Der Geruch dampfender Pferdeleiber vermischte sich mit dem kalten Dunst des Flußnebels. Ich konnte nur das dumpfe Trappeln galoppierender Hufe hören, dazwischen gelegentlich ein helles, metallisches Geräusch, wenn Hufeisen gegeneinander schlugen. Hinter mir ritt, etwas auseinandergezogen, eine Gruppe von Männern, die wie ich weiße Seidenbreeches und Jacken mit Rautenmuster trugen; vor mir parierte ein Jockey in rotgrünem Dress sein Pferd für den Sprung über die
Birkenhecke, die sich ihm wie ein dunkler Schatten in den Weg stellte. Alles verlief wie erwartet: Bill Davidson war eben dabei, sein siebenundneunzigstes Hindernisrennen zu gewinnen. >Admiral<, sein Brauner, bewies deutlich, daß er keinen Konkurrenten zu fürchten hatte, und wie schon so oft, hatte ich die beiden seit einigen Minuten bewundert.
Ich sah, wie die kraftvolle Hinterhand ansetzte und losschnellte: >Admiral< überwand die Hecke mit der
Mühelosigkeit, die nur wirklich einmalige Pferde auszeichnet. Und als ich ihm nachsetzte, stellte ich fest, daß er zwei weitere Längen Vorsprung gewonnen hatte. Wir befanden uns am anderen Ende der Rennbahn von Maidenhead; vom Ziel trennte uns noch eine halbe Meile. Ich hatte keine Chance, ihn einzuholen. Der Februarnebel wurde dichter. Es war unmöglich, bis zum nächsten Hindernis zu sehen, und der milchigweiße Dunst schien uns von der übrigen Welt abzuschließen. Die Geschwindigkeit war das einzige, woran man sich halten
konnte. Das Ziel, die Zuschauer, die Tribünen und die
Rennleitung, im Nebel zurückgelassen, lagen wieder unsichtbar vor uns, aber auf der langen, verlassenen EineinhalbmeilenBahn fiel es schwer zu glauben, daß es das alles wirklich gab.
Eine unheimliche, isolierte Welt, in der alles mögliche geschehen konnte. Und es geschah etwas!
Wir gingen in die Kurve am unteren Ende der Rennbahn und richteten uns auf, um das nächste Hindernis zu nehmen. Bill hatte gut zehn Längen Vorsprung vor mir und den anderen herausgeholt, ohne sich besonders anzustrengen. Er hatte das fast nie nötig.
Der Aufseher am nächsten Hindernis schlenderte quer über die Bahn von außen nach innen, klopfte auf die Birkenzweige und duckte sich unter das Geländer. Bill sah über die Schulter, und seine Zähne blitzten, als er befriedigt über den weiten Abstand zwischen meinem Pferd und >Admiral< lächelte. Dann wandte er sich wieder dem Hindernis zu und schätzte die Entfernung ab. >Admiral< setzte genau im richtigen Augenblick zum Sprung an. Er stieg hoch, als sei nicht nur den Vögeln das Fliegen vergönnt.
Und stürzte.
Entsetzt sah ich die muskulösen Beine hilflos arbeiten, als das Pferd buchstäblich einen Überschlag machte. Bill stürzte vom höchsten Punkt der Sprungbahn kopfüber hinab, und ich hörte, wie >Admiral< hinter ihm mit dem Rücken am Boden landete.
Automatisch wich ich nach rechts aus und zwang mein Pferd über das Hindernis. In der Luft, während des Sprungs, starrte ich auf Bill hinunter. Er lag schlaff auf dem Boden, einen Arm ausgestreckt. Seine Augen waren geschlossen. >Admiral< war mit dem Rücken auf Bill gefallen und rollte sich nun verzweifelt hin und her, um wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen.
Für einen kurzen Augenblick hatte ich den Eindruck, daß etwas unter ihnen lag, etwas ganz Abwegiges, das dort nichts zu suchen hatte. Aber meine Geschwindigkeit war zu groß. Ich hatte nicht Zeit genug, Einzelheiten zu erkennen.
Während mein Pferd weitergaloppierte, fühlte ich mich so elend, als hätte man mich in den Magen getreten. Dieser Sturz hatte so gefährlich ausgesehen, daß man das Schlimmste befürchten mußte.
Ich sah mich um. >Admiral< war inzwischen wieder auf die Beine gekommen und trabte davon; der Hindernisaufseher beugte sich über den immer noch bewegungslos am Boden liegenden Bill. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Rennen zu. Ich war Erster geworden und mußte es bleiben. Am Rande der Bahn eilte ein Sanitäter an mir vorbei. Er hatte sich an dem Hindernis aufgehalten, dem ich mich jetzt näherte, und war unterwegs, um Bill zu helfen.
Ich trieb mein Pferd über die nächsten drei Hindernisse, aber ich hatte keinen Spaß mehr daran, und als ich vor den vollbesetzten Tribünen als Gewinner auftauchte, schien mir das enttäuschte Stöhnen der Menge ein passender Willkommensgruß zu sein. Ich galoppierte durchs Ziel, tätschelte meinem Pferd den Hals und starrte zur Tribüne. Die meisten Gesichter waren immer noch dem letzten Hindernis zugewandt, im undurchdringlichen Nebel nach >Admiral<, dem todsicheren Tip, suchend, der seit zwei Jahren sein erstes Rennen verloren hatte.
Selbst die nette, ältere Dame, deren Pferd ich geritten hatte, empfing mich mit der Frage:»Wo bleibt denn >Admiral