Diesmal verschlug es Uberto tatsächlich die Sprache. In jeder seiner Entscheidungen dem Urteil der Franziskaner unterworfen zu sein, bedeutete eine schlimmere Demütigung als eine Amtsenthebung. Nun gab es keinen Zweifel mehr: Der Erzbischof hatte ihm den Krieg erklärt.
»Wenn dies Euer Entschluss ist, respektiere ich ihn und nehme ihn widerspruchslos an«, sagte er, sichtlich bemüht, ruhig zu bleiben. »Sollte es dennoch etwas geben, was ich tun kann, um Euer Vertrauen zurückzugewinnen, so sagt es mir bitte.«
Der Erzbischof seufzte. »Das wird sich zeigen. Es hängt viel davon ab, was uns der Gefangene während des Verhörs gleich sagen wird. Sollte es sich herausstellen, dass er eindeutig der Morde schuldig ist, die ihm zur Last gelegt werden, und sollte man auch sehen, dass er nicht allein dafür verantwortlich ist, sondern noch andere Mitglieder seines Ordens, wie Ihr anzunehmen scheint, wird der Prozess zu einem schnellen Ende kommen und niemand sein Amt aufgeben müssen.«
»Ich danke Euch, Monsignore, und vertraue darauf, dass alles so verlaufen wird, wie Ihr es gerade geschildert habt.«
Rinaldo machte eine Handbewegung, als wollte er sagen, es sei noch zu früh für Dankesbezeugungen, dann sah er aus dem Fenster und meinte schließlich: »Ich glaube, jetzt ist der Moment gekommen, um unsere Arbeit im Konvent zu unterbrechen und uns zum Palazzo des Podestà zu begeben.«
Auf diesen Moment hatte Uberto gewartet. Er hatte überlegt, ob er versuchen sollte, den Kirchenfürsten von seiner Meinung abzubringen, und war eigentlich sicher, dass Rinaldo nach einem eher formellen Protest nachgeben würde. Aber nun war seine Wut zu groß. Soll er doch die Folgen seiner Sturheit zu spüren bekommen, dachte er.
»Natürlich, Monsignore. Ich werde sofort Anweisung geben, dass man uns eine kleine Eskorte zusammenstellt.«
»Keine Eskorte und kein Pomp«, erwiderte Rinaldo. »Damit erregen wir nur weiter den Unwillen des Volks. Nur wir beide werden gehen, begleitet von zwei Mönchen mit Weihrauchfass und Schiffchen und einem Kruzifixträger.«
Uberto nickte, als sei dieser dumme Vorschlag ein vernünftiger Gedanke. »Wie Ihr wünscht«, sagte er nur und verließ sein Studierzimmer.
Während er die Treppe hinunterging, ahnte er bereits, welche Mönche sie begleiten würden. Einer von ihnen war höchstwahrscheinlich der Spion, der dem Erzbischof alles hinterbracht hatte. Im Laufe des vergangenen Tages hatte er ihn zweimal im Gespräch mit Rinaldo überrascht. Er würde ihm anordnen, das Kreuz zu tragen. Es war nur gerecht, dass er die Gefahren einer Lage teilte, die auch durch sein Zutun entstanden war. Die anderen waren zwei junge kräftige Männer, die sie im Notfall verteidigen konnten.
Vor der geschlossenen Tür des Priors blieb Uberto stehen. Er hatte bereits die Hand gehoben, um anzuklopfen, als ihn plötzlich ein Gedanke durchzuckte. In einem so entscheidenden Augenblick seines Lebens musste er beten, bevor er irgendetwas tat. Er ging eilig davon und begab sich in die kleine Kapelle, die man in der Zelle eingerichtet hatte, in der der heilige Dominikus sein Leben ausgehaucht hatte.
Kaum war er über die Schwelle getreten, fiel er auf die Knie, rief den Heiligen an und bat ihn, sich für ihn bei Gott zu verwenden. Uberto wusste, dass seine Laufbahn nun zu Ende war. Sollten sie den Gefangenen nicht verhören können, würde ihn der Erzbischof der Demütigung unterziehen, dass er sich zwei Franziskanern gegenüber verantworten musste, was beinahe schlimmer war als eine Amtsenthebung. Sollten sie dagegen heil und unversehrt im Palazzo des Podestà ankommen, würde Rinaldo erfahren, dass man den Templer in Ubertos Anwesenheit unter Folter befragt hatte, und ihn a divinis von seinem Amt suspendieren.
Jetzt konnte ihn nur noch ein Wunder retten.
Uberto befragte sein Gewissen und kam zu dem Schluss, dass er seine Pflicht getan hatte, um die Ketzerei auszurotten. Nun lag die Verantwortung nicht mehr in seinen Händen. Wenn es Gottes Wille war, dass er weiterhin den Glauben verteidigte, sollte er ihm ein Zeichen schicken, indem er die Hindernisse aus dem Weg räumte.
