Lewis hatte angerufen, sagte Isobel. Ich hatte ihn knapp verpaßt. Er und Nina waren wieder durch den MontBlanc-Tunnel zurück und hatten auf ein Sandwich und zum Tanken angehalten. Nina war gefahren. Der Hengst hatte die ganze Zeit den Kopf zum Fenster hinausgestreckt, aber nicht verrücktgespielt. Lewis würde die Nacht durchfahren, auf dem Weg nach Norden aber noch irgendwo anhalten, um die Kanister für den Hengst mit französischem Wasser zu füllen.
«Okay«, sagte ich.
Französisches Wasser, reines, süßes Quellwasser, war gut für Pferde. Das rechtfertigte schon einen kurzen Halt.
«Aziz möchte morgen frei haben«, sagte Isobel.»Er will morgen nicht fahren. Hängt mit seiner Religion zusammen.«
«Mit seiner Religion?«
«Sagt er mal.«
«Das Schlitzohr. Wo ist er jetzt?«
«Auf dem Rückweg von der Auktion in Doncaster.«
Ich seufzte. Über Glaubensfragen konnte man schlecht streiten, aber Aziz war trotzdem ein Schlitzohr, wenn nichts Schlimmeres.
«Sonst noch was?«
«Mr. Usher hat angefragt, ob wir den Hengst abgeholt haben. Ich sagte ihm, daß er morgen abend gegen sechs in Pixhill eintrifft, wenn die Fähre keine Verspätung hat.«
«Danke.«
«Toi, toi, toi.«
«M-hm.«
«Sie sehen schrecklich mitgenommen aus«, sagte sie.
«Das macht die Geschichte mit Jogger.«
Sie nickte verstehend. Die Polizei, sagte sie, hatte beanstandet, daß so viele Fahrer auf Achse waren.
«Die begreifen anscheinend nicht, daß wir ein Geschäft in Gang zu halten haben. Die meinen, wir müßten die Arbeit niederlegen. Ich habe ihnen gesagt, daß das nicht geht.«
«Danke nochmals.«
«Schlafen Sie ein wenig«, sagte sie spontan, aufgeweckt wie immer.
«M-hm.«
Ich versuchte ihren Rat zu beherzigen. Die Gehirnerschütterung half nicht mehr. Ich lag wach und dachte an Lewis, wie er irgendwo anhielt, um die Kanister mit französischem Wasser zu füllen. Ich hoffte inständig, daß Nina den Kopf einziehen und die Augen — halbwegs — schließen würde.
Am Mittwoch morgen brachte ich die Transporter wieder auf den Weg nach Doncaster, wo am nächsten Tag die Flachsaison begann. Für Croft Raceways läutete das Märzmeeting in Doncaster mit seinen Auktionen und Rennen die arbeitsreichste Zeit ein; jetzt hieß es sechs Monate Hochbetrieb, Improvisation und Hetze, eine Atmosphäre, die mir gewöhnlich lag. Auch die Zahlenakrobatik, das immer neue Jonglieren mit Wagen, Fahrern und Gewinnaussichten erregte mich normalerweise, doch diese Woche hatte ich mich darauf noch kaum konzentrieren können.
«Morgen«, sagte Isobel aufmunternd,»kommt die ganze Armada ins Rollen.«
Mir lag nur daran, daß Lewis heute wieder anrollte.
Um neun nahm Isobel zum x-ten Mal das unentwegt klingelnde Telefon ab und runzelte die Stirn.
«Aziz?«sagte sie.»Einen Moment bitte. «Sie hielt den Hörer zu.»Was heißt >Bleiben Sie dran< auf französisch?«
«Ne quittezpas«, sagte ich.
Isobel wiederholte »Ne quittez pas« in den Apparat und stand auf.»Da ist ein Franzose, für Aziz.«
«Der ist doch heute nicht da«, sagte ich.
Sie erwiderte im Hinausgehen über die Schulter:»Er sitzt in der Kantine.«
Aziz kam eilig herein und nahm den Hörer von Isobels Schreibtisch.
«Oui … Aziz. Oui.« Er hörte zu und sagte rasch etwas auf französisch, wobei er die Hand nach einem Stück Papier und einem Stift ausstreckte. »Oui. Oui. Merci, Monsieur. Merci.«
Aziz schrieb sorgfältig, dankte seinem Informanten überschwenglich und legte den Hörer wieder auf die Gabel.
«Nachricht aus Frankreich«, sagte er unnötigerweise. Er schob mir den Zettel hin.»Offenbar hat Nina den Mann gebeten, hier anzurufen. Sie hat ihm Telefongeld und eine Adresse gegeben. Die steht da.«
Ich nahm den Zettel und las die knappe Notiz.»Ecurie Bonne Chance, pres de Belley.«»Glückauf-Stall«, übersetzte Aziz.»Bei Belley.«
Er schenkte mir das übliche strahlende Lächeln, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Büro.
