»Was geschieht, wenn man den Waschbär findet?« Diego wollte diese einzigartige Südstaatengepflogenheit gerne mal erleben.
»Der Waschbär klettert auf einen Baum, sitzt da und guckt einen an. Man kann ihn runterschießen oder leben lassen. Ich lasse den Waschbär in Ruhe, dann habe ich auch ein andermal das Vergnügen seiner Bekanntschaft.« Jim verschränkte die Arme, dann fügte er hinzu: »Es ist nicht sportlich, ein Weibchen zu töten, zumal im Frühjahr. Sie könnte Junge haben.«
»Ah, ja.« Diego lächelte.
»Muss man bezahlen, um teilzunehmen?« Thomas wollte mitkommen.
»Durchaus nicht, mein Lieber, durchaus nicht. Ich sag Ihnen was, ich rufe Jack gleich an und frage ihn, ob Sie beide morgen mitkommen können. Wie steht's mit euch, Harry, Fair?«
Sie nickten.
»Sie finden es bestimmt abstoßend«, erklärte Lottie.
»Ich komme auch mit.« Trotz ihrer perfekten Fingernägel, Kleidung und allem Drum und Dran war BoomBoom schließlich ein Kind vom Lande.
»In Ordnung. Jack sollte heute Abend eigentlich mit seiner Frau Joyce hier sein, aber als ich ihm sagte, er müsse im Gesellschaftsanzug erscheinen, hat er sich entschuldigt. Er sagte, wenn ich ihm die Pistole auf die Brust setzte, würde er einen Smoking anziehen - vielmehr sich von Joyce reinstecken lassen -, aber einen Frack zieht er nicht an.« Jim lachte laut und dröhnend. »Ich sag euch eins, jagen kann der Mann. Seine Frau auch. Und meine Herren, ich bringe eine Kleinigkeit mit, um die Nachtkälte zu vertreiben, eine Kleinigkeit, die wir in den Bergen besser machen, als sie irgendwo sonst gemacht wird.«
»Sprich lieber leise.« Fair blinzelte. »Cooper ist direkt hinter dir.«
Die Polizistin, die mit Tracy und Miranda sprach, drehte sich um, als ihr Name fiel. »Hab nichts gehört.«
»Schön. Ich fand schon immer, eine taube Frau wäre von Vorteil.« Jim blinzelte.
»Du meinst dumm, oder? Eine die nicht reden kann.«
BoomBoom blinzelte auch.
»Sollte ich das gemeint haben?«
»Sexistisches Schwein.« Harry pikte Jim mit dem Finger in den Bauch.
»Schrecklich. Nur zu, tut was ihr nicht lassen könnt. Schmeißt mich raus. Ach geht ja gar nicht, ich bin ja hier zu Hause.« Jim lachte schallend, dann schlurfte er zum Telefon.
»Wie kann er so was sagen?« Lottie war wütend.
»Er nimmt uns auf den Arm.« Harry richtete den Blick wieder auf Diego. »Alle Frauen in diesem Raum wissen, dass Jim Sanburne alles tun würde, um jemand zu helfen; sein Herz ist größer als er selbst.«
»Das ist keine Entschuldigung für Sexismus.« Lottie schürzte die Lippen. »Du nimmst die Männer in Schutz, Harry.« Das »Du« war mit Anzüglichkeit geladen.
»Sei nicht so 'ne trübe Tasse.« Don unterdrückte ein Kichern. »Sonst muss ich dich ausstopfen.«
Hierauf lachten alle bis auf Lottie.
Miranda und Tracy gesellten sich zu der Gruppe, gerade als Gretchen, die Majordomus, Butler und Hausmädchen in einer Person war, mit dem Glockenspiel durch die Menge schritt. Sie schlug immer dieselben drei Töne an, was hieß, dass es Zeit war, sich ins Speisezimmer zu begeben.
Nach dem Essen spielte das Orchester im Ballsaal, der mit rosafarbenem und weißem Hartriegel dekoriert war, und mit Schneeball, der sowohl Wohlgeruch als auch Schönheit beisteuerte. Lottie saß neben Don, der sie nicht zum Tanzen aufforderte. Am Ende zog sie ihn auf die Tanzfläche und zischte ihm zu: »Kalte Füße gekriegt?«
Mim und Jim Sanburne verfügten über die Mittel, ein Abendessen für sechzig Gäste auszurichten, sieben Gänge, zu jedem Gang ein anderer Wein, Champagner, Sorbets, und Torten zum Abschluss. Mim war in Reichtum aufgewachsen, und wenngleich sie nie etwas anderes gekannt hatte als Überfluss, hatte sie an Anfällen von emotionalem Ausgehungertsein gelitten. Als Reaktion darauf hatte sie Jim Sanburne geheiratet. Er war groß, stark, stattlich, arm. Über die Jahre erwies er sich als geil wie ein brünstiger Kater. Seine Zügellosigkeit hatte mit seinem Sexualtrieb so viel zu tun wie die Tatsache, dass eine reiche Frau zu haben nicht das ist, als was es gepriesen wird. Mit der Zeit hatten sie sich
zusammengerauft. Er hörte auf, den Weibern
nachzulaufen, und sie hörte auf, ihn herumzukommandieren.
