Dick Francis
Knochenbruch
Unbefriedigende Vater-Sohn-Beziehungen interessieren mich in solchem Maß, daß Buchkritiker in ihren Kolumnen über meine eigenen persönlichen Erfahrungen spekuliert haben. Sie meinten, ich müsse zu Hause sehr gelitten haben. Der Ordnung halber sei dazu folgendes bemerkt: Ich hatte einen liebevollen, amüsanten, seiner Frau stets treuen Vater, der weibliche Gesellschaft genossen hat und zusammen mit meiner Mutter meinen Bruder und mich mit einem Höchstmaß an sachlicher Strenge und absolut ohne jegliche Strafen großgezogen hat. Es hat niemals irgendwelche unlösbaren Probleme gegeben zwischen meinem Vater und mir, zu keiner Zeit. Ich hatte eine gute Kindheit und habe in der Folge versucht, meinen beiden dankbaren und mittlerweile erwachsenen Söhnen dieselbe Erziehung zuteil werden zu lassen.
Ja wirklich, wenn meine eigenen Vater-Sohn-Beziehungen entweder mit der einen oder der anderen Generation schmerzlich oder stürmisch gewesen wären, wäre ich nicht in der Lage, in meinen Romanen darüber zu schreiben. Nur weil sie für mich rein imaginär sind, kann ich die Grausamkeit und Herrschsucht zwischen Eltern und Kind beschreiben.
In Knochenbruch geht es um zwei Väter, die beide einen Sohn haben, und um die wechselseitigen Beziehungen, die sich zwischen diesen vier Personen entwickeln, als einer der Väter die totale Gewalt über beide Söhne zu erlangen versucht.
Dieses Thema hätte in viele Gewänder gekleidet werden und in jedes Zeitalter, jedes Land versetzt werden können. Ich beschloß, es hier und jetzt in Newmarket vor dem Hintergrund der Pferderennen spielen zu lassen, und schmückte die Szene mit knochenbrechenden Schlägen aus, mit denen ein durch und durch respektabler Rennstall unterwandert, erobert und zerstört werden sollte.
Der Erzähler Neil Griffon ist einer der Söhne. Ich ließ ihn aus dem Geschäftsleben und nicht aus der Rennwelt kommen und stattete ihn mit einem scharfen, intuitiven Verstand aus, der in direktem Gegensatz zu dem unmittelbar Bösen des zerstörerischen, feindlichen Vaters steht. Griffon untergräbt die direkte Aggression, indem er nicht wie erwartet reagiert und eine Hintertürlösung für sein Dilemma findet.
Die Wechselspiele und Unterströmungen bei Vater-SohnKämpfen haben mich während meiner ganzen Arbeit an Knochenbruch fasziniert, selbst während ich die Seiten mit sich überstürzenden Geschehnissen, Gefahren und prachtvollen Pferden füllte.
Die beiden trugen dünne Gummimasken.
Identische.
Mit ungläubigem Erstaunen starrte ich die beiden identischen, gesichtslosen Gesichter an. Ich gehörte nicht zu den Menschen, die zwanzig Minuten vor Mitternacht Besuch von gummimaskentragenden Individuen bekommen, die nichts Gutes im Schilde führen. Ich war vierunddreißig Jahre alt, ein nüchtern denkender Geschäftsmann, der gerade in aller Ruhe die Rechnungsbücher der väterlichen Trainingsställe in Newmarket auf den neuesten Stand brachte. Ich saß über meiner Arbeit, im Lichtkegel der Schreibtischlampe, und die beiden Gummigesichter bewegten sich bleich vor der fast schwarzen Vertäfelung des düsteren Raumes wie zwei fremde Monde, deren Bahnen sich der Sonne nähern. Ich hatte aufgeblickt, als ich das Schnappschloß klicken hörte, und da waren sie, zwei dunkle Gestalten, die gelassen eintraten; kurz waren sie als Silhouetten im sanften Licht des Flurs des großen Hauses zu sehen, bevor sie die Tür schlossen und vor der dunklen Vertäfelung wieder unsichtbar wurden. Sie bewegten sich ohne jedes Quietschen, ohne jedes Scharren über den blanken, gebohnerten Fußboden. Abgesehen von den vermummten Gesichtern waren sie von Kopf bis Fuß schwarz.
Ich griff nach dem Telefonhörer und wählte die erste von drei Neunen.
Einer von ihnen näherte sich nun schneller, riß den Arm hoch und ließ ihn auf das Telefon herunterkrachen. Ich zog meinen Finger gerade noch rechtzeitig zurück, kurz bevor er mit der zweiten Neun fertig war; die dritte würde ohnehin niemand mehr zuwege bringen. Die schwarzbehandschuhte Hand befreite langsam einen schweren Polizeiknüppel aus den zerschmetterten
Resten des Posteigentums.
