»Wenn mir diese Gefahr droht, verdanke ich das nur Euch, weil Ihr sie habt gehen lassen«, sagte er trocken.
»Genau das wollte ich Euch gerade sagen«, erwiderte Adia gelassen. »Ich fühle mich in gewisser Weise für Eure Sicherheit verantwortlich, deshalb biete ich Euch an, mit mir gemeinsam zu gehen. Zu zweit und mit den Hunden wird uns nichts geschehen.«
»Aber ich muss in die entgegengesetzte Richtung.«
Sie seufzte ungeduldig. »Seid Ihr wirklich so begriffsstutzig oder tut Ihr das absichtlich, um mich zu ärgern? Es stimmt, Ihr macht einen Umweg, aber dafür bringt Ihr nicht Euer Leben in Gefahr. Von Corticella aus könnt Ihr ein Boot auf dem Navile-Kanal nehmen, um nach Bologna zurückzukehren. Insgesamt werdet Ihr höchstens eine Stunde verlieren. Habt Ihr es denn so eilig?«
»Nein, Euer Entschluss hat mich nur überrascht. Wenn ich an mein Heim, an meine Bücher denke … Kann man das alles wirklich so einfach zurücklassen?«, fragte Mondino eindringlich. »Ohne Trauer, ohne weiter daran zu denken?«
Adias Blick verlor sich. »Das war nicht das erste Mal, dass ich fliehen und alles zurücklassen musste. Obwohl ich zum christlichen Glauben konvertiert bin, bin ich überall, wohin ich gehe, nur geduldet«, fuhr sie mit einem verkrampften Lächeln fort. »Wenigstens sehe ich so immer wieder neue Orte, lerne die Welt kennen und begegne vielen Menschen, die wie ich nach der Wahrheit suchen.«
Mondino wollte sie eigentlich fragen, welche Wahrheit sie meinte, aber dies war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt dafür.
»Ich nehme Euer Angebot an, Madonna«, sagte er und gab sich einen Ruck. »Wenn Ihr erlaubt, werde ich Euch beim Packen helfen.«
Adias Lippen öffneten sich zu einem Lächeln. »Das ist das erste freundliche Wort, seit Ihr hierhergekommen seid.«
Gerardo hörte in der Ferne einen Riegel im Schloss und öffnete die Augen. In der Zelle war es jedoch stockfinster. Sein Gesicht war von den Fausthieben und Fußtritten stark angeschwollen, und bei jeder Bewegung spürte er starke Schmerzen.
Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Jetzt bemerkte er wieder den stechenden Kotgeruch, der von einer Schicht fauligem Stroh in der Ecke aufstieg. Er war ihm bereits aufgefallen, als er die Zelle betreten hatte. Gerardo hatte sich auf den nackten Boden gelegt, möglichst weit von diesem Haufen Unrat entfernt, und nach einer Weile hatte nicht einmal die Sorge um die eigene verzweifelte Lage ihn vom Schlafen abhalten können.
Bei dem Versuch aufzustehen stieß er sich den Kopf. Er hatte nicht bedacht, dass die Decke weniger als fünf Fuß hoch war und man dort nicht stehen konnte. Luft kam durch eine kleine Öffnung neben der Tür, die auch dazu diente, dem Gefangenen das Essen durchzureichen. Zumindest nahm Gerardo das an, denn seit seinem Eintreffen hatte man ihm weder Trank noch Speise gegeben.
Zunächst hatte man ihn zusammen mit vier oder fünf anderen Leuten in einer gewöhnlichen Zelle untergebracht. Später hatten ihn zwei riesige Häscher abgeholt und ohne weitere Erklärungen in diese winzige Kammer gesperrt, die früher wohl als Abstellraum gedient hatte und in eine Einzelzelle umgewandelt worden war, als man im Palazzo des Podestà die städtischen Gefängnisse eingerichtet hatte.
Von diesem Moment an blieb Gerardo allein und wartete im Dunkeln darauf, dass man ihn verhörte.
Die Tür öffnete sich, und auf der Schwelle erschienen zwei Wachen, die so groß waren, dass sie den kleinen Raum nicht gemeinsam betreten konnten. Einer von ihnen packte ihn bei den Handgelenken und zerrte ihn nach draußen. Die plötzliche Helligkeit blendete den Templer schmerzhaft, und Gerardo kniff die Augen fest zusammen. Die beiden packten ihn unter den Achseln, hoben ihn an und schleiften ihn mit solcher Brutalität mit sich, dass seine Füße kaum den Boden berührten. Sie kamen an einigen Gemeinschaftszellen vorbei, aus denen es intensiv nach Schweiß und Ausscheidungen stank, aus einer roch es sogar nach Verwesung. Gerardo fragte lieber nicht, wohin sie gingen. Er wusste, dass er statt einer Antwort nur Schläge erhalten hätte. Sie gingen eine kurze Holzstiege hinab und danach eine Steintreppe. Als der Gefangene merkte, dass das Licht schwächer wurde, wagte er es, wieder die Augen zu öffnen: Sie waren in einem unterirdischen Gelass angekommen, offensichtlich die Folterkammer.
