»Machen Sie es ruhig«, antwortete Mel. »Wahrscheinlich bin ich heute in der Laune, mal auszupacken.«
»Den Eindruck habe ich auch.« Der Reporter sah Mel von der anderen Seite des Wagens her forschend an. »Wenn ich das sagen darf: Sie waren heute abend groß in Form. Gerade eben, und mit dem Rechtsanwalt und diesen Leuten aus Meadowood. Viel ähnlicher Ihrem alten Selbst. So habe ich Sie schon lange nicht mehr reden hören.«
Mel hielt seinen Blick auf die Taxibahn vor sich gerichtet und wartete darauf, an einer DC-8 der Eastern vorbeizukommen, die nach links abbog. Aber er dachte: War sein Auftreten während der letzten ein oder zwei Jahre, das Fehlen seines alten Kampfgeistes, so offenkundig gewesen, daß es auch andere bemerkt hatten?
Neben ihm, dicht genug, daß er ihre Nähe und ihre Wärme spürte, sagte Tanya leise: »Die ganze Zeit über, während wir hier reden
— über Landebahnen, die öffentliche Meinung, Meadowood und so weiter — ich denke ständig an die Leute in Flug Zwei, was sie wohl empfinden mögen — ob sie Angst haben.«
»Die haben bestimmt Angst«, antwortete Mel, »wenn sie einigermaßen bei Vernunft sind und wenn sie wissen, was vorgeht. Ich hätte auch Angst.«
Er erinnerte sich seiner Angst, als er vor vielen Jahren in dem sinkenden Militärflugzeug eingeklemmt gewesen war. Wie durch die Erinnerung ausgelöst spürte er einen scharfen Schmerz in der alten Verwundung an seinem Fuß. In der Aufregung der letzten Stunden war es ihm gelungen, die Beschwerden zu vergessen, aber wie immer bei Ermüdung und Überanstrengung setzten sie sich am Ende doch durch. Mel preßte die Lippen fest zusammen und hoffte, der Schmerzanfall würde nachlassen oder vorübergehen.
Er hatte auf eine weitere Pause im Wechsel der Funksprüche zwischen den Bodenstellen gewartet, und als jetzt eine eintrat, drückte er wieder auf den Schaltknopf des Mikrofons.
»Mobil eins an Bodenkontrolle. Haben Sie eine Meldung von der sich in Not befindenden Maschine, wie dringend sie Landebahn Drei-Null braucht?«
»Mobil eins, nach den vorliegenden Meldungen sehr dringend. Spricht dort Mr. Bakersfeld?«
»Ja, ich bin es selbst.«
Mel fuhr weiter und näherte sich jetzt Landebahn Drei-Null, während er auf Antwort wartete. Was jetzt kam, würde darüber entscheiden, ob er zu den drastischen Maßnahmen greifen mußte, die er bereits erwog.
»Bodenkontrolle an Mobil eins. Folgende Nachricht erhielten wir gerade von der betreffenden Maschine. Anfang der Meldung: >Ein gerader Anflugkurs genügt nicht, wenn er auf Landebahn Zwei-Fünf führt. Maschine ist schwer überladen. Wir werden mit hoher Geschwindigkeit landen . . .< «
Die drei in dem Wagen hörten gespannt Vernon Demerests Nachricht an. Bei den Worten: »Wenn wir auf Zwei-Fünf runtergebracht werden, gibt es ein zerschelltes Flugzeug und Tote«, hörte Mel, wie Tanya scharf einatmete, und spürte ihr Schaudern.
Er wollte schon den Empfang der Durchgabe bestätigen, als die Bodenkontrolle weitersprach.
»Mobil eins — Mr. Bakersfeld, zu dieser Meldung liegt ein Zusatz vor, persönlich an Sie gerichtet, von Ihrem Schwager. Können Sie irgendwo ein Telefon erreichen?«
»Ausgeschlossen« antwortete Mel. »Lesen Sie den Text ruhig gleich vor.
»Mobil eins . . .« Er spürte, daß der Kontroller zögerte. »Die Ausdrücke sind sehr persönlich.«
Dem Kontroller war wie Mel bekannt, daß viele Ohren auf dem ganzen Flughafen zuhören würden.
»Bezieht es sich auf die gegenwärtige Situation?«
»Ja.«
»Dann lesen Sie.«
»Jawohl, Sir. Die Mitteilung beginnt mit: >Du Schuft bist an dieser Schweinerei mit schuld, weil du wegen der Flugversicherungen auf Flughäfen nicht auf mich gehört hast . . .< «
Mel preßte die Lippen zusammen, wartete aber, bis die Durchsage beendet war, und bestätigte dann kommentarlos: »Verstanden. Ende.« Er war überzeugt, daß es Vernon das größte Vergnügen bereitet hatte — soweit gegenwärtig an Bord von Flug Zwei irgend etwas Vergnügen machen konnte — und daß er sich noch mehr amüsieren würde, wenn er erfuhr, auf welchem Weg sie an ihn weitergeleitet worden war.
