Verdammt, dachte Dóra. »Und das mit dem blutverschmutzten T-Shirt in deinem Schrank? Weißt du, wie das passiert ist?«
»Keine Ahnung.« Es trat eine kurze Pause ein, dann fügte er hinzu: »Ich glaub, die Bullen haben es da reingetan. Ich hab Harald nicht ermordet und ich hab kein Blut mit einem T-Shirt aufgewischt. Ich weiß noch nicht mal, ob das überhaupt mein T-Shirt ist. Ich hab das Ding ja nie gesehen.«
»Das sind schwerwiegende Beschuldigungen, Hugi, und unter uns, ich glaube nicht, dass die Polizei so was tut. Wenn du die Wahrheit sagst, muss es eine andere Erklärung dafür geben.«
Daraufhin verabschiedeten sie sich und Dóra berichtete Matthias von dem Telefongespräch.
»Tja, zumindest hat er für die Hälfte eine Erklärung«, sagte er. »Wir müssen die anderen Partygäste fragen, ob sie sich an dieses Nasenbluten erinnern können.«
»Ja«, sagte Dóra. Sie hatte kaum Hoffnung, dass das etwas bringen würde. »Aber selbst wenn sie sich daran erinnern, haben wir keine Erklärung für das T-Shirt im Schrank.«
»Bing« — tönte es aus dem Computer und sie schauten beide im selben Augenblick auf den Bildschirm. »You have new mail«, stand in einem Fenster in der rechten unteren Bildschirmecke. Dóra griff nach der Maus und klickte den kleinen Briefumschlag an.
Eine Mail poppte auf — sie war von Mal.
Hi toter Harald!
Was ist denn bei dir los? Ich hab eine Mail von einem angeblichen isländischen Polizisten gekriegt und von irgendeiner Rechtsanwaltsschlampe Diese Idioten behaupten, du wärst tot — sehr unwahrscheinlich! Melde dich trotzdem kurz — das ist ein bisschen unangenehm.
Gruß,
Mal
Dóra ärgerte sich darüber, obwohl sie in ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn noch weitaus uncharmanteren Titulierungen begegnet war.
»Beeilen Sie sich!«, stieß Matthias hervor. »Antworten Sie ihm, solange er noch am Computer sitzt.«
Dóra klickte schnell auf »Antworten«. »Was soll ich schreiben?«, fragte sie, während sie das obligatorische Lieber Mal eintippte.
»Irgendwas«, sagte Matthias hastig, was wenig hilfreich war.
Dóra schrieb und Matthias las mit, während Dóra tippte. Als sie in Rekordzeit fertig war, wedelte er ungeduldig mit der Hand und murmelte: »Senden, senden.«
Lieber Mal!
Leider stimmt die Nachricht über Haralds Tod. Er ist ermordet worden und wird Ihnen nicht antworten. Ich bin die Rechtanwaltsschlampe, die Ihnen vor einigen Tagen geschrieben hat. Haralds Computer befindet sich in meiner Obhut. Ich arbeite für die Familie Guntlieb — es ist der Familie sehr wichtig, den Mörder ausfindig zu machen. Zurzeit befindet sich ein junger Mann in Untersuchungshaft, der dieses schreckliche Verbrechen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht begangen hat. Sie verfügen möglicherweise über Informationen, die uns helfen können. Wissen Sie, was Harald gefunden zu haben glaubte und wer der »verdammte Idiot« ist, den er in seiner letzten Mail an Sie erwähnte? Bitte geben Sie mir eine Telefonnummer, unter der ich Sie erreichen kann.
Viele Grüße,
Dóra
Dóra schickte die E-Mail ab und sie warteten schweigend ein paar Minuten. Plötzlich erschien die Ankündigung einer neuen Nachricht. Sie schauten sich gespannt an, bevor Dóra sie öffnete. Doch bei beiden machte sich Enttäuschung breit.
Rechtsanwaltsschlampe — fahr zur Hölle! Und nimm die Guntliebs gleich mit. Ihr seid ein Scheißpack. Eher liege ich im Grab, als euch zu helfen.
Hassgrüße,
Mal
Dóra atmete tief durch. Das war deutlich. Sie blickte zu Matthias. »Vielleicht erlaubt er sich nur einen Spaß?«
Matthias begegnete ihrem Blick. Er war nicht sicher, ob Dóra selbst scherzte. Er vermutete es. »Bestimmt — gleich schickt er noch eine Mail mit Smileys, die über den Bildschirm hüpfen und verkünden, wie sehr er die Guntliebs schätzt.« Er seufzte. »Verdammt, Harald hat seinem Freund wohl nicht viel Gutes über seine Eltern erzählt. Diesen Typen können wir vergessen.«
Dóra seufzte ebenfalls. »Aber verschwenden wir dann hier nicht unsere Zeit? Wir könnten doch ins Kaffibrennslan gehen und mit dem Kellner sprechen, der Halldórs Alibi bestätigt hat. Vielleicht arbeitet er gerade. Ich stimme Ihnen zu, dass seine Zeugenaussage ziemlich wackelig ist. Falls er nicht arbeitet, trinken wir einfach einen Kaffee.«
Matthias begrüßte die Idee und stand auf. Dóra löste eilig den USB-Stick, steckte ihn in ihre Handtasche und schaltete den Computer aus.
