»Aber dies ist ein Zivilprozess!«, protestierte er. »Der Einsatz von Folter ist gegen das Gesetz.«
»Der Brand des Hauses aus der Kirchengemeinde von Sant’Antonino ist Eure geringste Sorge, glaubt mir«, sagte der Podestà und strich sich über den Bart. »Der Inquisitor Uberto da Rimini, der über Eure Verhaftung unterrichtet wurde, verlangt, dass Ihr ins Dominikanerkloster überführt werdet, aber die Gründe für diese Anfrage sind äußerst mysteriös. Bevor wir ihr entsprechen, wollen wir wissen, wessen Euch die Inquisition genau beschuldigt. Ihr könnt es uns freiwillig sagen oder unter der Folter. Das bleibt Eure Entscheidung.«
Gerardo schwieg. Sein Verstand arbeitete fieberhaft, aber sosehr er sich auch bemühte, er konnte sich nicht entscheiden, was er darauf antworten sollte. Mondino hatte ihm bereits erklärt, wessen ihn der Inquisitor beschuldigen wollte: des Mordes an Wilhelm von Trier und an Angelo da Piczano, mit der Hilfe von schwarzer Magie und eines Teufelspaktes. Aber das sollte er lieber nicht sagen, selbst wenn er unschuldig war, denn diese Anklage wog deutlich schwerer als die wegen Brandstiftung. Außerdem würde er mit jedem derartigen Geständnis Mondino mit hineinziehen, und das wollte er unter allen Umständen vermeiden: Abgesehen von den moralischen Erwägungen war der Arzt nun seine einzige Hoffnung auf Rettung. Nur wenn Mondino den wahren Mörder fand, würde Gerardo entlastet werden. Denn eines war sicher: Allzu lange würde Gerardo den Podestà oder den Capitano del Popolo kaum von seiner Unschuld überzeugen können.
Zunächst musste er auf Zeit spielen und weiter alles abstreiten.
»Ich habe nichts zu sagen«, erklärte er mit fester Stimme und sah erst dem Podestà und dann dem Capitano del Popolo in die Augen, »außer, dass ich mich des Verbrechens für unschuldig erkläre, dessen Ihr mich anklagt.«
Die beiden schauten sich an. Pantaleone Buzacarini kratzte mit dem Finger an einem kleinen weißen Fleck auf einem der schwarzen Streifen seiner Beinlinge.
»Wie Ihr bemerkt haben werdet, Messere«, erwiderte der Capitano dann und sah ihm direkt ins Gesicht, »haben wir Euch hierherbringen lassen, ohne dass ein Richter oder Henker zugegen ist. Wir hofften, die Angelegenheit im Guten lösen zu können. Ihr sagt uns, was wir wissen wollen, und wir bieten Euch die Sicherheit auf einen gerechten Prozess und eine eher milde Strafe. Ich frage Euch jetzt zum letzten Mal: Warum ist der Inquisitor so an Euch interessiert?«
Gerardo begann zu verstehen. Die Stadtregierung von Bologna, die zwar zum Teil welfisch und damit dem Papsttum wohlgesinnt war, konnte es nur schwer ertragen, dass die Inquisition sich in die Rechtssprechung einmischte. Der Mord an dem deutschen Tempelritter unterlag zunächst dem üblichen Strafrecht und fiel damit in den Zuständigkeitsbereich des Podestà. Der Capitano del Popolo hatte Mondino die Erlaubnis erteilt, die Leiche des Deutschen zu untersuchen, weil er sich darüber geärgert hatte, dass die Inquisition sich anmaßte, in diesem Mord zu ermitteln.
Man hatte ihn hierhergebracht, um ihm mit dem Anblick der Folterinstrumente Angst einzujagen, und jetzt wollten sie ihn mit der Aussicht auf eine milde Strafe ködern, weil sie ahnten, dass hinter seiner Anklage mehr als eine einfache Brandstiftung steckte, sonst wäre das Interesse des Inquisitors an ihm nicht so groß. Sie wollten unter allen Umständen in Erfahrung bringen, was die Inquisition ihm vorwarf, damit sie geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen konnten und verhindern, dass man ihnen vielleicht vorwarf, sie wären ihren Amtspflichten nicht nachgekommen.
