»Mir graut vor der Beerdigung.« Harry meinte es ernst.
»Harry, versuch's mit Ajax.«
»Was?«
Josiah zeigte auf ihre Hände, die vom Säubern der Stempel vor zwei Tagen immer noch verfärbt waren.
Harry hielt ihre Hände in die Höhe. Sie hatte es ganz vergessen. Gestern schien Jahre zurückzuliegen. »Oh.«
»Wenn Ajax nichts hilft, versuch's mit Schwefelsäure.«
»Dann hab ich überhaupt keine Hände mehr.«
»Ich zieh dich bloß auf.«
»Ich weiß, aber ich habe Sinn für Humor.«
»Verflixt, das kann man wohl sagen.«
Die Spätnachmittagssonne fiel schräg auf den indischen Flieder hinter dem Postamt. Mrs. Murphy blieb stehen, um die dunkellila Blüten zu bewundern, die im dunstigen Licht schimmerten. Harry verschloß die Tür, und Pewter steckte ihre Nase um die Ecke von Markets Laden. Man konnte Courtney hören, die sie von drinnen rief. »Wo geht ihr hin?« wollte die große Katze wissen.
»Zu Maude«, gab Tucker schnippisch zur Antwort.
Pewter, die darauf brannte, jemandem, und sei es einem Hund, anzuvertrauen, daß sie Bob Berryman aus Maudes Laden hatte schleichen sehen, schlug mit dem Schwanz. Mrs. Murphy war ein Luder. Warum ausgerechnet ihr die heißen - oder zumindest warmen - Neuigkeiten zukommen lassen? Sie beschloß, eine Andeutung fallenzulassen wie ein duftendes Katzenminzeblatt. »Maude sagt nicht alles, was sie weiß.«
Mrs. Murphys Kopf schnellte herum. »Was meinst du damit?«
»Ach… nichts.«
Pewters köstlicher Augenblick des Auf-die-Folter-Spannens wurde durch Courtney Shifletts Erscheinen abrupt beendet.
»Da bist du ja. Komm jetzt rein.« Sie nahm die Katze hoch und trug sie in den klimatisierten Laden.
Harry winkte Courtney zu und setzte ihren Weg zu Maude Bly Modenas Laden fort. Sie überlegte, ob sie durch die Hintertür gehen sollte, beschloß aber, den vorderen Eingang zu nehmen. Das gab ihr Gelegenheit zu sehen, ob etwas Neues im Schaufenster war. Hübsche Körbe, die von Blumen überquollen, lagen in der alten Förderlore. Im Fenster standen farbenprächtige Kartons, aus denen kleine Beutel mit Samen und Getreidekörnern herausragten. Maudes Philosophie war, daß Verpackungen nicht langweilig sein mußten, und alles was ein Geschenk umhüllte, war ihr Gebiet. Sie hielt auch einen ansehnlichen Vorrat an Glückwunschkarten auf Lager.
Als sie Harry durchs Fenster erblickte, winkte Maude sie herein. Auch Mrs. Murphy und Tucker trotteten in den Laden.
»Harry, was kann ich für dich tun?«
»Hm, ich wollte Lindsay einen Zeitungsausschnitt über Kellys Tod schicken und war schon dabei, ihn auszuschneiden, aber dann hab ich beschlossen, ihr gleich ein richtiges CARE-Paket zu schicken.«
»Wo ist sie?«
»Auf dem Weg nach Italien. Ich hab eine Adresse.«
Mrs. Murphy kuschelte sich in einen Korb mit knisterndem Papier. Tucker steckte ihre Nase in den Korb. Knistergeräusche entzückten die Katze, aber Tucker dachte: Einschöner Knochen ist mir allemal lieber. Sie stupste Mrs. Murphy an.
»Tucker, das ist mein Korb.«
»Ich weiß. Was glaubst du, hat Pewter gemeint?«
»Pah, sie wollte sich bloß wichtig machen. Sie wollte, daß ich um Neuigkeiten bettle. Und ich bin froh, daß ich 's nicht getan habe.«
Während die zwei Tiere die Feinheiten von Pewters Persönlichkeit besprachen, vertieften sich Harry und Maude in ein ernsthaftes Gespräch von Frau zu Frau über Scheidung, ein Thema, in dem Maude sich auskannte, da sie eine Scheidung durchgemacht hatte, bevor sie nach Crozet zog.
»… ist eine Achterbahn«, seufzte Maude.