Er war sehr überrascht, als er den Podestà höchstpersönlich vor sich sah und neben ihm den Capitano del Popolo. Gerardo kannte sich im Prozesswesen nicht sonderlich aus, aber selbst ihm war bewusst, dass daran etwas merkwürdig war. Die Verhaftung eines der Brandstiftung angeklagten Studenten war eigentlich nicht so wichtig, dass man dafür den Podestà persönlich bemühen musste.
Dennoch war Gerardo entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Obwohl er von den Schlägen noch halb betäubt gewesen war, hatte er sich in den vorangegangenen Stunden eine Verteidigungsstrategie ausgedacht, die zwar sehr simpel, andererseits aber auch schwer zu widerlegen war: Er würde alles leugnen.
Den Brand konnte er nicht abstreiten. Aber es gab andererseits auch keine Beweise dafür, dass er ihn gelegt hatte. Niemand hatte gesehen, wie er das Haus betreten hatte, niemand hatte seine Flucht über die Dächer beobachtet. Gegen ihn sprach einzig und allein der Umstand, dass er nach dem Brand verschwunden war und sich danach nicht mehr beim Hausherrn gemeldet hatte, um von ihm eine Erklärung zu verlangen, oder bei einem Richter, um eine Entschädigung einzufordern, da seine gesamte Habe den Flammen zum Opfer gefallen war. Warum hatte er sich so verhalten, würde man ihn fragen, wenn er doch unschuldig war?
Gerardo hatte vor zu behaupten, er sei an diesem Abend nicht zu Hause gewesen und hätte, nachdem er von dem Brand erfahren hatte, beschlossen, sich zu verstecken, aus Angst, man könnte ihn zu Unrecht beschuldigen.
Keine sonderlich gute Verteidigung, aber es war auch nicht leicht, ihm das Gegenteil zu beweisen. Er musste auf jeden Fall einer Verurteilung entgehen. Brandstiftung wurde als gegen die Stadt gerichtetes Verbrechen angesehen und streng bestraft. Erst vor wenigen Monaten hatte man einen Brandstifter geblendet, nachdem man ihm heißes Blei über die Schultern gegossen hatte.
Gerardos gesamter Plan beruhte auf der These, dass man ihn nicht foltern würde - doch der Ort, an dem er sich nun befand, sprach gegen diese Annahme.
Er schwieg, wie es sich für einen Gefangenen gehörte, doch insgeheim beobachtete er Enrico Bernadazzi aus Lucca, der dieses Halbjahr das Amt des Podestà bekleidete. Der bärtige Mann mit dem ovalen Gesicht starrte auf irgendeinen Punkt oberhalb seines Kopfes, als wäre er in tiefsinnige Gedanken versunken. Über dem knöchellangen, gelben Gewand aus feiner Wolle trug er einen blauen ärmellosen Überrock und eine Kopfbedeckung aus Stoff, die durch ihre graue Farbe entfernt an einen Helm erinnerte. Seine elegante Erscheinung passte eindeutig nicht zu diesem feuchten, schmutzigen Raum, der mit lauter furchterregenden Maschinen und Gegenständen angefüllt war.
Allmählich wurde das Schweigen immer belastender, aber Gerardo wartete geduldig mit gesenktem Haupt, bis ihn der Podestà mit seinem toskanischen Tonfall ansprach: »Seid Ihr Francesco Salimbene aus Imola, Student der Medizin?«
Gerardo versuchte, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Sie hatten also noch nicht herausgefunden, wie er wirklich hieß.
»Ja, Exzellenz.«
»Wisst Ihr, warum Ihr verhaftet worden seid?«
»Ja, Exzellenz. Für einen Brand, den ich gelegt haben soll, aber ich bin unschuldig.«
Der Capitano del Popolo Pantaleone Buzacarini wechselte einen schnellen Blick mit dem Podestà, dann übernahm er das Reden.
»Ihr seid nicht unschuldig. Ein Zeuge hat beobachtet, wie Ihr in der Brandnacht das Haus betreten habt, aber keiner hat Euch wieder herauskommen sehen.« Er seufzte, als wäre er es leid, immer wieder Verbrecher davon überzeugen zu müssen, dass ihre Lage ausweglos war. »Euer Schicksal ist besiegelt, Messere. Wir können leicht andere Zeugen finden, die Euch belasten, und darüber hinaus sind wir überzeugt, dass Ihr unter Folter schon gestehen werdet.« Der Mann hatte ein kantiges Gesicht und einen kräftigen Körper und war ungefähr so groß wie Gerardo. Sein dunkler Überrock, der die kurze, soldatisch anmutende Tunika und die Beinlinge mit den schwarz-roten Längsstreifen bedeckte, raschelte, als er mit einer ausholenden Geste auf die im Raum verteilten Folterinstrumente deutete. Das Seil zum Aufhängen - dies war die am meisten angewandte Folter; sie zählte zu den leichteren Martern, denn durch sie wurden nur die Glieder ausgerenkt. Aus dem Augenwinkel erkannte Gerardo auch das Rad und das Glutbecken für Eisen und Zangen, in dem zum Glück jedoch kein Feuer brannte. Der Gefangene erschauerte unwillkürlich, was dem aufmerksamen Auge des Capitano nicht entging.
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