»Nein, ich bin bloß kein guter Tänzer«, erwiderte Don.
Miranda hatte ihre Handtasche in dem Falcon gelassen. Weil sie ihren Lippenstift brauchte, stand sie von einem der Tischchen auf, die rings um die Tanzfläche aufgestellt waren.
»Schatz, hast du den Parkschein?«
Tracy griff in die Innentasche seines Cutaway. »Hab ich. Aber bleib du nur sitzen. Ich hole dir deine Tasche, Liebes.«
»Warum holen wir sie nicht zusammen?« Sie zwinkerte ihm zu.
Das ältere Paar schlenderte durch die Räume zur Vorderfront des Hauses, wo sie dem Parkwächter den Schein gaben. Auf einem Handy gab er die Nummer durch. In der Ferne hörten sie den alten Motor aufheulen.
Das Auto wurde von einem schlanken jungen Mann mit rötlichen Haaren und einem dünnen Schnurrbart gebracht.
»Warten Sie, nicht aussteigen. Ich muss nur die Handtasche der Dame rausholen. Sie können den Wagen gleich wieder zurückbringen.«
Als Tracy hineingriff, um Mirandas kleine mit Perlen bestickte Handtasche an sich zu nehmen, fasste Miranda den jungen Mann ins Auge, der ihr kostbares Vehikel fuhr. Ihr fiel auf, dass sein linkes Auge nach unten gesackt war und er über der Augenbraue eine rote Narbe hatte, die bis unterhalb des Auges verlief. Sie brauchte einen Moment, um es zu registrieren, dann platzte sie heraus: »Sie, Sie haben meine Radkappen gestohlen!«
Er wurde bleich, stürzte aus dem Wagen und rannte schnurstracks in die Dunkelheit.
Tracy stürmte hinterher. Er war nicht umsonst StarLäufer gewesen, und er war immer noch gut in Form. Obwohl der Junge einen Vorsprung hatte, war er dem älteren Mann nicht gewachsen. Als er sich umdrehte, um zu sehen, ob Tracy aufholte, stolperte er und fiel hin, stand auf, versuchte Tempo zuzulegen, aber Tracy wusste, wie man einen Gegner zu Fall bringt. Er beugte sich hinunter, stieß sich mit dem rechten Fuß ab, stürzte sich auf den Rücken des jungen Mannes. Tracy traf ihn so heftig, dass der Junge in die Luft segelte wie eine Stoffpuppe und dann mit einem grässlichen Geräusch auf dem Boden landete. Tracy war sogleich auf ihm, nahm seinen Kopf in den Schwitzkasten. Ein schwerer Gegenstand an einer Kette, die der junge Mann um den Hals trug, rutschte aus seinem Hemd, als Tracy ihn festnagelte. Es war ein Mercedesstern.
»Ich hab nix gestohlen.«
»Das werden wir ja sehn.«
Tracy ging kein Risiko ein, als er den jungen Mann zum Haus beförderte. Er hatte ihn fest im Griff, indem er seinen linken Arm nach hinten gedreht hielt und ihn mit der anderen Hand am Kragen hatte. Jedes Mal, wenn der Junge sich losreißen wollte, riss Tracy ihm den linken Arm hoch, was ein Jaulen hervorrief. In der kühlen Abendluft kündete Donner über den Bergen ein nahendes Frühjahrsgewitter an.
Der Chef-Parkplatzwächter besaß die Geistesgegenwart Big Mim zu holen, die sich wiederum Cynthia Cooper schnappte. Die zwei Frauen warteten mit Miranda Hogendobber, als Tracy seine Beute ablieferte.
»Das ist der Mann, den Sean beschrieben hat«, sagte Miranda. Besonders beunruhigte sie die Tatsache, dass ein junger Mensch stahl.
Cynthia trat einen Schritt vor. »Ich bin Cynthia Cooper, Polizistin. Wenn Sie kooperieren, wird die Sache vielleicht etwas weniger unerfreulich.«
»Ich hab nix gestohlen«, verteidigte er sich störrisch.
»Wollen wir nicht mit Ihrem Namen anfangen?« Dann wandte Cynthia sich an Tracy: »Sie können ihn loslassen. Und danke.«
Der verängstigte Junge murrte: »Fix für 'n alten Mann.«
Miranda musste unwillkürlich lächeln. »Junge, Sie sind von einem der besten Läufer überwältigt worden, die dieser Staat je hervorgebracht hat.«
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