»Es wäre viel leichter, wenn ich ihn nicht die ganze Zeit sehen müßte und wenn er ein bißchen Verantwortung übernähme für das, was passiert ist.«
»Erwarte nicht, daß die Krise ihn ändert, Harry. Du bist vielleicht dabei, dich zu verändern. Ich glaube, ich kann das beurteilen, auch wenn wir uns noch nicht seit einer Ewigkeit kennen. Aber deine Entwicklung ist nicht seine Entwicklung. Ich hab jedenfalls mit Männern die Erfahrung gemacht, daß sie alles tun, um eine gefühlsmäßige Entwicklung zu vermeiden, daß sie vermeiden, tief nach innen zu schauen. Worum sonst geht es bei Geliebten, Alkohol und Porsches?« Maude setzte ihre hellrot gerahmte Brille ab und lächelte.
»Also, ich weiß nicht. Das ist alles neu für mich.« Harry setzte sich. Sie war plötzlich müde.
»Scheidung ist ein Ablösungsprozeß, ganz besonders die Ablösung von seiner Fähigkeit, auf dich einzuwirken.«
»Er kann verdammt nachdrücklich auf mich einwirken, wenn er den Scheck nicht schickt.«
Maude verdrehte die Augen. »Dieses Spielchen spielt er mit dir? Vermutlich versucht er, dich mürbe zu machen oder dir Angst einzujagen, damit du dich am Tag des Jüngsten Gerichts mit weniger zufriedengibst. Mein Ex-Mann hat das auch probiert. Ich vermute, das machen sie alle, oder ihre Anwälte überreden sie dazu, und wenn sie dann mal einen Augenblick Zeit haben, darüber nachzudenken, was das für eine Gemeinheit ist - falls sie überhaupt nachdenken -, dann ringen sie die Hände und sagen: >Das war nicht meine Idee. Mein Anwalt hat das veranlaßt.< Nur die Ruhe bewahren, Kindchen.«
»Ja.« Das wollte Harry unbedingt.
»Nicht um das Thema zu wechseln, aber joggst du immer noch an den Bahngleisen entlang? In dieser Hitze?«
»Klar. Ich versuch's bei Sonnenaufgang. Sonst ist es wirklich viel zu heiß. Heute morgen hab ich Big Jim überholt.«
»Beim Joggen?«
»Nein, ich hab ihn überholt, als ich in die Stadt zurücklief. Er war mit dem Sheriff unterwegs. So schrecklich Kellys Tod war, ich glaube wahrhaftig, daß er Jim eine Art Kitzel verschafft.«
»Ich bezweifle, daß in dieser Stadt viel Aufregendes passiert ist, seit Crozet die Tunnels gegraben hat.«
»Was?« Maudes Augen leuchteten auf.
»Seit Claudius Crozet den letzten Tunnel durch die Blue Ridge Mountains fertiggestellt hat. Die Stadt wurde deswegen tatsächlich nach ihm benannt. Seit Crozet die Tunnels gegraben hat - das ist eine feste Redewendung. Du mußt wissen, daß diejenigen von uns, die hier zur Schule gegangen sind, alles über Claudius Crozet gelernt haben.«
»Oh. Und außerdem alles über Jefferson, Madison und Monroe, nehme ich an. Virginias Glanz liegt anscheinend in der Vergangenheit, mehr als in der Gegenwart.«
»Vermutlich. So, ich nehme diese große Jiffytasche und ein bißchen buntes Papier und zieh Leine, sofern es mir gelingt, Mrs. Murphy aus deinem besten Korb zu locken.«
»Ich würde gern noch ein bißchen plaudern. Wie war's mit Tee?«
»Nein danke.«
»Little Marilyn war heute hier, total flatterig. Sie brauchte kleine Körbchen für die Jacht-Party ihrer Mutter.« Maude brach in Lachen aus, Harry desgleichen.
Big Marilyns Jacht war ein Pontonboot, das auf dem ansehnlichen See hinter der Villa der Sanburnes schwamm. Sie liebte es, auf dem See zu kreuzen, und besonders gern ärgerte sie ihre Nachbarn am anderen Ufer. Zwischen ihrem Pontonboot und ihrem Bridgeabend mit ihren Freundinnen behielt Mim sozusagen emotionales Oberwasser.
Sie war auch völlig ausgeflippt, als sie das Haus zum zigsten Mal umgekrempelt und die Bar neu gestaltet hatte, so daß sie einem Schiff glich. Hinter der Bar befanden sich kleine Bullaugen; Rettungsgürtel und bunte Wimpel zierten die Wände, außerdem Seekarten, Schwimmwesten und sehr große Salzwasserfische. Mim hatte nie auch nur einen Katzenwels, geschweige denn einen Seglerfisch gefangen, aber sie hatte ihre Dekorateure beauftragt, ihr imposante Fische zu besorgen. Was diese auch taten. Als Mrs. Murphy der ausgestopften Trophäen zum erstenmal ansichtig wurde, geriet sie in Verzückung. Die Vorstellung von einem so großen Fisch war zu schön, um wahr zu sein.
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