Im Kaffibrennslan waren nicht viele Gäste, sodass Dóra und Matthias sich einen Platz aussuchen konnten. Sie setzten sich an einen Tisch auf der unteren Ebene neben der Theke. Während Dóra sich damit abmühte, ihren Daunenanorak über die Stuhllehne zu hängen, versuchte Matthias die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen. Es war eine junge Frau. Sie bemerkte ihn, lächelte und signalisierte, sie käme gleich. Matthias wendete sich zu Dóra. »Warum haben Sie nicht den Mantel angezogen, den Sie heute Morgen getragen haben?«, fragte er verwundert und beobachtete, wie sich der dicke Daunenanorak auf beiden Seiten ihres Stuhls breitmachte. Die Ärmel waren so aufgeplustert, dass sie fast waagerecht zur Seite ragten.
»Mir war kalt«, sagte Dóra trocken. »Ich habe den Mantel im Büro — morgens komme ich im Anorak und abends gehe ich im Anorak wieder nach Hause. Gefällt er Ihnen nicht?«
Matthias’ Gesichtsausdruck sagte alles, was seiner Meinung nach über den Anorak gesagt werden musste. »Aber ja doch, sehr sogar — vorausgesetzt, Ihr Job ist es, die Eisdichte am Südpol zu messen.«
Dóra verdrehte die Augen. »Schnösel«, konterte sie und lächelte der Bedienung zu, die an ihren Tisch getreten war.
»Möchtet ihr bestellen?«, fragte das Mädchen und lächelte sie an. Sie hatte eine kurze schwarze Schürze um die schlanke Taille gebunden und hielt einen kleinen Block in der Hand — bereit, ihre Bestellung entgegenzunehmen.
»O ja, gern«, antwortete Dóra. »Ich nehme einen doppelten Espresso.« Sie wendete sich an Matthias: »Möchten Sie einen Tee in einer Porzellantasse?«
»Haha, sehr witzig«, entgegnete er und bestellte dasselbe wie Dóra.
»Okay«, sagte die Bedienung lächelnd, ohne etwas aufzuschreiben. »Sonst noch was?«
»Ja und nein«, sagte Dóra. »Wir fragen uns, ob Björn Jónsson da ist. Wir möchten gern kurz mit ihm reden.«
»Bjössi?«, fragte das Mädchen überrascht. »Ja, der ist gerade gekommen.« Sie warf einen Blick auf die Uhr an der Wand.
»Seine Schicht fängt gleich an. Soll ich ihn holen?« Dóra bejahte dankend und die junge Frau entfernte sich, um Bjössi und die Espressotassen zu holen.
Matthias schaute Dóra an und lächelte zuckersüß. »Ihr Anorak ist außerordentlich schick. Wirklich. Er ist nur so … gewaltig.«
»Das hat Sie aber nicht gestört, als Sie mit Bella geflirtet haben. Die ist auch gewaltig — so gewaltig, dass sie sogar einem eigenen Gravitationsgesetz unterliegt. Sie zieht die Büroklammern in der Kanzlei magisch an. Sie sollten sich vielleicht auch so einen Daunenanorak kaufen. Er ist superbequem.«
»Geht nicht«, entgegnete Matthias und grinste, »dann müssten Sie sich auf die Rückbank setzen und das wäre doch schade. Zwei solche Anoraks passen auf keinen Fall nebeneinander auf die Vordersitze.«
Weitere Diskussionen über Daunenanoraks wurden vertagt, denn das Mädchen kam mit dem Espresso. Sie hatte einen jungen Mann im Schlepptau. Er sah gut aus und wirkte ein bisschen androgyn — sein dunkles Haar war ungewöhnlich gut geschnitten und frisiert und sein Gesicht war glatt rasiert. »Hi, ihr wolltet mit mir sprechen?«, fragte er mit wohlklingender Stimme.
»Ja, bist du Björn?«, sagte Dóra und nahm ihre Tasse entgegen. Der junge Mann bejahte und sie stellte sich und Matthias vor, wobei sie beim Isländischen blieb. Matthias sagte nichts dazu, sondern saß nur da und nippte an seinem Espresso. »Wir wollten dich nach dem Tatabend und nach Halldór Kristinsson fragen.«
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