falls und wenn es dazu kommt, wird keine Zeit mehr verloren.«
Patroni nickte düster. Trotz seines Ausbruchs fand Mel, daß die übliche, etwas anmaßende Selbstsicherheit des Wartungschefs gedämpft zu sein schien.
Mel kehrte zu seinem Wagen zurück. Tanya und der Reporter standen in ihre Mäntel gehüllt daneben und verfolgten die Grabarbeiten um das Flugzeug. Sie stiegen mit ihm wieder ein, dankbar für die Wärme im Inneren des Wagens.
Wieder rief Mel über Funk die Bodenkontrolle an und verlangte diesmal den Dienstleiter im Kontrollturm. Nach einer kurzen Pause meldete sich dessen Stimme am Apparat.
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