«Ich möchte nicht, daß man mir nachher anhängt«, sagte sie halb im Scherz,»ich hätte versucht, die besten Hengste von Pixhill lahmzulegen.«
«Niemand hängt Ihnen was an. Ich — «Ich schwieg abrupt, da mich mit atemberaubender Wucht eine Erkenntnis traf.»Verdammt noch mal!«
«Was ist denn?«
«Ach, nichts. Wenn Sie am Mittwoch zurückkommen, gibt es einen Empfang. Machen Sie sich über nichts Gedanken, nur jagen Sie Lewis keine Angst ein.«
Wir aßen im Speiseraum und erörterten zunächst die Fahrt, kamen aber bald auf unser Leben allgemein zu sprechen. Ich war gern mit ihr zusammen. Du wirst Maudie untreu, dachte ich ironisch. Ich fragte Nina, wie alt ihr ältestes Kind war.
«Vierundzwanzig. «Sie lächelte auf ihre Spaghetti nieder.
«Viel jünger als Sie.«
«Bin ich so leicht zu durchschauen?«
«Sie sind kein Jüngelchen«, sagte sie.
«Das sähen Ihre Kinder vielleicht anders.«
«Ihre Schwester ist auch älter als ihr Professor, nicht wahr?«
«Ja«, sagte ich leicht überrascht.»Wer hat Ihnen das erzählt?«
«Aziz.«
«Aziz?«
«Ihre Schwester hat es ihm gesagt. Er hat es mir gesagt. Na ja, wir Fahrer stecken halt zusammen.«
«Sie brauchen gar nicht so treuherzig zu lächeln.«
Das Lächeln wurde jedoch intensiver. Ich dachte an all die leeren Zimmer oben im Hotel. Ich dachte an das einjährige Zölibat und verspürte den starken Wunsch, es zu beenden. Sie wußte sicher, was in mir vorging. Sie wartete einfach.
Ich seufzte.»Ich könnte mir etwas Besseres vorstellen«, sagte ich,»aber ich fahre nach Hause.«
Sie sagte ruhig:»In Ordnung.«
Ich rieb mir die Augen.»Wenn das hier vorbei ist.«
«Ja. Wir werden sehen.«
Gemeinsam gingen wir, wie schon einmal, zu unseren getrennten Wagen. Sie war mit ihrem Mercedes gekommen.
Ich küßte sie auf den Mund, nicht auf die Wange. Sie zog den Kopf weg, und ihre Augen schimmerten in der Parkplatzbeleuchtung. Ich sah, daß ich sie nicht verstimmt hatte. Es wäre so einfach gewesen… so einfach…
«Freddie…«Ihre Stimme war sanft, unverbindlich, überließ die Entscheidung mir.
«Ich muß… ich muß wirklich gehen«, sagte ich fast verzweifelt.»Ich schicke Sie nicht ohne angemessene Vorkehrungen nach Frankreich. Bringen Sie morgen früh Ihr Handgepäck mit und holen Sie im Büro noch eine Dokumententasche ab. Sie enthält Geld, Telefonnummern und ein paar Tips gegen Diebstahl. Lewis nimmt auch immer eine mit. «Ich schwieg. Über Dokumententaschen wollte ich jetzt nicht reden. Ich küßte sie wieder und spürte, wie meine Entschlossenheit dahinschmolz.
«Packen Sie die Tasche morgen«, schlug sie vor.
«O Gott.«
«Freddie.«
«Ich sage Ihnen morgen, warum ich gehen muß.«
Ich küßte sie heftig, wandte mich dann ab und ging zu dem Fourtrak hinüber, wobei ich mir unbeholfen vorkam und mich über mich selbst ärgerte, weil ich so weit gegangen war und mich dann ohne Erklärung zurückgezogen hatte. Es schien ihr nichts auszumachen. Ihr Lächeln, als sie in den roten Wagen stieg, wirkte nicht so, als wäre sie verletzt oder fühlte sich zurückgestoßen.
«Tschüs«, sagte sie durch das sich öffnende Fenster und ließ den Motor an.
«Gute Nacht.«
Mit einem Winken fuhr sie los, so selbstbeherrscht wie immer. Ich sah ihren Rücklichtern lange nach und bemühte mich, meinen Puls zu beruhigen. Die natürlichen Triebe waren doch verdammt stark. Und dabei hatte ich geglaubt, der Rummel sei ausgestanden, was nur wieder bestätigt, daß schlummernde Vulkane genau dies und nichts anderes sind — ein Feuer, das vorübergehend schläft.
