»Das steht fest.« Cooper rieb sich die bloßen Arme, als diesseits der Berge ein Blitz zuckte. »Sieht ganz so aus, als hätte sich das Gewitter endlich über das Blue-Ridge- Gebirge gewälzt.«
In Sekundenschnelle tobte der Wind mit gut sechzig Stundenkilometern durch Crozet, hob Partyzelte in den Himmel, zerfetzte gestreifte Markisen, ließ Big Mims Gäste sich schaudernd an die Kamine zurückziehen, da die Temperatur rapide sank.
Schwarze Wolken, schwärzer als die Nacht, jagten über den Baumwipfeln dahin; weiße, rosafarbene und sogar bläuliche Blitze durchzuckten die wirbelnden Wolken, um unten einzuschlagen. Ein heller Strahl traf das Blechdach von Mims Geräteschuppen; die den Blitz sahen, wurden vorübergehend geblendet. Zum Glück fing der Schuppen nicht Feuer.
Die Quote an Autounfällen beim Hartriegelfest sank unter den Durchschnitt, weil die meisten Leute so vernünftig waren, die Straßen zu verlassen. Die wenigen, die blieben, knallten an Leitplanken. Die Leute des Sheriffs und die Abschleppdienste arbeiteten so schnell sie konnten.
So sehr Cynthia Cooper sich auf diesen Abend gefreut hatte, ihr Pflichtbewusstsein und das Wissen, dass Rick Shaw überlastet war, verlangten, dass sie sich von ihren Gastgebern verabschiedete, in ihren Jeep sprang und ins Sheriffbüro fuhr. Sie zog ihre Uniform an, schnappte sich den einzigen verbliebenen Streifenwagen und fuhr in den peitschenden Regen hinein.
»Coop an Sheriff Shaw.«
»Hey«, meldete sich die vertraute, müde Stimme.
»Ich fahre raus nach Boonesville. Unfall an der Kreuzung.« »Wieso sind Sie im Dienst?«
»Alle Mann an Deck an einem Abend wie heute. Yancys Streifenwagen war einsam. Wo ist Yancy?«
»Im Krankenhaus. Mit gebrochenem Kiefer.«
»Was?«
»Er hat 'nen Raser angehalten, Dschinn Marks, der im Zickzack fuhr. Der Kerl ist ausgestiegen, Yancy hat ihm die Taschenlampe ins Gesicht gehalten, und der Kerl hat voll mit 'nem Hammer zugeschlagen. Hatte ihn hinter dem Rücken, es war pechschwarze Nacht, und Yancy hat's nicht kommen sehen.«
»Verdammt.«
»Scheußliche Nacht. Aber Yancy fehlt weiter nichts. Wenn sie ihm den Kiefer mit Draht verschließen, muss er zwangsläufig abnehmen.«
»Allerdings.« Sie lächelte. »Hat er den Schuft eingebuchtet?«
»O ja. Sitzt mit dem kleinen Arschloch Partlow in derselben Zelle. Hey, ich weiß nicht, wann wir heute Nacht fertig werden, aber wenn's so weit ist, spendier ich Ihnen Kaffee und 'nen Doughnut.«
»Das beste Angebot, das mir in der ganzen Woche untergekommen ist.«
»Ende«, kam es von ihm.
Während Cooper nach Boonesville fuhr, einer kleinen Gemeinde nördlich von Charlottesville, tanzten Harry und Diego um Mitternacht den letzten Tanz. Big Mim bat alle zum Kaffee in die Bibliothek. Ihre Adleraugen registrierten genau, ob jemand nicht mehr fahrtüchtig war. Ihr Mann verfrachtete diese wenigen schleunigst in die Zimmer über den Stallungen. Jims große, massige Gestalt war eine Garantie für wenig Widerstand.
Droben grollte der Donner, die Blitze ließen die Felder in unheimlichen Farben leuchten. Die Pferde hatten sich wohlweislich in ihre Ställe zurückgezogen. Auch die Kühe verzogen sich dorthin, standen geduldig bei den Pferden, die sich dem Rindvieh überlegen fühlten.
Zu Hause in Harrys Schlafzimmer hielt Tucker sich die Augen zu. Pewter gab sich den Anschein, das Gewitter mache ihr nichts aus.
Mrs. Murphy, die sich auf dem Bett zusammengerollt hatte, sagte: »»Richtig schlimm ist das. Mich wundert's, dass es nicht hagelt.«
Die Worte waren kaum heraus, als auf dem Dach ein gewaltiges Prasseln niederging. Hagelkörner so groß wie Golfbälle fielen herab, prallten von allem ab, was sie trafen.
»Wow!« Pewter raste zum Fenster.
»Es war eine finstere und stürmische Nacht«, skandierte Mrs. Murphy mit Geisterstimme.