«Es gibt nichts zu stehlen«, bemerkte ich. Der zweite Mann hatte nun auch den Schreibtisch erreicht. Er stand auf der anderen Seite, mir gegenüber, und blickte auf mich herab. Dann zog er eine Automatik — ohne Schalldämpfer — hervor, mit der er unerschütterlich auf meinen Nasenrücken zielte. Ich konnte weit in den Lauf hineinsehen.
«Sie«, sagte er,»Sie kommen mit uns.«
Seine Stimme war ausdruckslos, ohne Betonung, bedächtig. Er hatte keinen besonderen Akzent, aber er war kein Engländer.
«Warum?«
«Sie kommen mit.«
«Wohin?«
«Sie kommen mit.«
«Das werde ich nicht, wissen Sie«, sagte ich freundlich, streckte die Hand aus und drückte auf den Knopf, der die Schreibtischlampe ausschaltete.
Die plötzliche, totale Dunkelheit verschaffte mir einen Zwei-Sekunden-Vorteil. Ich nutzte ihn, um aufzustehen, nach der schweren, gebogenen Lampe zu greifen und den Fuß mit einem weiten Bogen in die ungefähre Richtung zu schwingen, aus der die Stimme der Maske gekommen war.
Es gab einen dumpfen Aufprall, als ich zuschlug, und ein Stöhnen. Treffer, dachte ich, aber kein K. o.
Ohne den Knüppel zu meiner Linken zu vergessen, sprang ich hinter dem Schreibtisch hervor und sprintete zur Tür. Aber niemand verschwendete Zeit darauf, in der Dunkelheit herumzufuchteln, in der Hoffnung, mich zu treffen. Ein Taschenlampenstrahl blitzte auf, fuhr herum, zuckte über mein Gesicht und kam hüpfend hinter mir her.
Ich sprang zur Seite. Duckte mich. Kam von meinem geraden Weg zur Tür ab und sah aus den Augenwinkeln, daß das
Gummigesicht, das ich mit der Lampe getroffen hatte, entschlossen seinem Ziel zustrebte.
Der Taschenlampenstrahl flackerte von mir weg, kreiste kurz und ruhte schließlich felsenfest auf dem Lichtschalter neben der Tür. Bevor ich ihn erreichen konnte, schoß die schwarzbehandschuhte Hand herunter und klickte die fünf doppelten Wandleuchter an, zehn nackte Kerzenbirnen, die den quadratischen, holzvertäfelten Raum in kaltes Licht tauchten.
Es gab zwei Fenster mit grünen, bodenlangen Vorhängen. Einen Teppich aus Istanbul. Drei nicht zusammenpassende William-und-Mary-Stühle. Eine Eichentruhe aus dem sechzehnten Jahrhundert. Einen niedrigen Walnußschreibtisch. Es war ein karges Zimmer, Spiegel der kargen und spartanischen Seele meines Vaters.
Ich war immer der Meinung gewesen, daß der beste Zeitpunkt, eine Entführung zu vereiteln, der Augenblick war, in dem sie begann; daß man sich, wenn man den Marschbefehlen gehorchte, zwar augenblicklichen Schmerz, aber keine Langzeitangst ersparen konnte; daß Entführer später töten mochten, aber nicht am Anfang, und daß ein Mensch, dessen Sicherheit auf dem Spiel stand, töricht wäre, sich kampflos geschlagen zu geben.
Nun, ich kämpfte.
Ich kämpfte noch ganze neunzig Sekunden lang, während derer es mir mißlang, die Lichter auszuschalten, durch die Tür zu entkommen oder mich durch eines der Fenster ins Freie zu stürzen. Ich hatte dem Knüppel des einen und der schußbereiten Automatik des anderen nur meine Hände und keine besonderen Fähigkeiten entgegenzusetzen. Die identischen Gummigesichter kamen mit entnervendem Mangel an menschlichem Ausdruck auf mich zu, und obwohl ich — wahrscheinlich unklugerweise — versuchte, einem von ihnen die Maske wegzureißen, erreichte ich nicht mehr, als zu spüren, wie meine Finger über die zähe, glatte Oberfläche glitten.
Sie zogen den Nahkampf vor, das Opfer an die Wand gedrängt. Da sie zu zweit waren und Meister ihres Gewerbes zu sein schienen, bezog ich in diesen ewigwährenden neunzig Sekunden solche Dresche, daß ich zutiefst wünschte, meine Entführungsvermeidungstheorien nicht in die Praxis umgesetzt zu haben.
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