Achteinhalb Jahre. Waren sie von Bedeutung? Ich wußte es nicht und hatte den Eindruck, sie wußte es auch nicht. Sie fühlte sich zu mir hingezogen, das stand fest. Und mir schien, sie war auf eine merkwürdige Weise zurückhaltend, als wollte sie nicht, daß ich mich von ihr gedrängt fühlte. Sie ließ mir Zeit zu überlegen, ob das, was ich empfand, eine vorübergehende Erregung oder etwas von Dauer war. Ich raste mit dem Fourtrak nach Hause, stellte alle Entscheidungen für die Nacht zurück und zog mir weiche schwarze Schuhe und die dunkelste Kleidung an, die ich finden konnte. Während meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, ging ich dann zum Bauernhof hinüber, schloß das Vorhängeschloß am Tor auf und sperrte wieder hinter mir ab.
Es war nach Mitternacht. Der Himmel war klar und kalt, sternenhell. All diese fernen Sonnen, dachte ich; so rätselhaft und ungreifbar wie Ehrlichia risticii.
Die Transporter waren alle daheim im Nest und schimmerten matt im Licht der Notlampe über der Kantinentür. Ein ruhiger Sonntagabend, Stille nach der Hektik. Diesmal war ich nicht in eine lebensgefährliche Situation hineinmarschiert.
Harve hatte vermutlich seine letzte Runde gedreht und schaute sich Fußballvideos an. Ich schloß die Bürotür auf, ging ohne Licht zu machen nach hinten in mein Zimmer, und der schwache Schein, der durch die Fenster drang, genügte mir auch, um die Taschenlampe zu finden, die ich im Schreibtisch verwahrte. Die Batterien waren noch geladen. Im Hinausgehen schloß ich die Bürotür wieder ab und tappte zu Joggers altem Lieferwagen hinüber, von dessen Vordersitzen ich alle meine Monster halbwegs sehen konnte und einige ganz deutlich.
Der Super-Sechser, mit dem Lewis nach Mailand fahren sollte, gehörte zu den gut sichtbaren. Ich machte es mir im dunklen Inneren von Joggers Kiste bequem und versuchte energisch wachzubleiben.
Ich schaffte es eine Stunde lang.
Nickte ein.
Schrak plötzlich hoch. Zwei Uhr. Wachtposten, die im Dienst schlafen, können vor ein Militärgericht gestellt werden. Aber gegen den Schlaf ist man machtlos. Wenn das Gehirn abschalten will, schaltet es ab.
Ich sagte mir alte Verse vor. Kinderreime. Eins, zwei, Papagei.
Schlief ein.
Drei Uhr. Vier Uhr. Verpaßte die halbe Nacht mit geschlossenen Augen. Völlig sinnlos. Zeitverschwendung, da zu sitzen.
Als er kam, rasselte und klirrte das Vorhängeschloß an der Kette, und ich war sofort hellwach.
Ich hielt den Atem an und rührte mich nicht.
Lewis’ unverkennbarer kurzer Haarschnitt glitt als Schattenriß zwischen mir und der Hoflampe vorbei. Eine unförmige Tasche in der Hand, ging Lewis unverzüglich zu seinem Transporter, legte sich dort flach auf den Boden und verschwand aus meinem Blickfeld.
Er blieb so lange außer Sicht, daß ich schon dachte, er müsse von mir unbemerkt gegangen sein. Aber dann war er plötzlich wieder da; er richtete sich auf, kehrte mit seiner Tasche zum Tor zurück und sicherte mit einem fast unhörbaren Klicken das Vorhängeschloß.
Stille.
Ich blieb noch eine halbe Stunde sitzen, nicht direkt, weil ich sicher sein wollte, daß er nicht zurückkam, sondern aus Abneigung gegen den nächsten Schritt.
Phobien sind irrational und albern. Phobien sind läh-mend, einengend und nur zu real. Langsam stieg ich aus dem Lieferwagen, nahm die Taschenlampe, versuchte ans Rennreiten — an irgendwas — zu denken und legte mich im Bereich der Dieseltanks neben Lewis’ Transporter auf den Rücken.
Die kalten Sterne oben kümmerte es nicht, daß mir der Schweiß lief und mein Mut auf die Größe einer Nuß zusammenschrumpfte.
Der Transporter würde mich nicht unter sich begraben. Er dachte gar nicht daran.
Himmel Arsch, nun mach schon, sagte ich mir. Sei nicht so unsäglich blöd.
Ich rutschte auf Schultern und Hüften über den Boden und schlängelte mich nach der Seite, bis ich ganz unter den Tonnen von Stahl lag, und natürlich begruben sie mich nicht unter sich, sie hingen bewegungslos und gleichgültig über mir, eine nicht wahrgemachte Drohung. Ich hielt unter den Tanks an, spürte den albernen Schweiß naß auf meinem Gesicht und geriet beinah völlig in Panik, als ich die Hand hob, um mir den Schweiß abzuwischen, und statt dessen auf Metall traf.
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