Allerdings war dieser Zusatz überflüssig, denn Mel hatte seine Entscheidung schon auf Grund der ersten Nachricht getroffen.
Sein Wagen fuhr jetzt schnell die Landebahn Drei-Null entlang.
Der Kreis der Scheinwerfer und Hilfsfahrzeuge um die festgefahrene Düsenmaschine der Aereo Mexican kamen jetzt in Sicht. Befriedigt stellte Mel fest, daß auf der Landebahn nur eine dünne Schneedecke lag. Obwohl ein Teil der Bahn blockiert war, war die übrige Bahn freigefegt worden.
Er schaltete sein Funkgerät auf die Frequenz des Wartungsdienstes des Flughafens.
»Mobil eins an Schneekontrolle.«
»Hier Schneekontrolle.« Danny Farrows Stimme klang müde, was nicht überraschen konnte. »Sprechen Sie.«
»Danny, lösen Sie die Conga-Kette auf. Schicken Sie die Osh-kosh-Pflüge und die schweren Schleudern nach Landebahn DreiNull herüber. Sie sollen zu der Stelle, wo die festgefahrene Maschine steckt, und dort auf weitere Anweisungen warten. Schicken Sie sie gleich los, und rufen Sie mich sofort zurück.«
»Verstanden, sofort.« Danny schien noch eine Frage stellen zu wollen, überlegte es sich aber offensichtlich. Einen Augenblick später hörten die drei in dem Wagen auf der gleichen Frequenz, wie er dem Führer der Conga-Kette Befehle erteilte.
Der Reporter der Tribune beugte sich über Tanya vor. »Ich versuche immer noch, mir ein klares Bild zu machen«, sagte er. »Diese Sache mit der Flugversicherung ... Ihr Schwager ist doch ein wichtiger Mann im Pilotenverband, nicht wahr?«
»Ja.« Mel stoppte den Wagen auf der Landebahn, wenige Schritte vor dem Lichtkreis um das große feststeckende Flugzeug. Es herrschte emsige Tätigkeit, wie er sehen konnte. Unter dem Rumpf der Maschine und auf beiden Seiten waren Männer fieberhaft am Graben. Die untersetzte Gestalt von Joe Patroni war sichtbar, der die Arbeiten überwachte. Gleich, wenn Danny Farrow von der Schneekontrolle zurückgerufen hatte, wollte Mel zu ihm gehen.
Nachdenklich sagte der Reporter: »Ich erinnere mich dunkel, daß ich vor einiger Zeit etwas läuten gehört habe. Hat Ihr Schwager nicht eine große Schau veranstaltet, um den Abschluß von Flugversicherungen hier verbieten zu lassen — so, wie der Pilotenverband das will —, und Sie haben ihm das Spiel verdorben?«
»Nicht ich habe seinen Vorschlag abgelehnt, sondern der Verwaltungsrat des Flughafens, obwohl ich dieser Entscheidung zustimme.«
»Falls diese Frage nicht unfair ist: Haben Sie nach dem, was heute nacht geschehen ist, Ihre Ansicht in dieser Frage geändert?«
Tanya protestierte. »Ich finde, jetzt ist nicht der richtige Augenblick . . .«
»Ich will darauf antworten«, unterbrach Mel. »Ich habe meine Ansicht nicht geändert, jedenfalls noch nicht. Aber ich denke darüber nach.«
Mel überlegte: Jetzt, in der hohen Gefühlserregung und im Gefolge der Tragödie, war nicht der geeignete Zeitpunkt, den Standpunkt hinsichtlich der Flugversicherung zu korrigieren, falls es dazu kommen sollte. In ein oder zwei Tagen würde man die Ereignisse dieser Nacht besser überblicken können. Dann sollte Mels eigene Entscheidung erfolgen, ob er bei dem Verwaltungsrat darauf drängen sollte, seine Politik in dieser Frage zu überprüfen, oder nicht. Inzwischen allerdings konnte niemand bestreiten, daß die Ereignisse dieser Nacht den Argumenten Vernon Demerests und des Pilotenverbandes zusätzliches Gesicht verliehen hatte.
Möglicherweise ließ sich ein Kompromiß finden, überlegte Mel. Ein Sprecher des Pilotenverbandes hatte ihm einmal anvertraut, daß die Piloten nicht damit rechneten ihren Feldzug gegen Flugversicherungen auf Flughäfen vollkommen oder schnell zu gewinnen; es würde Jahre dauern, bis sie Erfolg hätten, und er würde »nach der Salamitaktik erfolgen — Scheibchen für Scheibchen«. Auf Lin-coln International mochte eines dieser Scheibchen das Verbot der unüberwachten Automaten sein, wie es auf einigen Flughäfen bereits erfolgt war. Ein Staat — Colorado — hatte die Automaten schon durch ein gesetzliches Verbot abgeschafft. Mel wußte, daß in anderen Staaten ähnliche Gesetze erwogen wurden. Allerdings gab es nichts, was die Flughäfen daran hindern konnte, inzwischen schon aus eigener Initiative zu handeln.
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