»Wie gesagt, es war schlimmer als das. Sie war auf die Schienen gefesselt, wo genau, weiß ich nicht, und als der Sechsuhrzug heute morgen durchkam, konnte der Lokomotivführer nicht rechtzeitig bremsen. Sie wurde in drei Teile zerstückelt.«
»Wie hast du's erfahren?« Tucker blinzelte bei dem Gedanken an den grausigen Anblick.
»Unglücklicherweise hat Courtney es als erste gehört. Market hat sie gleich morgens geschickt, um für die Fahrer von den Farmen aufzumachen, die um fünf Uhr früh anrücken. Der Rettungsdienst ist vorbeigerast - Rick Shaw auch. Officer Cooper, im zweiten Dienstwagen, kam reingelaufen, Kaffee holen. So haben wir's erfahren. Courtney hat Market angerufen, und er ist sofort zum Laden gekommen. Da draußen lauft ein Wahnsinniger rum, der Leute umbringt.«
»Du meinst, so was wie ein Massenmörder?« Tucker war plötzlich sehr um Harrys Sicherheit besorgt.
Mrs. Murphy murmelte: »Ich mochte Maude gern.«
»Ich auch.« Tucker ließ den Kopf hängen. »Warum töten die Menschen sich gegenseitig?«
Pewter lachte ein rauhes Lachen. »Daß sich bloß keiner an Courtney und Market ranmacht. Dem kratz ich die Augen aus. «
Harry fiel auf, daß die drei Tiere miteinander beschäftigt waren.
»Wer immer es war, er hat 'ne Menge zu verbergen«, dachte Mrs. Murphy laut.
»Ja, er muß verbergen, daß er geistesgestört ist, und er wird wieder töten, bei Vollmond, wette ich«, sagte Pewter.
»Nein, das meine ich nicht.« Mrs. Murphys Augen verengten sich zu Schlitzen.
Tucker kannte Mrs. Murphy, seit sie ein sechs Wochen altes Hündchen gewesen war Sie wußte, wie Mrs. Murphy dachte. »Dieser Mensch ist hinter was her - oder hat was zu verdecken. Es muß nicht jemand sein, der Spaß am Töten hat.«
»Findet ihr es nicht sonderbar, daß er oder sie die Toten herumliegen läßt? Versucht ein Mörder nicht, die Leiche zu vergraben?« Pewter fand, daß dazu eigentlich die Geier da seien, aber Menschen waren eben anders.
»Das ist mir an Kellys Leiche aufgefallen.« Mrs. Murphy übersah eine Raupe, so stark konzentrierte sie sich. »Der Mörder zeigt die Leichen…« Ihre Stimme verlor sich, weil Market Shiflett aus seinem Laden trat und Harry zuwinkte.
»Harry, Harry!«
Harry vernahm die Angst in seiner Stimme und rannte zum Laden. »Was ist?«
»Es ist schrecklich, einfach schrecklich.«
Harry legte ihren Arm um ihn. »Fehlt dir was? Soll ich den Doktor holen?« Sie meinte Hayden McIntire.
Market wehrte kopfschüttelnd ab. »Mir fehlt nichts, Harry. Es ist wieder ein Mord geschehen - Maude Bly Modena.«
»Was?« Die Farbe wich aus Harrys Gesicht.
»Ich laß mein Mädchen nicht mehr aus dem Haus. Da draußen geht ein Monster um!«
»Wie ist das passiert, Market?« Erschüttert legte Harry ihre Hand ans Schaufenster, um sich zu stützen.
»Die Ärmste war auf die Bahngleise gefesselt, wie in einem Stummfilm. Der Mann hat sie gesehen - der Bremser vom Frühzug, nehm ich an -, aber zu spät, zu spät. Ach, die Ärmste.« Seine Unterlippe zitterte.
»Wer weiß sonst noch davon?« Harrys Gedanken bewegten sich mit Lichtgeschwindigkeit.
»Warum fragst du?« Market wunderte sich über die Frage.
»Ich bin nicht sicher, Market, ich. weibliche Intuition.«
»Weißt du etwas?« Er hob die Stimme.
»Nein, verdammt, ich weiß gar nichts, aber ich werde es herausfinden. Das muß aufhören!«
»Also. « - Market rieb sich das Kinn - »Courtney weiß es, Rick Shaw und Officer Cooper, und natürlich Clai und Diana vom Rettungsdienst. Die Leute im Zug wissen es, einschließlich der Fahrgäste. Der Zug hat gehalten. Eine Menge Leute wissen es.«
»Ja, ja.« Ihre Stimme verlor sich.