Allerdings konnte Gerardo sich nicht auf ein schlichtes mündliches Versprechen verlassen, das die beiden Edelleute ohne weiteres leugnen konnten, sobald sie das Gewünschte erfahren hatten. Zu viel stand auf dem Spiel. Es ging nicht nur um sein eigenes Wohl, sondern um das Überleben eines der ruhmreichsten kirchlichen Orden. Würde er dem Handel des Capitano del Popolo zustimmen, gäbe es keine Rechtfertigung mehr für alles, was er bisher getan hatte. Die Brandstiftung, das Verbergen der Leiche von Angelo da Piczano, der Tod des armen verkrüppelten Jungen, die Lügen, die Flucht … Vor allem aber würde Gerardo sich selbst nicht mehr in die Augen sehen können, denn er könnte sich dann nur noch als gemeiner Verbrecher ohne ein höheres Ziel sehen.
»Ich habe nichts zu sagen«, wiederholte er.
Pantaleone Buzacarini machte einen Schritt nach vorn und versetzte ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Gerardo, der schon durch die Prügel vor seiner Verhaftung und von dem Aufenthalt in der Zelle geschwächt war, schlug die Hände vors Gesicht und sank wie ein nasser Sack zu Boden. Er spürte, wie warmes Blut aus seiner Nase durch seine Finger rann und sein ohnehin schon schmutziges Gewand befleckte.
»Habt Ihr denn immer noch nicht begriffen, dass Euch gar keine Wahl bleibt?«, fuhr ihn Pantaleone wütend an. »Gleich werdet Ihr es aber gewisslich verstehen. Ich werde den Henker und den Notar holen lassen. Dann werdet Ihr uns schon sagen, was wir wissen wollen, das garantiere ich Euch.«
Er wandte sich zum Gehen, doch der Podestà hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. Einen Moment lang bewegte sich niemand und in dem unterirdischen Raum herrschte Stille, so dass, wenn auch nur gedämpft, die Alltagsgeräusche aus den Stockwerken über ihnen zu hören waren. Rufe, Türenschlagen, Riegel, die auf- oder zugeschoben wurden.
»Wir können es uns nicht erlauben, den Inquisitor offen herauszufordern«, sagte Enrico Bernadazzi und lächelte verschlagen. »Aber mir ist eben eingefallen, wie wir erfahren können, was wir wissen wollen, ohne mit der Kirche in Konflikt zu geraten. Lasst den Gefangenen wieder in seine Zelle bringen.«
Der Capitano del Popolo öffnete eine Tür, und kurz darauf betraten die beiden riesigen Wachen den Raum. Gerardo wurde wieder fortgeschleift und erfuhr so nicht mehr, was dem Podestà eingefallen war. Aber es machte kaum einen Unterschied, ob er von einem weltlichen oder einem kirchlichen Henker gefoltert würde.
Gleich nach dem Mittagessen gesellte sich Uberto da Rimini zum Prior vor die Basilika und gab sich leutselig, während er mit ihm die Arbeiten am neuen Glockenturm beobachtete, die in diesen Tagen nach über einem Monat Stillstand aufgrund finanzieller Probleme wieder aufgenommen wurden. Damit schienen alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, und der Prior war davon überzeugt, dass der Campanile in einigen Jahren, und zwar im Jahre des Herrn 1313, geweiht werden könnte.
Zwischen den Gesteinsblöcken auf der Baustelle wimmelte es nur so von in Sackleinen gekleideten Tagelöhnern und Hilfsarbeitern, unter denen die Maurermeister in ihren bequemen, aber eleganten Gewändern und die schwarz-weißen Kutten einiger Dominikaner hervorstachen.
»Er wird wunderschön«, sagte der Prior mit einem kindlichen Lächeln. Der Mann war groß und kräftig - er überragte Uberto um einen ganzen Kopf -, aber ausgesprochen einfältig. Sein einziges Lebensziel, so schien es, war, dass er einmal in den Kirchenbüchern als Erbauer des neuen Campanile genannt würde. »Genau dies hat unserer Kirche zu ihrer Vollendung noch gefehlt.«, sagte er begeistert.
»Ich stimme Euch zu«, erwiderte Uberto. Um nicht schmutzig zu werden, hatten sie sich in sicherer Entfernung von der Baustelle an eine niedrige Mauer gestellt, die den mit Flusskieseln gepflasterten Kirchplatz vom Friedhof hinter der Basilika trennte. »Ich bin davon überzeugt, dass der Erzbischof bei seiner Ankunft beeindruckt sein wird.«
Der Prior errötete sofort. »Wie habt Ihr davon erfahren?«, fragte er schuldbewusst, ohne den Versuch zu machen, es zu leugnen.
Uberto hatte Teile eines Gesprächs zwischen dem Verwalter und dem Küchenbruder belauscht, die sich über einige zusätzliche Gäste beim Abendbrot unterhalten hatten. Doch er verlor keine Zeit mit Erklärungen und beantwortete die Frage mit einer Gegenfrage.
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