«Ich denke, Aziz hat heute Urlaub«, sagte ich zu Isobel.
Sie zuckte die Achseln.»Er sagte, er wollte nicht fahren. Er saß schon in der Kantine, als ich zur Arbeit kam. Hat gelesen und Tee getrunken. >Guten Morgen, Schätzchenc, hat er gesagt.«
Isobel wurde ein wenig rot.
Ich schaute auf die französische Adresse und rief den Jockey-Club an. Patrick Venables mußte da gesessen und gewartet haben.
«Nina hat von einem Franzosen eine Adresse übermitteln lassen«, erklärte ich ihm.»Ecurie Bonne Chance, bei Belley. Können Sie sich bei Ihren Pendants in Frankreich danach erkundigen?«
«Buchstabieren Sie’s.«
Ich buchstabierte.»Aziz hat die Nachricht auf französisch entgegengenommen«, sagte ich.
«Gut. «Er hörte sich entschlossen an.»Ich frage meine französischen Kollegen und rufe Sie zurück.«
Ich schaute noch ein paar Sekunden auf das Telefon, nachdem er aufgelegt hatte, dann ging ich in die Kantine zu Aziz und bat ihn, mit vor die Tür zu kommen.
«Was haben Sie für eine Religion?«fragte ich draußen im Hof.
«Ehm. «Er sah mich mit seinen klaren Augen von der Seite an, das Lächeln unbekümmert.
«Arbeiten Sie für den Jockey-Club?«fragte ich rundheraus.
Das Lächeln wurde lediglich breiter.
Ich wandte mich von ihm ab. Patrick Venables, dachte ich bitter, und auch Nina hatten mir so wenig vertraut, daß sie noch einen verdeckten Ermittler geschickt hatten — einen, von dem ich nichts wußte, um sicherzugehen, daß ich nicht selbst der Schurke war, den ich angeblich suchte. Aziz war am Tag nach Joggers Tod aufgetaucht. Vielleicht hätte es mir nichts ausmachen sollen, aber es wurmte mich doch sehr.
«Freddie«, Aziz machte einen Schritt und faßte mich am Ärmel,»hören Sie zu. «Das Lächeln war verschwunden.»Patrick wollte, daß Nina Unterstützung hat. Wir hätten es Ihnen wohl sagen sollen, aber…«
«Bleiben Sie in der Nähe«, sagte ich kurz und kehrte in mein Büro zurück.
Eine Stunde später meldete sich Patrick Venables wieder.
«Zuallererst muß ich Sie, glaube ich, um Entschuldigung bitten«, sagte er.»Aber ich bin neugierig. Wie sind Sie Aziz draufgekommen? Er rief mich an, Sie hätten ihn durchschaut.«
«Kleinigkeiten«, erklärte ich.»Er ist zu gescheit für den Job. Ich wette, er ist nie für einen Rennstall gefahren. Der Anrufer aus Frankreich wollte ausdrücklich ihn sprechen, also mußte Nina dafür gesorgt haben, daß er erreichbar war. Und Sie selbst haben nicht gefragt, wer Aziz ist, als ich von ihm sprach.«
«Du guter Gott.«
«Sie sagen es.«
«Ecurie Bonne Chance«, sagte er,»ist ein kleiner Rennstall, betrieben von einem kleinen französischen Trainer. Das Grundstück gehört Benjamin Usher.«
«Aha.«»Das Grundstück liegt südlich von Belley an der Rhone, wo sie noch von Ost nach West fließt, vor dem Knick nach Süden bei Lyon.«
«Sehr präzise«, bemerkte ich.
«Den Franzosen ist nichts Nachteiliges über den Stall bekannt. Es gab dort ein paar kranke Pferde, aber keins ist gestorben.«
«Recht vielen Dank.«
«Nina wollte die Fahrt unbedingt machen«, sagte er,»und sie hat darauf bestanden, daß wir Ihren Transporter auf der Rückfahrt auf keinen Fall abfangen.«
«Ja, ich bitte darum.«
«Sie wissen hoffentlich, was Sie tun.«
Das hoffte ich auch.
Ich rief Guggenheim an.»Versprechen kann ich nichts«, sagte ich,»aber steigen Sie ins nächste Flugzeug, nehmen Sie ein Taxi zum Bauernhof und bringen Sie was mit, um ein kleines Tier zu befördern.«
«Ein Kaninchen?«fragte er hoffnungsvoll.
«Beten Sie.«
Die Stunden krochen dahin.
Endlich, am Nachmittag, rief Lewis Isobel an und sagte, sie hätten die Überfahrt hinter sich und verließen gerade Dover.
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