Genau in diesem Augenblick entstand in seinem Kopf ein Bild, wie der Erzbischof von der aufgebrachten Menge getötet wurde.
Uberto legte entsetzt die Hände vor die Augen. Konnte es wirklich sein, dass der heilige Dominikus, der gesegnete Prediger und Gründer seines Ordens, ihm eine so abscheuliche Tat nahe legte? Ohne sich selbst gegenüber einzugestehen, dass er den Mord an einem Diener der Kirche als Möglichkeit ins Auge fasste, machte er sich daran, die möglichen Folgen unbefangen wie in einem Gedankenspiel durchzugehen. Sollte Rinaldo da Concorezzo verschwinden, würde die Kirche davon profitieren, und er selbst würde auf seinem Weg nach oben nicht länger aufgehalten werden. Im Gegenteil: Er würde schlagartig aufsteigen. Wenn der Erzbischof nicht mehr war, konnte es sehr gut sein, dass Papst Clemens V. ihm die Leitung des Prozesses übertrug. Und selbst wenn man in aller Eile einen neuen Erzbischof ernannte, würde er, Uberto, der eigentliche Leiter dieses Prozesses bleiben, weil er ihn bereits seit seinen Anfängen verfolgt hatte und ihn besser als jeder andere kannte.
Immer noch als abstrakte Überlegung erwägte der Inquisitor, wie ein gedungener Mörder den Anschlag verüben könnte, und seine Miene verfinsterte sich. Im Prinzip konnte er bei einem solchen Auftrag nur auf Guido Arlotti zählen, aber eines war sicher: Der ehemalige Mönch würde sich niemals dazu bereit erklären, einen Erzbischof der heiligen Mutter Kirche zu ermorden, sollte es ihm nicht der Papst persönlich befehlen.
Die einzige andere Möglichkeit bestand darin, dass er selbst den Willen des Heiligen vollstreckte. Doch auch dies würde sich als problematisch gestalten: Der Erzbischof musste gleich verschwinden, das stand außer Frage, und selbst wenn er es gewollt hätte, hätte Uberto ihn sicher nicht in seinem Studierzimmer oder draußen vor aller Augen erdolchen können.
Stumm beichtete er dem heiligen Dominikus, dass er seine Botschaft nicht zu deuten wusste, bekreuzigte sich und öffnete die Augen.
Und plötzlich sah er alles klar vor sich.
Das, was einst das Bett des Heiligen gewesen war, der genaue Ort, an dem er seine Seele ausgehaucht hatte, wurde von einem Sonnenstrahl beleuchtet, der durch die angelehnten Fensterläden hereindrang. Das übrige Zimmer lag im Schatten, aber dieses armselige Strohlager auf einigen rohen Holzbrettern glänzte wie ein Königsthron. Uberto begriff, dass er die Sünde des Hochmuts begangen hatte, und bat den Heiligen mit Tränen der Rührung in den Augen hastig um Verzeihung.
Er hatte geglaubt, er selbst müsse die Botschaft deuten, er selbst müsse handeln. In seinem Hochmut hatte er, wenn auch nur in Gedanken, die Möglichkeit erwogen, einen Mord zu begehen und seine Seele zu ewiger Verdammnis zu verurteilen. Stattdessen war das Bild des Erzbischofs, der von der aufgebrachten Menge getötet wurde, nur eine Weissagung, die der heilige Dominikus ihm gesandt hatte, um ihn zu beruhigen. Gott und seine Heiligen waren selbst in der Lage, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen; sie brauchten ihn gar nicht. Wie hatte er nur glauben können, dass er für sie handeln müsse? Uberto nahm sich vor, dass er sich eine harte Strafe auferlegen und sowohl Körper als auch Geist demütigen würde, um für diese Sünde des Hochmuts zu büßen. Und gleich darauf dankte er Gott und allen Heiligen für die gewährte Gnade: die Gelegenheit, im Schoß der Kirche aufzusteigen, damit er die Ketzerei in Zukunft noch wirksamer bekämpfen konnte.
Wie als Antwort auf seine Überlegungen verlosch der leuchtende Sonnenstrahl allmählich, und das Zimmer lag wieder im Halbdunkel. Uberto erhob sich mit leichtem Herzen und verließ gestärkt die Kapelle. Er ging in das Amtszimmer des Priors und bat um die Erlaubnis, drei Mönche und das Kreuz mitnehmen zu dürfen. Als der große Mann protestierte, erklärte er, es handle sich um einen ausdrücklichen Wunsch des Erzbischofs. Sobald er die Genehmigung erhalten hatte, benachrichtigte er die ausgewählten Mönche und ließ ihnen ausrichten, dass sie sich bereit halten sollten. Dann stieg er die Stufen hinauf und kehrte in sein Studierzimmer zurück. Er war sicher, dass Rinaldo Concorezzos Stunden gezählt waren. Gelenkt von göttlicher Hand würde ihn noch an diesem Morgen ein Stein oder ein Stockhieb töten.
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