»Woran denkst du?« »Ich wünschte, daß es nicht schon so viele Leute wüßten. Sonst hätte man vielleicht noch auf einen Hinweis stoßen können.«
»Tja.« Drinnen klingelte das Telefon. »Ich muß ran. Laß uns zusammenhalten, Harry.«
»Worauf du dich verlassen kannst.«
Market öffnete die Tür, und Pewter flitzte hinein, wobei sie sich über die Schulter verabschiedete.
Unglücklich schloß Harry die Tür zum Postamt auf. Mrs. Murphy und Tucker blieben zurück.
»Kommt rein.«
Mrs. Murphy sah Tucker an. »Denkst du, was ich denke?«
Tucker erwiderte. »Ja, aber wir wissen nicht wo.«
»Verdammt!« Mrs. Murphy sträubte aufgebracht ihre Schwanzhaare und stolzierte ins Postamt.
Tucker folgte ihr, während Harry zum Telefon griff und zu wählen begann .
»Es könnte meilenweit von hier sein.«
»Ich weiß.« maulte Mrs. Murphy. »Und wir verlieren die Witterung - falls eine da ist.«
»Sie hat voriges Mal ein bißchen gehalten. An dem Tag war es genauso heiß wie heute.«
Mrs. Murphy lehnte sich an die Corgihündin. »Hoffentlich. Liebste Freundin, wir müssen alles daransetzen, um der Sache auf den Grund zu kommen. Harry ist klug, aber sie hat einen schlechten Riecher. Ihre Ohren sind auch nicht besonders. Menschen können sich nicht sehr schnell bewegen. Wir müssen rauskriegen, wer es ist, damit wir Harry beschützen können.«
»Lieber sterbe ich, bevor ich zulasse, daß jemand Harry was antut!« Tucker bellte laut.
»Susan, es ist wieder ein Mord geschehen.«
»Ich komme gleich rüber«, erwiderte Susan.
Harry schickte sich an, Fairs Nummer in der Praxis zu wählen, aber dann legte sie auf. Es war eine automatische Reaktion, ihn anzurufen.
»Rick Shaw ist gerade gekommen, er wollte zu Ned«, sagte Susan, als Harry die Vordertür aufschloß. Es war halb acht.
»Was will er von Ned?« »Er möchte, daß er eine Bürgerwacht organisiert Harry, es ist einfach unglaublich. Wir sind hier in Crozet, Virginia, meine Güte, nicht in New York.«
»Unglaublich oder nicht, es ist wahr. Hat Rick was von Maude gesagt?«
»Was meinst du?«
»Ich meine, hat sie noch gelebt, als sie überfahren wurde?« Harrys ganzer Körper zuckte bei dem Gedanken, und eine Woge der Übelkeit überflutete sie.
»Daran habe ich auch gedacht. Ich habe ihn gefragt. Er meinte, sie wüßten es nicht, aber sie nähmen es nicht an. Der Untersuchungsrichter könnte genau sagen, wann sie starb.«
»Wenn Rick das gesagt hat, bedeutet es, daß sie schon tot war. Ich meine, man müßte schön blöd sein, wenn man es nach einer bestimmten Zeitspanne nicht sagen könnte. Hat er sonst noch was gesagt?«
»Nur daß es draußen in der Nähe vom Greenwood-Tunnel passiert ist, hinten beim ersten Gleisabschnitt.«
Mehr zu sich selbst sagte Harry: »Was hat sie so weit da draußen gemacht?«
»Das weiß Gott allein.« Susan schniefte. »Was, wenn dieses - diese Kreatur auf unsere Kinder losgeht?«
»Soweit wird es nicht kommen, da bin ich ganz sicher.«
»Woher willst du das wissen?« Ein zorniger Tonfall schlich sich in Susans Stimme.
»Verzeih. Natürlich verstehe ich, daß du dir Sorgen um die Kinder machst, und du solltest sie abends im Haus behalten. Es ist nur, daß - ich weiß nicht. Ein Gefühl.«
»Da draußen läuft ein Wahnsinniger frei herum! Sag mir, was Kelly Craycroft und Maude Bly Modena gemeinsam hatten! Sag mir das!«
»Wenn wir das rauskriegen, erwischen wir vielleicht den Mörder.« Harrys Stimme nahm einen energischen Ton an. Sie war eine geborene Anführerin, obgleich sie es nie zugab und Gruppen sogar aus dem Weg ging.
Susan wußte, daß Harry einen Entschluß gefaßt hatte. »Du hast keine Erfahrung in solchen Sachen.«
»Du auch nicht. Hilfst du mir?« »Was muß ich tun?«
»Die Polizei stellt Routinefragen. Das ist gut so, weil sie eine Menge erfahren. Wir müssen andere Fragen stellen - nicht nur:
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