»»Das ist gar nicht komisch.« Tucker schauderte.
»»Waschlappen.« Pewter warf den Kopf zurück.
»»Hack nicht auf ihr rum. Ihr ist so was echt zuwider, und dies ist ein widerwärtiges Gewitter. Die Pferde sind bestimmt froh, dass Mom die Außentüren von ihren Boxen aufgemacht hat. Sie hat einen siebten Sinn, wenn's ums Wetter geht.«
»Sie guckt den Wetterbericht.« Pewter, die sich nie von Menschen beeindrucken ließ, fuhr zusammen, als ein dickes Hagelkorn gegen das Fenster schlug.
»Das kam nicht im Wetterbericht. Ich hab ihn mit ihr geguckt. Das hier ist so ein wildes Gewitter, das aus dem Nichts kommt. «
Mrs. Murphy wusste, wie schnell sich das Wetter in den Bergen ändern konnte. »Die Menschen haben Glück, dass ihr Getreide noch nicht hoch genug steht, um platt gedrückt zu werden, aber die Hartriegelblüten wird's wohl von den Bäumen reißen.«
Das Geräusch von Harrys Transporter, der die Zufahrt hochkam, ließ sie alle an die Hintertür sausen. Sie schwebte zur Tür herein, als sei das Wetter ihr schnuppe. »Hallo, Babys.«
»Ich bin froh, dass du zu Hause bist«, gestand Pewter.
Tucker, heilfroh, weil Harry zu Hause war, heftete sich ihrem Menschen an die Fersen. »»Ich hasse dieses Wetter.« Auch Pewter beschloss, Harry zu folgen.
Mrs. Murphy hüpfte vor ihnen her; der Hagel hörte sich an wie Artilleriefeuer. »»Seien wir froh, dass wir heute Nacht drinnen sind, heil und gesund. «
Dasselbe empfand Cynthia Cooper, als sie endlich wieder in ihrer Dienststelle war. Es war halb fünf Uhr morgens, ihre Augen brannten, ihr Mund war trocken. Es hatte einen Blechschaden nach dem anderen gegeben.
Sie stieß die schwere Schwingtür auf. Der Duft von frischem Kaffee wehte ihr entgegen.
Rick lächelte. »Hier sind Doughnuts. Von Krispy Kreme.«
»Ich hab 'nen Bärenhunger.« Sie schenkte Kaffee ein, schnappte sich einen glasierten Doughnut und sank auf ihren Schreibtischstuhl. »Wo sind die andern?«
»Draußen. Ich hab bei Krispy Kreme angerufen und denen gesagt, sie sollen allen Doughnuts und Kaffee geben. Ich würde die Rechnung übernehmen. Gott sei Dank läuft's jetzt ein bisschen ruhiger. Die nächste Schicht fängt um sechs an. Hey, wollen Sie 'nen Doughnut mit Gelee?« »Nein. Mir können Sie nichts weismachen. Die haben Sie für sich gekauft.«
»Äh - ja. Ich hab sogar 'ne Stange Zigaretten gekauft, die ich in Ihrem Schreibtisch verwahren werde.«
»Warum?«
»Wenn meine Frau reinkommt, wird sie in meinem Schreibtisch nachgucken.«
»Aus kleinen Lügen werden große.« Coop verdrehte die Augen.
»Es ist mein einziges Laster. Ich hab versucht es aufzugeben und am Ende beschlossen, was soll's. Ich kann's genauso gut genießen.«
»Ja.« Sie nahm sich noch einen glasierten Doughnut. »Das Problem bei mir ist, ich genieße die ersten zwei Züge, danach schmeckt es mir nicht mehr, 'n Haufen Geld verschwendet für zwei Züge. Ich hab Hunger. Ich denke, ich werde Miranda anrufen und sie bitten, morgen ihre Zimtteilchen mit Orangenglasur zu backen.«
»Jetzt ist morgen.«
»Oh - dann eben übermorgen.« Sie leckte sich die Finger ab. »Mim hat wieder ein tolles Fest gegeben. Sie hatte befürchtet, es würde trübselig werden wegen Roger O'Bannons Tod, war's aber nicht. War ja eigentlich nicht Rogers Bekanntenkreis.«
»Wahrscheinlich nicht. Was ist passiert?«
»Er ist auf seinem Stuhl umgekippt. Im Großen und Ganzen so, wie Sie es über Funk gehört haben.« Sie sprach von den Funkgeräten in den Streifenwagen. »Das gibt einem zu denken. Ich meine, von wegen rauchen und Doughnuts essen und fettige Hamburger.«
»Coop, wenn man dran ist, ist man dran.« Rick verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich auf seinem großen Sessel zurück. »Und Sean will einer Autopsie nicht zustimmen?«
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